Yonatan Cnaan (15.3.1977*), hebräisch יונתן כנען, ist ein israelischer Komponist, der überwiegend für das Musiktheater arbeitet. Da ich an dieser Oper sehr interessiert war, hat mir die Israeli Opera über Vermittlung des Komponisten die Aufnahme der Premiere, mit hebräischen und englischen Untertiteln versehen, für meinen Bericht zur Verfügung gestellt. Yonatan Cnaan begann seine musikalische Laufbahn als Rocksänger und Songwriter. Er studierte an der Buchman Mehta School of Music an der Universität Tel Aviv und am College Conservatory of Music der University of Cincinnati. Er komponiert, arrangiert und dirigiert. Den Schwerpunkt seiner Tätigkeit aber bildet das Musiktheater
Das Libretto zu seiner zweiaktigen Oper in zehn Szenen stammte von Ido Ricklin, der auch Regie führte. Von ihm stammte auch das Libretto zu Ella Milch-Sheriffs derzeit an der Wiener Volksoper gespielten Oper „Alma“. Dirigent der Uraufführung von “Theodor” war der israelisch-amerikanische Dirigent und Pianist Nimrod David Pfeffer. Die Partitur wurde von Eran Zehavi orchestriert. Nach der Ouvertüre führt die Eröffnungsszene in das Paris von 1895, wo der Journalist Theodor Herzl aus Wien über die Erniedrigungen von Alfred Dreyfus (1859-1935), einem jüdisch-französischen Offizier berichtet, den das Gericht des Hochverrats für schuldig erkannt hatte. Der aufgebrachte Mob fordert seine Todesstrafe. Die gewalttätige Atmosphäre in Paris versetzt Julie Herzl in große Angst… Rückblende: Wir befinden uns in Wien von 1881. Der junge Theodor wird in die nationalistische Wiener akademische Burschenschaft „Albia“, eine farbentragende und pflichtschlagende Studentenverbindung, aufgenommen, der er bis zu seinem Austritt angehörte. Gemeinsam mit seinem jüdischen Freund Paul von Portheim (1858-83) feiert er im Biergarten und selbst der antisemitische Spott einer Kellnerin kann seine Freude nicht trüben… Zeitsprung: Der erwachsene Herzl wandert durch das Vergnügungsviertel Pigalle in Paris. Ein Zuhälter animiert ihn, eine jugendliche Prostituierte aufzusuchen, aber Herzl weicht entsetzt über seine Leidenschaften, die er verleugnet, zurück. Er flieht, kann aber nicht nach Österreich zurückkehren. Rückblende: Schüler bejubeln in der Wiener Oper eine Wagner-Aufführung. Der junge Theodor sieht seine Zukunft als gefeierter Dramatiker, während sein Freund Paul glaubt, als Jude für immer Außenseiter in der europäischen Kultur zu bleiben… Inspiriert durch die Worte des Priesters und den Gesang des Chores erlebt der erwachsene Herzl eine revolutionäre Vision in einer Kirche – er würde alle Juden zu einer Massenbekehrung zum Christentum führen. Julie reagiert auf diesen Plan nur mit Verachtung und Herzl verzweifelt… Theodor duelliert sich mit Paul in einem Initiationsritus für die Burschenschaft und besiegt ihn. Nach Richard Wagners Tod hält der Verbindungsführer Herman bei einem Gedenkgottesdienst eine antisemitische Rede. Paul schlägt vor, dass in Zukunft keine Juden mehr in die Burschenschaft „Albia“ aufgenommen werden, worauf er und Theodor schändlich entlassen werden. Paul erschießt sich. Der alte und der junge Herzl sind verzweifelt. In einem imaginären Duett suchen sie nach einem Ausweg. Herzl dämmert eine neue Vision: die Gründung eines jüdischen Staates und er beginnt sein schicksalhaftes Buch „Der Staat der Juden“ zu schreiben.
Bariton Oded Reich als grimmiger Herzl mit schwarzem Bart, Mantel und Hut greift während des imaginären Dialogs nach seinem jungen Alter Ego Theodor, Bariton Noam Heinz, der glattrasiert und ganz in Weiß gekleidet ist. Für den jungen Theodor ist nichts wichtiger als die Oper, während sie für den älteren Herzl eine sterbende Welt darstellt. Das Konzept dieser dualistischen Welt zwischen Wien und Paris spiegelt sich auch in den Bühnenbildern und historisierenden Kostümen von Alexander Lisianski und Oren Dar wider. Paris im Winter in dunklen Farbtönen während der Dreyfus-Affäre wird gleichsam kontrapunktisch der Idylle einer Wienerwaldtaverne gegenübergestellt. Die Tragödie des jungen wie des älteren Herzl aber besteht darin, dass ihre Ideen der deutschen Brüderlichkeit und der französischen Gleichberechtigung für Juden wie Luftblasen verpuffen. Sopran Shaked Strul trat in der Hosenrolle als Theodors Freund Paul von Portheim auf, der gleichfalls der schlagenden Studentenverbindung „Albia“ angehörte. Mezzosopran Tamara Navoth trat gleich in mehreren Rollen als Fischfrau, Lotte, zweite Frau und in der Hosenrolle des Priesters auf. Mezzosopran Anat Czarny gefiel als Julie, leidgeprüfte Ehegattin des weltfremden Träumers Herzl. Der in Perm geborene Bassbariton Yuri Kissin bot Herzl als Zuhälter in Paris den Besuch eines Bordells an, wo dieser sich übergeben musste. In der Rolle von Hermann Bahr wirkte Bariton Yasir Polishook mit. Die zwölfjährige Ella Primor verkörperte die stumme Rolle der Tochter von Herzl, Paulina. Ferner wirkten noch Sopran Tali Ketzef als Zimmermädchen, Luise und erste Frau, Altistin Rona Shrira als Dienstmädchen, Berta und dritte Frau, die Tenöre Doron Florentin als Schreier, Emil und erster Herr, und Oshri Segev als Schreihals, Anton und zweiter Herr sowie Bass Pnini Leon Grubner als Aufwiegler, Ulrich und dritter Herr, mit. Amit Yardeni gefiel als Tänzer in der Choreografie von Nophar Levinger. Adi Shimroni sorgte für die spannende Beleuchtung und Barak Gonen für die Kampfszenen. Der Israelische Opernchor wurde umsichtig von Itay Berckovitch geleitet. Sowohl in musikalischer Hinsicht als auch in ihrer szenischen Umsetzung lieferte die lateinische Chorszene, in der der Priester mit dem Kyrie eleison (Herr erbarme dich) Vergebung anbietet und im nächsten Augenblick mit dem Dies irae (Tag des Zorns), den alttestamentarischen Gott der Rache beschwört, ein glaubensmäßiges Wechselspiel zwischen den christlichen Wurzeln westlicher Musik und der jüdischen Ironie, als Herzl sich vom dargebotenen Kreuz abwendet. Der eigentliche Spannungsbogen dieser Oper aber wird vor allem durch die ständige Gegenüberstellung des älteren Herzl und des jungen Theodor aufrechterhalten.
Yonatan Cnaan hat bereits eine Rockoper komponiert, nämlich „The Star of Izmir“. Für „Theodor“ komponierte er eine tonale, geradezu melodische Musik, fern der zweiten Wiener Schule. Ausschlaggebend dafür könnte auch seine Begegnung mit der zeitgenössischen US-amerikanischen Oper gewesen sein, als er an der Opernabteilung der Indiana University studierte und im Chor sang. Im jungen Theodor und seinem Freund Paul könnte sich, nach Auffassung des Komponisten, auch die jüngere Generation von Opernbesuchern wiederfinden. Es ist der Herzl ohne Bart, von dem wir nichts wissen und der unsere Neugier weckt.
Die Aufführung wurde vom Publikum frenetisch beklatscht, Dirigent, Komponist und Regisseur ausgiebig gefeiert und als Höhepunkt die Israelische Hymne „Die Hoffnung“ – haTikwa – התקוה, Text von Naphtali Herz Imber (1856–1909), vor stehendem Publikum gespielt und gesungen.
Harald Lacina, 14. November 2024
Theodor
Yonatan Cnaan
Israeli Opera in Tel-Aviv-Yafo
Israelischer Opernchor
Dirigat: Eran Zehavi