Authentischer Puccini!
Das 71. Festival Puccini 2025 in Torre del Lago Viareggio bewies an diesem Abend einmal mehr, dass die Fondazione Festival Pucciniano auch nach so langer Zeit noch Referenzcharakter auf höchstem Niveau für die Rezeption des Werkes des genialen Italieners beanspruchen kann, im Gegensatz zu den Bayreuther Festspielen in Sachen Richard Wagner. An den beiden Abenden mit Tosca und La Bohème war das Who is Who der Puccini-Interpreten auf dem romantischen Set am großen Lago di Massaciùccoli versammelt, auf dem Giacomo Puccini leidenschaftlich zur Jagd ging, vornehmlich auf Wasservögel. Seine Villa gleich nebenan beherbergt ein wundervolles detailreiches Museum sowie eine kleine Kapelle mit dem Grab des Meisters. Man sollte es unbedingt gesehen haben, um die Aura dieses legendären Ortes der italienischen Opernkunst zu verstehen und zu verinnerlichen.

In Torre del Lago steht man voll und ganz zum Verismo der Werke Puccinis. Das war auch bei La Bohèmein diesem Jahr wieder eindrücklichzu erleben. Die Regie des 2016 verstorbenen Ettore Scola wurde von Marco Scola di Mambro im Bühnenbild von Luciano Ricceri mit den Kostümen von Cristiana Da Rold überarbeitet. Das stimmungsvoll bestens eingesetzte Licht steuerte Valerio Alfieri bei. Man sieht auf eine alte und heruntergekommene Dach-Mansarde mit zwei Stockwerken im typischen Stil der Pariser Bohemien und im 2. Akt ein quirliges Bild vor dem Café Momus. Im Hintergrund und dazu stimmig alte dunkle Häuserfluchten der unmittelbaren Umgebung.
Bei einer äußerst authentischen Personenregie entfaltet sich ein intensives und lebhaftes Zusammenspiel aller Akteure, in der sich sofort die exzellente stimmliche und darstellerische Qualität von Vittorio Grigolo als Rodolfo, Nino Machaidze als Mimì, Sara Blanch als Musetta und Vittorio Prato als Marcello herauskristallisiert. Vittorio Grigolo ist wieder einmal in seinem Element zwischen Komik und Tragik. Er vermag seine große Liebe zu Mimì und seine Verzweiflung an ihrem traurigen Ende nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich mit seinem facettenreichen und immer wieder sehr emotional timbrierten Tenor bei bewundernswerter Höhensicherheit erleben zu lassen. Als es zwei kurze Regen-Unterbrechungen während des 1. und 2. Akts gibt, unterhält er das Publikum auf der Bühne in der des ersten mit allerhand kleinen Späßen.

Nino Machaidze glänzte ebenfalls stimmlich mit einem leuchtenden und schön intonierenden Sopran. Sie gestaltete mit viel Emotion in Gesang und Spiel eine sehr gute Mimì und harmonierte bestens mit Grigolo. Sara Blanch, die noch im Januar eine Weltklasse-Zerbinetta in der Ariadne auf Naxos an der Wiener Staatsoper gab, war eine Musetta der Extraklasse. Selten erlebte ich bei dieser Rolle eine so gekonnte Harmonie zwischen Koketterie im 2. und 3. Akt und tiefer Menschlichkeit, die sie im 4. Akt einnehmend an den Tag legte. Stimmlich ist die Blanch sicher auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, eine großartige Sängerdarstellerin! Vittorio Prato interpretierte den leidenden Marcello mit einem wohlklingenden Bariton und viel Engagement in den Höhen und Tiefen der Partie. Antonio Di Matteo sang den Colline mit einem sehr dunkel timbrierten Bass, und Italo Proferisce war ein guter Schaunard. Auch alle Comprimari waren festspielreif.

Maestro Pier Giorgio Morandi, ein offenbar profunder Kenner des Oeuvres von Puccini, stand am Pult des Orchesters des Puccini Festivals und geleitete die Sänger mit einer intensiven Mimik und ruhigem souveränen Schlag durch den Abend, wobei er auch intensiv auf einzelne Gruppen und Solisten im Graben einging. Es entstand ein sehr guter, harmonischer und nie zu lauter Orchesterklang, der sich so in großem Einklang mit der Handlung auf der Bühne befand. Der Chor und Kinderchor des Puccini Festivals unter der Leitung von Marco Faelli und Viviana Apicella sang exzellent und beherzt sowie darstellerisch in bestem Einklang mit der Regie. Das Publikum war selbst kurz vor 1 Uhr noch vollzählig da und feierte die Künstler begeistert. Vittorio Grigolo gab einmal mehr eine ganz persönliche Begeisterungs-Show beim Applaus ab.
Klaus Billand, 24. August 2025
La bohème
Giacomo Puccini
Puccini Festival Torre del Lago
Besuchte Aufführung am 19. Juli 2025
Inszenierung: Ettore Scola
Musikalische Leitung: Pier Giorgio Morandi
Orchester des Puccini Festivals