Besuchte Aufführung am 10.08.22 (Premiere am 09.07.22)
Freud`mit Strauß
Unter Intendant Enzingers Leitung sieht das Programm des Lehar-Festivals in Bad Ischl folgendermaßen aus: einer der großen „Hits“ des Operettenrepertoires, dann ein unbekanteres oder in Bad Ischl noch nicht gespieltes Werk, drittens eine Mega-Rarität als semi-szenische Produktion, wobei letztere oft so gut gemacht sind, daß man sie als vollwertig betrachten kann. Der bekannte Hit ist Johann Strauß´Sohn posthumer Erfolg „Wiener Blut“, eine Operette die der begabte Komponist Adolf Müller jun. aus der Tanzmusik des Meisters herstellte, und zwar so gekonnt, das sie zu den vier großen Strauß-Operetten gezählt wird. Besonders gelungen daran ist, das sich Musik und Libretto (Victor Lèon und Leo Stein) so geschickt verzahnen, daß sich die Handlung in den Musikstücken weiterentwickelt; sonst sind Musiknummern in Operetten eher „showstopper“. Die Handlung zwischen den sieben Akteuren ist ein witziges, brilliantes und kompliziertes Kammerspiel mit ein bißchen Chor. Sie haben sicher schon gemerkt, das ich das Werk sehr schätze.
Enzinger macht die Regie zur Intendantensache und erfindet noch eine Art Rahmen dazu: das Denkmal von Johann Strauß, ganz gülden, findet sich beim Wiener Psychoanalitiker Sigmund Freund auf der Couch ein; Nabeel Fareed und Matthias Schuppli sind szenisch und tänzerisch das ganze Spiel anwesend und geben dem alten Spiel um Liebe und Triebe aus der Kongresszeit gekonnt einen neuen „Gout“; der Hofball des zweiten Aktes wird so folgerichtig zum Ball der Psychoanalytiker. Bühnenbildner Toto setzt dazu phantasievoll ein assoziatives Bühnenbild mit Hirnwolken und Vogel Straußen auf die sonst sparsame, doch völlig ausreichend dekorierte Bühne des Kongresshauses. Sven Bindseils Kostüme sind natürlich auch keine Kongresszeit, doch dienen bestens der Verortung des Personen in ihrem Stand. Das Wichtige an der Aufführung sind jedoch die durchgängige Choreographie von Evamaria Meyer, die alle Mitwirkenden, einschließlich des in jeder Hinsicht hervoragenden Chores (Leitung Stefan Huber) und der sechs Tänzer. Wirklich großartig wie sich die Bewegungschoreographie und der Tanz stets passend der Musik anschmiegen, der Langsamkeit des Heurigenbildes etwas Marthalerhaftes hinzufügen, nie langweilig, stets werkdienlich.
Für das Funktionieren sorgt das handverlesene Ensemble: Gabriele Feldhofer ist die diesjährige Ischler Operettendiva, ihre Gräfin Gabriele ist resch und frisch, vokal mit strömendem Sopran auf Linie. Thomas Blondelle ist da in der Höhe etwas schwergängiger, weiß aber genau, wie Operette gesungen werden muß, wann man (und wie !) geschmackvoll in die Kopfstimme geht und ist ein begabter Komödiant. Das Duett „Wiener Blut“ zwischen Graf und Gräfin wird musikalisch zu einem kleinen Juwel. Gerd Vogel gehört zu den Sängern, die seit Jahren auf hohem Niveau „abliefern, egal ob Wagner, Mozart und das ganze Repertoire rauf und runter, ob Operette oder Musical, er kann es! Sein Fürst Ypsheim gerät zu einer hinreißenden komödiantischen Studie auf hohem Gesang. Martina Fechner als Tänzerin Cagliari bringt nicht nur Figur, feine Sopranfiligranität ein, sondern auch die pikante Ottakringer Vinaigrette, a bisserl herzig, a bisserl maliziös. Dazu der Weanerische Vater Kagler perfekt von Josef Forstner serviert. Doch der Clou der Besetzung ist das Domestikenpaar: Reinwald Kranners Diener Josef ist zwar kein Belcanto-Tenor, doch genau so geht Operette: Text, Gesang und Darstellung sind eins, und zwar eins A ! Marie-Luise Schottleitner als Pepi Pleininger, Probiermamsell, ist genau das, was man früher einen „Sprühteufel“ nannte, eine Soubrette durch und durch, mitreißend, hinreißend. Die Streitszene mit Josef beim Heurigen wird ganz großes (Boulevard-)theater. Überhaupt läßt der Regisseur Enzinger den Dialogen richtig die Leinen los, richtig gutes Outrier-Theater.
Laszlo Gyüker am Pult des Franz-Lehar-Orchesters liefert einfach ab, damit meine ich, richtig gut. Ein Dirigent, der genau das Gespür für Wiener Musik, für Johann Strauß hat, der weiß wann`s für den Schmäh ein bisserl stocken muß, dabei stets am Puls der Sänger, nicht zu laut, nicht zu leise. Einfach prima, danke ! Insgesamt ein der besten Operettenaufführungen der letzten Jahre, dabei mit dezent modernem Ansatz, ohne den Traditionalisten den Spaß zu verderben. Vor allem mit einem perfekten „Timing“ bei allen Beteiligten, das man so nur sehr selten erlebt. Ich bin wirklich begeistert.
Martin Freitag, 16.8.22