Lübeck: „Neujahrskonzert“, Stefan Vladar & Philharmonisches Orchester der Hansestadt

© Andreas Ströbl

Bunt wie ein Hahnenschwanz sollte ein Cocktail sein – daher der Name für das Mixgetränk. Und mit einer farbenfrohen Mischung aus US-amerikanischen und europäischen Klängen startete Lübeck ins Musikjahr 2025 – wenn dies klingende Getränk in der Musik- und Kongreßhalle serviert wird und der Barkeeper Stefan Vladar heißt, kann eigentlich nichts schiefgehen.

Die wundervolle Geschichte, wie George Gershwin 1928 nach Wien kam, um die Witwe von Josef Strauß zu treffen, und ihm im Café Sacher erstmal seine Rhapsody in Blue entgegenschallte, erzählt Dramaturg Jens Ponath im Programmheft zum Neujahrskonzert 2025 in der Lübecker Musik- und Kongreßhalle. Auch daß Johann Strauß 1872 Walzer-Erfolge in Boston feierte, wird im Heft erwähnt, und das ist der Hintergrund des vielfältigen, atlantiküberspannenden Programms am 1. Januar des neuen Jahres.

Gershwins Cuban Ouverture verbindet in sich schon kubanische und US-amerikanische Elemente, was das klangliche Spektrum – der Begriff ist hier in all seiner regenbogenhaften Farbigkeit gemeint – hier noch erweiterte. Sah man sich im Publikum um, wippten oft die Köpfe zu den rasanten Rhythmen, wiedergegeben vom typisch lateinamerikanischen Schlagwerk. Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter GMD Stefan Vladar eroberte sich mit der temperamentvollen Wiedergabe schlagartig die Herzen des Publikums und in der „MuK“ war es innerhalb von Sekunden um einige Grad wärmer geworden. Da hallten schon die ersten Jubelrufe durch den Saa.

Die Three Dance Episodes von Leonard Bernstein stammen aus seinem Musical On the Town, das den Jazz mit der europäischen Symphonik eines Tschaikowsky, Debussy oder Sibelius verbindet. Die kurzen und treffsicheren Nummern aus der Matrosen-Komödie bestechen durch humorvolle, jazzige bis Swing-artige Themen, die dann wieder in große Tongemälde wechseln, in einer warmen Atmosphäre mit seelenstreichelndem Küstenwind – und dann geht´s schon wieder in den Big Apple-Tanzschuppen! Die so leicht daher tanzenden Stücke sind rhythmisch hochanspruchsvoll, aber kein Problem für das makellos spielende Orchester, das jede Klangfarbe beherrscht, in den Solopartien wie in den Tutti-Passagen.

© Andreas Ströbl

Gershwins Rhapsody in Blue ist so etwas wie ein Schlüsselwerk der US-amerikanischen klassischen Moderne geworden, weil dieses Werk in seinen virtuos ausgeführten Modulationen die europäischen Wurzeln der Alten Welt mit den multikulturellen Klängen der Neuen glücklich verheiratet, und gleichsam Rachmaninows Liebesthema mit blue notes wiedergibt. Das oft gehörte Stück klang an diesem Neujahrsabend so frisch, weil Vladar, der den Klavierpart übernahm, die Rhapsody mit deutlich angezogenem Tempo spielen ließ. Die halsbrecherischen Soli meisterte er mit beschwingter Selbstverständlichkeit und gab, wenn er mal die Hände frei hatte, natürlich noch die Einsätze.

Da das begeisterte Publikum vor der Pause ihn nicht einfach so gehen lassen wollte, schenkte er den Lübeckern noch das 2. Gershwin-Prélude als Solist. Schade nur, daß die wunderbare intime Atmosphäre durch dreimaliges Handy-Gebimmele zerstört wurde. Wie dumm und ignorant kann man eigentlich sein? Zudem wurde viel während der Musik gelabert, Bonbons wurden ausgepackt und natürlich gab es ständig Huster; das wird sich leider auch 2025 nicht ändern.

Den zweiten Konzertteil eröffnete die Erste Walzerfolge aus Richard Strauss´ Rosenkavalier, sehr schön abgestimmt in der Dynamik und mit viel Sensibilität für die Feinheiten der facettenreichen Zwischenakt-Musik. Für Strauss-Liebhaber konnte das Jahr nicht besser beginnen, denn da entfaltete sich im Kleinformat die ganze melancholische und zugleich liebenswert-ironische Retrospektive auf ein Wien, das es so nie gab, aber in der nostalgischen Imagination sich goldglänzend entfaltete.

Damit war der ¾-Takt in die „MuK“ eingezogen, der in der schrägen Walzer-Adaption La Valse von Maurice Ravel zwar auf die Walzerseligkeit der Donaumetropole rekurriert, aber vom Komponisten behandelt wird, als hätte der irgendeine Partydroge des frühen 20. Jahrhunderts genommen. Drohend wie ein Wintergewitter baut sich diese eigentümliche Reminiszenz an eine prachtvolle Welt auf, die in ihrer Repräsentation und dem delirischen Sich-Verlieren allzugerne vergaß, daß tanzende Kongresse immer wieder den möglichen Untergang ausblendeten. Bei Ravel hört sich das so an, als würde bei den wogenden Paaren im rauschhaften Reigen die eine oder andere Taille von einer Knochenhand umfaßt werden.

Ein Neujahrskonzert, das von einem Wiener geleitet wird, hört selbstverständlich nicht mit An der schönen blauen Donau von Johann Strauß auf, aber dieser breit fließende Walzer machte klar, daß erst mit diesem Moment das neue Jahr auch an der Trave eingeläutet wurde. Anders als in den Vorjahren (und natürlich in Wien) klatschte das Publikum nicht nach den ersten Takten, um den traditionellen Neujahrsgruß einzuleiten. Im persönlichen Gespräch beim anschließenden Sektempfang gestand der Dirigent zwar, daß ihn das etwas gewundert habe, aber so machten die Musikerinnen und Musiker eben einfach weiter und mit dem Glanz der Doppelmonarchie tanzten Dirigent und Orchester mit sichtbarer Begeisterung in ein Jahr, von dem wir alle hoffen mögen, daß… – halt! Ohne Radetzky-Marsch geht das doch nicht, wie eben schon angedeutet. Die klaren Mitklatsch-Anweisungen hatten irgendwann auch die Letzten begriffen und so startete die Königin der Hanse beseelt und begeistert in das Jahr 2025, für das hier nun realistisch gesagt wird: Irrsinn, Ignoranz und Egomanie werden wir reichlich erleben. Aber auch strahlende Momente voller bezaubernder, mitreißender und glanzvoller Musik. Prosit Neujahr!

Andreas Ströbl, 2. Januar 2025


Lübeck: Neujahrskonzert in der Musik- und Kongreßhalle
Stücke von Gershwin, Bernstein, Strauss, Ravel und Strauß

1. Januar 2025

Musikalische Leitung: Stefan Vladar
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck