Linz: „Die Harmonie der Welt“, Paul Hindemith

Vorstellung am 24.4.2017

Grandiose Choroper in gelungener Präsentation

Auf den ersten Eindruck wirkt Hindemiths vorletzte Oper vielleicht etwas sperrig, aber ein Besuch wird jedem Opernliebhaber nur empfohlen. Paul Hindemith hatte die Uraufführung am 11. August 1957 am Pult des Prinzregententheaters in München an Stelle des erkrankten Ferenc Fricsay dirigiert. Die Reaktionen bei der Uraufführung kann man in der Ausgabe Der Spiegel 34/1957 nachlesen http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41758349.html.

Bereits 1951 hatte Paul Hindemith eine Sinfonie gleichen Namens verfasst, die die musikalische Quintessenz seiner späteren Oper enthält. Die Oper wiederum ist die vorletzte Hindemiths. Ihr sollte 1961 noch die einaktige Oper „Das lange Weihnachtsmahl“ auf einen Text von Thornton Wilder, den Hindemith ins Deutsche übersetzt hatte, folgen.

Der Inhalt der fünfaktigen Oper durchläuft ein Zeitfenster von 22 Jahren zwischen 1608 und 1630. Die Schauplätze wechseln simultan und wollen damit dramaturgisch gesehen die Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren widerlegen. Sie führen von Prag nach Güglingen in Württemberg, Linz, Sagan in Schlesien nach Regensburg und schließlich in einer großangelegten Passacaglia barocken Ausmaßes in strahlendem E-Dur in sphärische Gefilde. Kepler entdeckte durch seine musiktheoretischen Überlegungen die drei Gesetze der Planetenbewegungen, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrten. Für ihn war Musik ein kosmisches Phänomen, eine Weltenmusik, bei der die Himmelsbewegungen eine fortwährende polyphone Musik, die durch das Ohr nicht hörbar ist, erzeugten. In seinen Betrachtungen sieht er sich einerseits der hohen Realpolitik in Gestalt der beiden Kaiser Rudolf II. und Ferdinand II. sowie Wallenstein und anderen Aristokraten ausgesetzt, andererseits dem Unverständnis der eigenen Familie. Am Ende muss sich Kepler resignierend eingestehen „Die große Harmonie, das ist der Tod… Im Leben hat sie keine Stätte“. Über die Disharmonie seiner Gegenwart findet der sterbende Kepler nur durch seinen unerschütterlichen Glauben an eine letzte Harmonie der Welt Trost.

In Linz wurde Hindemiths Oper „Die Harmonie der Welt“ bereits 1967, also zehn Jahre nach ihrer Uraufführung gezeigt. Während Hindemiths Oper „Cardillac“ ihren festen Platz im Repertoire der Wiener Staatsoper hat und auch seine Oper „Mathis der Maler“ 2012 mit überwältigendem Erfolg am Theater an der Wien gezeigt wurde, blieb eine szenische Aufführung der „Harmonie der Welt“, wohl auch auf Grund ihres Nahebezuges von Johannes Kepler, der ja von 1612 bis 1626 in Linz gelebt hatte, bisher nur der oberösterreichischen Donaumetropole vorbehalten. Und diese zeigt nun das Opus Magnum Hindemiths in der ungekürzten Fassung (!) nun dankenswerter Weise bereits zum zweiten Mal, wenn auch in einem zeitlichen Abstand von einem halben Jahrhundert. Wer bei der österreichischen Erstaufführung – so wie ich – noch nicht geboren war, musste die Gelegenheit nützen, um nach Linz zu reisen, denn einer weiteren Aufführungsserie nach vielleicht wieder 50 Jahren würde der Rezensent wohl nicht mehr beiwohnen können. Kaum zu glauben, aber seit der Uraufführung in München 1957 ist dies erst die sechste Neuinszenierung dieser Oper. Für Linz bedeutete sie einen gewaltigen logistischen Kraftaufwand. Zunächst erkrankte Regisseur Dietrich Hilsdorf, sodass Intendant Hermann Schneider die Inszenierung auf Grund dessen Konzeptes (Dramaturgie: Christoph Blitt) fertig stellte. Gerrit Priessnitz erzeugte am Pult des Bruckner Orchesters Linz einen gewaltigen Klangteppich, der A- und Polytonalität kongenial verband und das Publikum suggestiv in seinen Bann zog. Der gewaltige, mitunter an beiden Rändern des Zuschauerraumes positionierte Chor und Extrachor des Landestheaters Linz war auf diese ungeheuren Aufgaben durch Georg Leopold und Martin Zeller besonders gut vorbereitet worden. Dieter Richter stellte eine Art Observatorium in Form eines Kuppelbaus in die Mitte der Bühne, dazwischen wird immer wieder ein Straßenprospekt eingezogen, Symbol der Bewegung, denn Kepler muss ja seinen Aufenthaltsort in Abhängigkeit von den jeweiligen Brotherren häufig wechseln. Die geöffnete und immer wieder gedrehte Sternwarte eröffnete den Blick in Keplers Wohnung und in Wallensteins Prunksaal. Ein ständig rotierendes Pendel in der Mitte des Raumes rief Erinnerungen an Richard Peduzzis Bühnenbild für den 2. Akt der Walküre im Bayreuther Jahrhundertring von Patrice Chereau hervor. Renate Schmitzer verzichtete größtenteils auf historisierende Kostüme, lediglich der Klerus und die beiden Kaiser waren „standesgemäß“ gekleidet. Die übrigen Protagonisten und Protagonisten gefielen sich in Kostümen, die dem ersten Drittel des 20. Jhd. verpflichtet waren.

Seho Chang war ein von den politischen Kräften seiner Zeit aufgeriebener Astronom auf der Suche nach der Weltenharmonie, der bis zu seinem Ende nie den Glauben an eine göttliche Weltordnung verlor. Sein kräftiger Bariton changierte dabei gekonnt zwischen lyrischer Verinnerlichung und gewaltiger Expressivität im forte. Am Ende war er noch als Himmelskörper Erde zu hören. Sandra Trattnigg war eine bis zuletzt treu ergebene Gattin Susanna, die mit ihrem gewaltigen Sopran bis in höchste Höhen schon einmal der Obrigkeit Paroli zu bieten vermochte und in der Schlussapotheose Venus. Besonders eindringlich gestaltete die in Kaunas in Litauen geborenen Mezzosopranistin Vaida Raginskytė Keplers Mutter Katharina, die von Aberglauben geleitet und als Hexe verleumdet beinahe auf dem Scheiterhaufen endet, dank der Fürsprache ihres Sohnes aber im letzten Augenblick gerettet werden kann sowie Luna. Keplers Gehilfe, später Gegenspieler Ulrich Grüßer war in der Kehle des isländischen Tenors Sven Hjörleifsson bestens aufgehoben, der am Ende auch den Mars sang. Ein Erlebnis, sowohl in gesanglicher wie auch darstellerischer Hinsicht bot der in Südafrika geborene Tenor Jacques le Roux als Wallenstein, ein machtgieriger Despot, durch seinen unbeugsamen Glauben an Horoskope aber verwundbaren Menschen. Im Finale war ihm natürlich die Rolle von Jupiter vorbehalten. Die beiden Kaiser Rudolf II. und Ferdinand II. sowie Sol unterlegte Dominik Nekel mit dem Anlass entsprechenden majestätischen Bass. Matthias Helm gefiel als Studienabbrecher Tansur aus Wittenberg, der Flugblätter mir Berichten über Katastrophen, die von Kometen ausgelöst werden, mit erdigem Bariton lautstark verkauft. Im Finale verkörperte er noch Saturn.

Dem in Odessa geborenen Bass Nikolai Galkin war der Klerus in Gestalt des evangelischen Linzer Pfarrers Daniel Hizler, der Kepler vom Abendmahl ausschließt, als auch dessen Regensburger katholischen Kollegen vorbehalten. In der Schlussapotheose noch Merkur. Dem smarten Bassbariton Ulf Bunde waren die Rolle von Susannes Vormund Baron Starhemberg sowie eines Vogtes (Rechtsbeistand) vorbehalten, einen weiteren Anwalt verkörperte Bassbariton Tomaž Kovačič, während Tenor Csaba Grünfelder als Keplers Bruder Christoph rollengerecht agierte. Die kleine Susanna, Keplers Tochter, wurde von Theresa Grabner verkörpert. Vier Weiber (Danuta Moskalik, Sarolta Kovacs-Führlinger, Karin Behne und Mitsuyo Okamoto) beobachten heimlich, wie Katharina den Leichnam ihres Vaters auf dem Friedhof ausgräbt und beschließen sie daraufhin als Hexe anzuzeigen. Den drei Mördern Jang-Ik Byun, Tomaž Kovačič und Ville Lignell war es bestimmt, Wallenstein zu töten. Seinen gebührenden Auftritt absolvierte auch ein Schäferhund mit tierischer Präzision.

Dem Publikum des für einen Montagabend gut ausgelasteten Musiktheaters Linz gefiel die Produktion und es spendete allen Mitwirkenden warmherzigen Applaus.

Harald Lacina, 25.4.
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