Flensburg: „Recital Anna Vinnitskaya“

Die Meisterkonzerte der Musikfreunde Flensburg sind fast immer ausverkauft und bürgen für eine hohe musikalische Qualität sowie für prominente musikalische Gäste. Am heutigen Sonntag war die renommierte Pianistin Anna Vinnitskaya im Stadttheater zu Gast.

Im Alter von sechs Jahren begann sie mit dem Klavierspielen und trat bereits drei Jahre später erstmals öffentlich auf. 1995 zog ihre Familie nach Rostow am Don, wo sie von 1996 bis 2001 am Rachmaninow-Konservatorium von Sergei Ossipenko ausgebildet wurde. Anschließend setzte sie ihr Studium an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg fort: bei Ralf Nattkemper und in der Meisterklasse von Evgeni Koroliov, die sie 2006 abschloss. Vinnitskaya wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 2007 der 1. Preis im Fach Klavier beim Concours Musical Reine Elisabeth – als erst zweite Frau in der Geschichte dieses Wettbewerbs. Seitdem tritt sie sowohl solistisch als auch mit renommierten Orchestern auf und widmet sich der Kammermusik. Seit 2009 ist sie Professorin für Klavier an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

© Marc Rohde

In Flensburg brachte sie Felix Mendelssohn-Bartholdys Lieder ohne Worte, Franz Schuberts heitere, liedhaft tänzerische Klaviersonate G-Dur op. 78 D 894, Robert Schumanns Carnaval op. 9 und die zeitgenössischen Elf Zirkustänze von Jörg Widmann zu Gehör.

Dabei bewies die Pianistin ihre Vielseitigkeit: von teils hämmernden Anschlägen, die dem Einschlagen eines Nagels in eine Betonwand nicht unähnlich erschienen, bis zu zartesten, fast gestreichelten Passagen, die auch bei mir, der ich in einiger Entfernung in der hintersten Reihe des 1. Rangs saß, eine ähnliche Wirkung wie eine zärtliche Nackenmassage hervorriefen, reichte die Bandbreite. Diese Wandlungen vollzog die russische Musikerin in Sekundenschnelle und sorgte so für ein durchaus unterhaltsames und abwechslungsreiches Programm. An Anspruch mangelte es sowieso nicht und auch das Publikum zeigte sich weitestgehend konzentriert und lauschte gebannt den zauberhaften Tönen, die Vinnitskaya dem Steinway entlockte.

Nach dem Vortrag der vertrauteren Stücke trat zunächst ein Vorstandsmitglied der Musikfreunde auf die Bühne, um die Bezeichnungen der einzelnen Tänze aus der Feder Jörg Widmanns nachzureichen, denn auf dem Programmzettel fanden diese keinen Platz. Der Komponist beschrieb sein 2012 komponiertes Werk einst mit folgenden Worten: „Die Gefahr des Seiltänzers abzustürzen bleibt immer real. Unser kindliches Staunen beim Betrachten ohnehin – nicht das Staunen ist falsch, sondern dass wir erwachsen denken, es nicht zu dürfen! Und die Tränen des traurigen Clowns sind künstlich – und doch lebensecht.“ Dabei empfinde ich das ganze Werk zwar als modern und ich glaube, in meiner Nähe bei den ersten Tönen einen Herrn „schrecklich“ murmeln gehört zu haben, aber insgesamt sind diese Elf Zirkustänze – insbesondere auf dem Konzertpodium – sehr spannend und angenehm anzuhören. Auch einige vertraute Melodien werden darin zitiert und es werden endlich mal sämtliche Oktaven des Flügels vollständig ausgenutzt.  

Während des ganzen Konzertes ist es gleichsam eine Freude, die Pianistin zu beobachten. Ihre Gestik, ihre Mimik, die ganze Körperhaltung. Selbst eine rein visuelle Wahrnehmung ihrer Interpretationen bliebe spannend und würde einiges über die gespielte Musik aussagen. In Kombination verschmelzen Klang und Optik bei diesem Konzert zu einem emotional bewegenden Ereignis, welches mich sehr berührt hat.

Marc Rohde, 12. Januar 2025


Anna Vinnitskaya, Klavier
Recital

Konzert am 12. Januar 2025

Verein der Musikfreunde e.V. Flensburg
im Stadttheater Flensburg