Bremen: „35. Musikfest“, Teil 2

Bei ihrem Open Air Konzert im letzten Jahr auf dem Bremer Marktplatz schlug sie ein wie eine Bombe. Kein Wunder, dass Intendant Thomas Albert sehr glücklich war, dass er sie in diesem Jahr wieder engagieren konnte. Die Rede ist von Sheléa, der amerikanischen Jazz- und Soul-Sängerin, von der auch schon Michelle und Barack Obama bei ihrem Auftritt im Weißen Haus begeistert waren. Bei ihrem Konzert in der restlos ausverkauften „Glocke“ wurde sie von der hr-Bigband unter der Leitung von Jörg Achim Keller begleitet. Ihr Programm „Diva“ bedient sich vor allem aus dem Great American Songbook, enthält aber auch Klassiker wie One Note Samba von Antonio Carlos Jobim, The Look Of Love von Burt Bacharach, The Summer Knows von Michel Legrand oder All Is Fair In Love von Stevie Wonder. Sheléa macht mit ihrer Stimmgewalt, mit ihrem Ausdrucksreichtum und ihrer charismatischen Ausstrahlung jeden Song zu einem Ereignis. Ihre ausgesprochen schöne Stimme scheint keine Grenzen zu kennen und bleibt auch in den expressivsten Momenten immer klangvoll. Mit ihrer umwerfenden Bühnenpräsenz und ihrer ausgefeilten Gestik erinnert sie etwas an Shirley Bassey.

© Nikolai Wolff

Die hr-Bigband, schon 1946 beim Hessischen Rundfunk gegründet, ist ein ausgezeichneter Klangkörper. Bei den meisten Songs präsentierten sich einzelne Musiker auch solistisch: Trompeter, Saxophonisten und Posaunisten traten vor und begeisterten mit ihrem Können. Man kann einzelne Lieder fast gar nicht hervorheben – jedes wurde wie ein Juwel präsentiert. Aber Night & Day und The Lady Is A Tramp waren neben L.O.V.E. Fever (Peggy Lee) und They Can’t Take That Away From Me (von Gershwin) schon besondere Höhepunkte.

Zu Beginn sagte Sheléa, dass sie heute Geburtstag habe. Und so sang das gesamte Publikum (darunter die Mutter und der Ehemann von Sheléa) am Ende Happy Birthday. Ein tolles Konzert, das mit der schwungvollen Mambo Sway beendet wurde. (24. August 2024)


Kein Geburtstag, sondern der 100. Todestag: von Giacomo Puccini wurde gefeiert. Unter dem Motto „Viva Puccini“ luden die Bremer Philharmoniker unter ihrem GMD Marko Letonja zu einem bemerkenswerten Puccini-Abend ein. Solist war der seit einigen Jahren als neuer Star-Tenor gehandelte Jonathan Tetelman. Tetelman verfügt über eine ausgesprochen kraftvolle und gut fokussierte Stimme, bei der man nie um die Spitzentöne fürchten muss. Seine attraktive Erscheinung und sein burschikoser, sympathischer Umgang mit dem Publikum verstärken noch die überrumpelnde Wirkung seines Gesangs. Bei der Auswahl seiner Arien berücksichtigte er auch unbekanntere Stücke wie Parigi è la città aus La Rondine (die Oper, in der er jüngst an der Metropolitan Opera debütierte) oder Torna ai felici dì aus Puccinis erster Oper Le Villi. Zu Beginn sang er Recondita armonia aus Tosca und hatte das Publikum damit gleich im Handumdrehen für sich gewonnen. Tetelman war offensichtlich (und das eigentlich bei jeder Arie) vor allem darauf bedacht, seine Stimme möglichst effektvoll zu präsentieren. Kraft und Spitzenglanz machten seine Beiträge zu einem fesselnden Hörerlebnis. Allerdings löste er diese mitunter trompetenhaften Spitzentöne oft aus der Gesangslinie heraus, sodass sie etwas isoliert daherkamen. Das war bei La Fanciulla del West, bei Madama Butterfly und bei Manon Lescaut immer gleich. Und so fehlte es bei Donna non vidi mai etwas an schwärmerischer Poesie. Gleichwohl – faszinierend waren seine von einem fulminanten Nessun dorma (bei dem das Publikum den Chorpart summte!)gekrönten Darbietungen allemal. Bei den Zugaben Non puede ser aus einer Zarzuela von Pablo Sorozábal und besonders bei O sole mio ließ Tetelman völlig die Sau bzw. die Rampensau raus. Da konnte kein Damm mehr die Begeisterung stoppen. Am Schluss mit E lucevan le stelle aus Tosca doch noch eine kleine „Überraschung“: Tetelman kann auch differenziert und mit feinen Zwischentönen singen.

© Patric Leo

Das eigentlich Besondere an diesem Abend waren aber die Beiträge der Bremer Philharmoniker: Das einleitende Preludio sinfonico sowie diverse Intermezzi aus seinen Opern zeigten, wie raffiniert und effektvoll Puccini instrumentieren konnte. Letonja entlockte dem Orchester einen süffigen, aufblühenden Klang. Suor Angelica wurde völlig frei von Kitsch musiziert, Le Villi  war dramatisch und rhythmisch pointiert. Das Preludio zu Edgar war „großes Kino“ und die Intermezzi aus Madama Butterfly und Manon Lescaut wurden hier zu subtilen Klangbildern. (28. August 2024)


Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie wurde 1824 uraufgeführt, also vor 200 Jahren. Grund genug, um das Werk auch beim diesjährigen Musikfest zu präsentieren, allerdings mit einem Orchester der besonderen Art. Das immer neu zusammengestellte Bundesjugendorchester gibt es seit 1969 und besteht ausschließlich aus jungen Musikern im Alter zwischen 14 und 19 Jahren. Als Chor wirkte der 1989 gegründete World Youth Choir mit. Hier sind die aus aller Welt kommenden Mitglieder zwischen 17 und 30 Jahren alt. Intendant Thomas Albert und Staatsrätin Carmen Emigholz betonten zu Beginn die Wichtigkeit der Jugend und die vereinende Kraft der Musik. Es sei besser, „etwas miteinander als gegeneinander“ zu machen. Immerhin standen an diesem Abend 200 Mitwirkende aus 41 Nationen auf der Bühne, wie Albert betonte.

Bevor es aber mit Beethovens Neunter losging, stand das Choral Concerto: Nine des chinesischen, in den USA lebenden Komponisten Tan Dun auf dem Programm. Das Werk, an dem Tan Dun vier Jahre gearbeitet hat, wurde u.a. vom Deutschen Musikrat in Auftrag gegeben. Das rund halbstündige, dreiteilige Werk („Nine“, „Wein“, „Zeit“) verarbeitet Texte von Qu Yuan (340 v.Chr.), Laozi (571 v.Chr.), LiPo (701 n.Chr.) und Friedrich Schiller. Allen Texten gemeinsam ist der Gedanke der Brüderlichkeit, der Sehnsucht nach Frieden und der Einheit mit der Natur. Gesungen wird in englischer Sprache und in von Dun konzipierten Nicht-Wort-Tönen. Der fantastische Chor zischelt, flüstert, haucht, vokalisiert, atmet – und singt mit bemerkenswertem Wohlklang und voller Kraft aus. In der Musik finden sich auch chinesische pentatonische Skalen, wird Beethovens Neunte zitiert, gibt es Anklänge an die Alte Musik und geheimnisvolles Raunen der Bässe. Mit dem wuchtigen Einsatz der Pauken und anderer Schlaginstrumente gibt es aufwühlende Steigerungen, die sich dann wieder mit kontemplativen, von innerer Ruhe geprägten Momenten abwechseln. Klickende Steine wie Tränen oder Trommeln wie Herzschläge, auch Anklänge an opulente Filmmusik oder ausgelassene Rhythmen wie bei einer Fiesta finden sich, bevor sich das Werk zu einem bombastischen Finale steigert. Eine großartige Leistung vom Chor, vom Bundesjugendorchester und vom Dirigenten Jörn Hinnerk Andresen.

©Nikolai Wolff

Ob Beethovens Neunte das eigentliche Hauptwerk des Abends war, könnte man bei diesem Beginn ketzerisch fragen. Nun – das Bundesjugendorchester bewältigte auch diese Aufgabe mit Bravour. Vor allem die Energie und die Begeisterung der jungen Musiker nimmt für sich ein. Kraftvoll und forsch wird der Kopfsatz genommen, mit sehr schnellen Tempi rauscht das Molto vivace vorbei. Über die dynamischen Feinheiten, die noch ausgeprägter hätten sein können, kann man geteilter Meinung sein. Da war noch nicht alles perfekt. Immerhin sichert Andresen dem Adagio Klangschönheit und strömenden Fluss. Im Finalsatz bringt der Chor Beethovens und Schillers humane Botschaft „Freude, schöner Götterfunken“ mit jubelnder Inbrunst zu Gehör. Etwas problematisch sind die Solisten: Iris Hendricks (Sopran), Jo-Pei Weng (Alt), Xavier Moreno (Tenor) und Johannes Schendel (Bass) können nur partiell überzeugen. Am besten präsentiert sich noch die Sopranistin. (1. September 2024)

Wolfgang Denker, 2. September 2024