Wunsiedel: „Ball im Savoy“, Paul Abraham

Seit 1980 fährt der Rezensent mit jeweils über 100 Freunden in die Operette nach Wunsiedel, genau 20 Jahre zur Operettenbühne Wien, die fast immer ausverkauft war. Nach dem Wechsel waren wir erstmalig im letzten Jahr bei der Aufführung der Operette „Das Land des Lächelns“ dargeboten von der Kammeroper Köln, immer noch mit 85 Freunden. Die Aufführung war für die große Bühne etwas grenzwertig und deshalb waren in diesem Jahr gerade einmal noch 49 Freunde dabei. An eine solch geringe Beteiligung kann ich mich in der Vergangenheit nicht erinnern. Der Grund, der mir angegeben wurde, war einmal das relativ unbekannte Stück, aber auch die Interpretation durch die Kammeroper Köln. Und hier muss ich einfach feststellen, dass sich die Aufführung in diesem Jahr wie aus einem Guss präsentiert hat und ich froh bin, sie nicht versäumt zu haben. Kein Vergleich zum vorigen Jahr. Man hat eine sehr moderne Operette auf die Bühne gestellt, eigentlich eine Revue-Operette, manche sprechen auch von einer Jazz-Operette. Sehr viele Tanznummern auf der Bühne, Show-Nummern ohne Ende. Man könnte diesen Abraham als Zwischending von klassischer Operette und Musical einordnen. Ist vielleicht nicht jedermanns Sache, vor allem bei den langjährigen älteren Operettenbesuchern, macht aber einfach Spaß, reißt mit, lässt die Füße auf dem Boden vor der Bühne mitwippen. Schmissig, manchmal etwas knallig, aber immer hörens- und sehenswert. Der Zuschauerraum ist sehr gut gefüllt und man freut sich auf einige unbeschwerte Stunden, bei denen man die Alltagssorgen vergessen kann.

Die Handlung in Kurzform erzählt. Es geht in erster Linie um Madeleine und Aristide, zwei jung Vermählte. Ihre Treue wird auf eine harte Probe gestellt, denn Tangolita, eine Tänzerin und frühere Geliebte von Aristide, will ein letztes Zusammensein mit ihm, welches er ihr auch versprochen hat. Mustapha Bey, ein Freund Aristides verschaut sich in die Jazzkomponistin Daisy, die inkognito der Komponist „Pasodoble“ ist, dies jedoch erst am Ende preisgibt. Aristide, als auch seine Frau Madeleine gehen auf den Ball, ohne voneinander zu wissen. Sie merkt die Annährung ihres Mannes an Tangolita und bandelt deshalb mit dem jungen sehr schüchternen Célestin an. In nebeneinanderliegenden Séparées flirten sie gegenseitig. Madeleine wirft ihrem Mann Untreue vor, er verlässt wütend den Ball und ist überzeugt, dass seine Frau ihn betrogen hat. Es kommt heraus, dass jeder dem anderen treu geblieben ist, beide versöhnen sich und auch Mustapha Bey bekommt seine Daisy, die sich als „Pasodoble“ outet. Das Ganze ist mit einer Vielzahl wunderschöner Melodien angereichert wie z.B. „Toujours l´amour“, „Es ist so schön am Abend bummel zu geh´n“, den neuesten Tanz „Känguru“, „La bella tangolita“, „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ und viele andere. Und alles gespickt mit rasanten, leidenschaftlichen und schwungvollen Tanzszenen. Strahlend blauer Himmel und an die 30 Grad tun ihr Übriges, die Premiere musste wegen starkem Regen abgebrochen werden, aber am heutigen Samstagnachmittag strahlt der Himmel mit den Akteuren um die Wette.

Nicola Becht und Mario Zuber / © Hannah Hilger

Die Inszenierung und die Choreographie liegt in den Händen des in Italien geborenen Vanni Viscusi. Er ist ein Allroundtalent, hat Tanz, Gesang und Schauspiel studiert und viele Rollen gespielt, bis er seine Liebe zur Inszenierung, zur Choreographie in den Vordergrund stellte. Er stellt eine schnörkellose, völlig stimmige Inszenierung auf die Riesenbühne von Wunsiedel und man kann hier nur uneingeschränkten Respekt zollen. Eine wahrlich meisterliche Leistung. Das Bühnenbild von Jörg Brambacher ist einfach, praktikabel, durch verschieben der einzelnen Elemente leicht zu handhaben und stützt die Handlung auf der Bühne eindrucksvoll. Ebenso wie die einfallsreichen, abwechslungsreichen und farbenprächtigen Kostüme von Gesa Gröning. Hier werden die 30er Jahre auf die Bühne geholt. Alles passt zusammen, alles erfreut auch das Auge. Und auch das ist ein großes Positivum bei einer solchen Revue-Operette.

Das Dirigat der Kölner Symphoniker liegt in den Händen der in Berlin geborenen Ester Hilsberg-Schaarmann. Und sie, die ja auch ausgebildete Sängerin ist und Komposition studiert hat, führt das Orchester mit schlanker, leichter, aber auch durchaus zupackender Hand. Da sie weiß, was man als Sänger auf der Bühne erwartet, nimmt sie die zupackenden Orchesterwogen sängerdienlich etwas zurück, wo es angebracht ist. Ansonsten ist sie mit Leib und Seele dabei, zeigt eine leidenschaftliche, feurige Leistung und verhilft der wunderbaren Musik Abrahams zur richtigen Entfaltung. Und das Orchester folgt ihr willig in alle Bereiche, ob zurückhaltende Liebesweisen oder auch auftrumpfende Jazz Töne. Alles ist im Griff und man merkt dem Orchester und seiner Dirigentin an, wie sehr sie mit dem Stück vertraut und verbunden sind und es zur vollen Entfaltung führen. Gut bei Stimme und ebenso gut aufgelegt, die Damen und Herren des Chors der Kammeroper Köln.

Kommen wir nun zu den beiden Hauptfiguren der Revue-Operette. Sowohl Madeleine de Faublas als auch ihr Ehemann Marquis Aristide de Faublas, können in ihrer Ausstrahlung und Darstellung voll überzeugen. Sie sind gut aufeinander eingestellt und geben im dem rasanten Stück den Ton an.

Tiziano Edini – Christoph Loebelt – Nicola Becht – Mario Zuber – Sofia Coretti – Giovanni de Domenico / © Hannah Hilger

Als Madeleine erleben wir die aus Wiesbaden stammende Sopranistin Nicola Becht. Sie überzeugt mit einem warmen, aufblühenden, klaren Sopran. Höhenprobleme kennt sie nicht und schwingt sich atemberaubend in die höchsten Gefilde empor. Man könnte fast sagen, sie schwelgt im Wohllaut. Dass sie dabei auch darstellerisch alles gibt und sich die Rolle praktisch zu eigen gemacht hat, ist ein weiterer Pluspunkt ihrer herausragenden Darstellung. Der in Bayreuth geborene Mario Zuber gibt ihren Gemahl Aristide. Der ausgebildete Schauspieler und Sänger setzt seinen gefälligen Tenorbariton wirkungsvoll ein, hat darstellerisch etliche Glanzpunkte und bringt die Figur des „ein bisschen fremd gehen Wollenden“ hervorragend auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Er ist kein stimmlicher Kraftprotz, aber in dieser Partie mehr als rollendeckend. Beide bringen ihre Gestalten wirkungsvoll auf die Bühne.

Als Jazzkomponistin Daisy Darlington, alias Pasodoble glänzt, die in Steinheim in Nordrhein-Westfalen geborene und in den Niederlanden aufgewachsene Femke Soetenga. Die Sopranistin, deren Hauptbetätigungsfeld das Musical ist, hat eine unglaubliche Bühnenausstrahlung und -präsenz. Mit kräftigem, voluminösem, durchschlagendem Sopran, einer darstellerischen Superleistung weiß sie Mustapha Bey und das Publikum um den Finger zu wickeln. Sie wirbelt über die Bühne, dass es eine wahre Freude ist und kann in jeder Sekunde mehr als überzeugen. Als Mustapha Bey, dem türkischen Botschaftsattaché ist der US-Amerikaner Tyler Steele voll in seinem Element. Mit seinem klaren, frischen, schönen und anschmiegsamen Buffo weiß er zu überzeugen, daneben wirbelt er fröhlich und unbeschwert über die Bühne und hat sehr schnell das Publikum auf seiner Seite. Alles ist in Bewegung, die Musik fetzt richtiggehend über die Bühne, pure Freude am Gestalten der Rollen. Alle sind mit Herzblut bei der Sache und brennen ein wahrlich musikalisches Feuerwerk ab, dass die Zuschauer und Zuhörer mehr als beeindruckt.

Tyler Steele und Ensemble / © Hannah Hilger

Als argentinische Tänzerin Tangolita kann man die aus Italien stammende Sofia Coretti erleben. Die Tänzerin und Musicaldarstellerin füllt die Rolle völlig aus. Mit schöner, warmer und leuchtender Stimme, sowie einem unbändigen Temperament heizt sie Aristide richtig ein und das gelingt ihr auch beim Publikum. Als Celestine setzt der Schauspieler und Bühnendarsteller Christoph Loebelt seine Duftmarken auf der Bühne. Er spielt den etwas verklemmten, schüchternen und zurückhaltenden Fastliebhaber ausgezeichnet. Als Monsieur Albert und Maurice ist der in Remscheid geborene Hans-Arthur Falkenrath ein mehr als positiver Farbtupfer im Geschehen. Als Archibald ist der Schauspieler Matthias Brandebusmeyer in seinem Element und trägt etliches zum Gelingen der Vorstellung bei.

Im gesamten Ensemble gibt es keinerlei Ausfall und in kleineren Rollen sind mehr als rollendeckend Tiziano Edini als Rene, Giovanni de Domenico als Lucia, Jessica Falceri als Bessie, Kira-Luisa Reinhard als Lilly und Mizzi, Annika Stumpp als Paulette und Trude, Ewa Skalska als Ilonka und Anna Vogt als Hermine und Giulette zu erleben.

Tyler Steele, Femke Soetenga, Mario Zuber und Ensemble / © Hannah Hilger

Dieser Nachmittag hat einfach nur Spaß gemacht. Mit viel Leidenschaft, mit Feuer und Temperament, aber auch mit viel Können, hat man hier eine wunderschöne Operette, oder mehr Revue-Operette auf die Felsenbühne in Wunsiedel bei strahlendem Sonnenschein dargeboten. Diesmal sind wir sehr zufrieden aus Wunsiedel wieder in die heimischen Gefilde zurückgekehrt und sind gespannt, was es im nächsten Jahr zu sehen und hören gibt.

Manfred Drescher 24. August 2023


Ball im Savoy
Operette von Paul Abraham

Luisenburg-Festspiele Wunsiedel
Gastspiel der Kammeroper Köln

Premiere: 3. Juni 2023
Besuchte Vorstellung: 19. August 2023

Inszenierung und Choreographie: Vanni Viscusi
Musikalische Leitung: Esther Hilsberg-Schaarmann
Kölner Symphoniker