Am versöhnlichen Ende von Henry Purcells The Fairy Queen singt der Chor „They shall be as happy as they’re fair” (Sie sollen so glücklich sein, wie sie schön sind). Nun – glücklich dürfte das begeisterte Publikum in der Glocke gewesen sein. Und „schön“ ist ein viel zu schwacher Ausdruck für diese Aufführung. Denn die war in ihrer Gesamtkonzeption ein Geniestreich.
Das auf Shakespeares „Sommernachtstraum“ basierende, 1692 uraufgeführte Werk gehört zur eigentümlichen Gattung der Semi-Oper, die eine Mischung aus Oper, Schauspiel und Tanzabend darstellt. Kein Wunder, dass Aufführungen der „Fairy Queen“ oft mit Tanzeinlagen angereichert wurden. Aber so essentiell und so zwingend, wie jetzt beim Musikfest, dürfte das selten der Fall gewesen sein. Die sechs schwarz gekleideten Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Käfig und der New Yorker Juilliard School beherrschen mit einer atemberaubenden Mischung aus Hip-Hop, Breakdance, Pantomime und Ausdruckstanz die Bühne. Wie sie in rhythmischer Bewegungsakrobatik umherwuseln, sich in immer neuen Konstellationen gruppieren, wie sie die Musik kommentieren oder kontrastieren ist meisterhaft choreographiert. Mal tapsen sie voller Witz wie Vögel über die Bühne, mal wird wie aus dem Nichts ein Salto geschlagen oder ein fröhliches Ringelrein zelebriert. Mourad Merzouki ist Gründer der Compagnie Käfig und hat das Wunder dieser furiosen, fesselnden Choreographie vollbracht. Und nicht nur das – auch die Sängerinnen und Sänger sind in bemerkenswerter Dichte in die Bewegungsabläufe einbezogen. Das ganze Ensemble verschmilzt zu einer Einheit, bei der man manchmal nicht mehr weiß, wer Sänger und wer Tänzer ist. Jedenfalls wird diese Oper, deren Musik oft von einem sehr getragenen Duktus geprägt ist, durch den Tanzeinsatz extrem kurzweilig. Comedy aus der Barockzeit.
Dass die musikalische Seite von dem aktionsreichen Bühnengeschehen nicht erdrückt wird, ist William Christie, dem von ihm gegründeten Orchester Les Arts Florissants und einem hervorragenden Sängerensemble zu danken. William Christie, der schon beim allersten Musikfest 1989 in Bremen zu Gast war, ist ein ausgewiesener Experte für Alte Musik. Er und sein Orchester beherrschen und präsentieren Purcells Musik mit traumwandlerischer Sicherheit. Christie genügen beim Dirigieren meist minimale Bewegungen, oft schaut er nur bewundernd zu. Gleichwohl kann die Musik Pracht und Innigkeit entwickeln. Unterstützt wird Christie von dem Tenor Paul Agnew, den er zum stellvertretenden Ensembleleiter ernannte. Die jungen Sängerinnen und Sänger kommen aus dem 2002 vom Orchester gegründeten Nachwuchspool „Jardin des Voix“. Es sind acht allesamt hochtalentierte Sänger mit jungen, schlanken Stimmen, die sich bestens bewähren, in verschiedene Rollen schlüpfen und bei Bedarf auch als Chor fungieren. Sie besingen ausführlich Freud und Leid der Liebe, stimmen oft ein Lamento an oder begeben sich im vierten Akt auf einen stimmschönen Streifzug durch die Jahreszeiten: Mezzosopranistin Georgia Burashko besingt den Frühling, Tenor Ilja Aksionov den Sommer, Tenor Rodrigo Carreto den Herbst und Bass-Bariton Benjamin Schilperoort den Winter. Auch die Sopranistin Paulina Francisco, die Mezzosopranistinnen Rebecca Legget und Juliette Mey überzeugen mit klarem, stilsicherem Gesang. Der Bariton Hugo Herman-Wilson setzt als betrunkener Poet ebenso komödiantische Akzente wie auch als Coridon, wenn der Mopsa (Ilja Aksionov) gegen ihren Willen küssen will. Der Tenor streift sich für diese Szene ein Kleid über. Das Trikot einer spanischen Fußball-Weltmeisterin war wahrscheinlich nicht zur Hand. (1. September 2023)
Werke des spanischen Komponisten Juan Crisóstomo de Arriaga kann man im Konzertsaal eher selten hören. Es gibt auch nicht so viele, denn Arriaga (1806 – 1826) wurde nur zwanzig Jahre alt. Er hinterließ u.a. eine Oper, drei Streichquartette, Kantaten und eine Sinfonia a gran orquesta D-Dur.
Diese stand, neben dem Sommernachtstraum von Mendelssohn-Bartholdy, auf dem Programm des Abschlusskonzerts vom Musikfest Bremen. Das allein ist schon verdienstvoll, denn die Begegnung mit der gut dreißigminütigen Sinfonie ist sehr lohnend. Sie bietet keinerlei spanisches Kolorit, sondern orientiert sich eher an der Wiener Klassik und an der Romantik. Der Duktus der Musik erinnert über weite Strecken sehr an Franz Schubert. Der Kopfsatz mit seiner ruhigen, gedankenschweren Einleitung entwickelt sich zu einem lebhaften Finale. Das ruhige Andante ist einfach nur schöne Musik. Im tänzerischen Minuetto gibt es schöne Momente der Holzbläser, bevor die Sinfonie mit einem äußerst lebhaften Allegro an den 1. Satz anschließt.
Dass der Funke trotz der Meriten dieser Sinfonie nicht so recht überspringt, liegt an der Wiedergabe durch das Orchester Le Concert des Nations unter der Leitung von Jordi Savall. Die dynamischen Differenzierungen sind wenig ausgeprägt, auch die Tempi kann man sich spannender denken. So klingt alles etwas gleichförmig und langatmig. So schön es ist, diese Musik zu hören – sie wird hier etwas unter Wert verkauft. Dass der Klang oft von den tiefen Streichern geprägt wird, ist allerdings gut gelungen.
Problematisch ist auch „Ein Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Präsentiert wird die komplette Schauspielmusik mit allen Melodramen. Rein musikalisch sind eigentlich nur die reinen Orchesterstücke reizvoll. Das sind neben der Ouvertüre nur das Scherzo, das Lied „Bunte Schlangen zweigezüngt“, Intermezzo und Notturno, der berühmte Hochzeitsmarsch und der Trauermarsch sowie der Tanz der Rüpel und das Finale. Die restliche Musik von Mendelssohn besteht überwiegend aus „Schnipseln“ zur Untermalung der Texte. Gesprochen werden diese hauptsächlich von Michael Rotschopf, der fünf Jahre zum Ensemble des Wiener Burgtheaters gehörte.. Er macht das durchaus markant und mit eindrucksvoller Diktion. Unterstützt wird er von Lara Morger und Natasha Schnur. Aber ganz ohne Szene ist es schwierig, die Handlung nachzuvollziehen, wenn man den „Sommernachtstraum“ nicht ganz genau kennt.
So bleibt die Konzentration auf die erwähnten Orchesterstücke. Aber auch hier bleiben Wünsche offen. Bei Savall erklingt fast alles im Mezzoforte, sodass feinere Differenzierungen meistens unter den Tisch fallen. Und auch rein spieltechnisch gibt es Defizite, die Blechbläser liegen durchaus mal daneben. Die Ouvertüre wird zwar mit Schwung „vollmundig“ und mit romantischem Klang musiziert, dafür erklingt aber der Hochzeitsmarsch mit brutaler Gewalt. Besser gelingt das Notturno mit schönem Hörnerklang. Die beiden Sängerinnen Flore Van Meerssche (Sopran) und Diana Haller (Mezzosopran) erfüllen ihre Aufgaben ebenso gut wie der Chor La Capella Nacional de Catalunya (Einstudierung Lluís Vilamayó). (8. September 2023)
Einen ganz realen Sommernachtstraum konnte man bei der Musikfest-Zugabe genießen. Auf dem Bremer Marktplatz, der mit seinen historischen Bauwerken ein ganz besonderes Flair ausstrahlt, gab es als Geschenk für alle Bremer bei bestem Wetter ein Open Air Konzert mit dem (bereits 1945 gegründeten) Metropole Orkest unter der Leitung von Jules Buckley. Das Orchester und ihr Leiter erhielten 2018 den Musikfest-Preis. Zusammen mit der famosen Sängerin Sheléa und dem exzellenten Background-Chor Vula’s Chorale zelebrierten sie eine Hommage an die große, 2018 verstorbene Aretha Franklin. Für die aus Kalifornien stammende Sängerin und Pianistin Sheléa war es ihr erster Auftritt in Deutschland. Und der hatte sich gewaschen. Eine so charismatische, energievolle und stimmgewaltige Sängerin wie Sheléa kann man selten erleben. Sie tänzelte elegant über die Bühne, flirtete mit dem Publikum oder setzte sich an den Flügel, um sich selbst zu begleiten. Im Programm waren vor allem die großen Songs von Aretha Franklin wie „Precious Memories“, „Respect“, „Natural Woman“ und viele andere. Sheléa interpretierte sie alle mit ihrer ganz eigenen Note. Ihr Feeling für Soul und Blues ist fast unvergleichlich. Von zarten Tönen bis zu einer fast bis zum Schrei gesteigerten Ekstase verfügt sie über eine breite Ausdruckspalette. Da standen ein berührendes „Somewhere“ aus der „West Side Story“ neben dem eindrucksvollen „Bridge over Troubled Water“, das temporeiche “Think“ neben einem mit tiefem Gefühl versehenen „Amazing Grace“. Dass auch der Background-Chor über hervorragende Solisten verfügt, zeigte sich bei „Spanish Harlem“, „Day Dreaming“ und bei dem Duett“ Rocksteady“.
Der volle Sound des auch mit vielen Streichern besetzten Orchesters, die verschiedenen Soli von Saxophon, Trompete und Flügelhorn waren schlichtweg begeisternd. Kurz gesagt. Ein Sommernachtstraum. (9. September 2023)
Wolfgang Denker, 10. September 2023