Premiere: 21.05.2016, besuchte Aufführung: 27.05.2016
Rarität mit kleinen Wermutströpfchen
Lieber Opernfreund-Freund,
„Was von wem?“ hat mich ein durchaus opernkundiger Freund gefragt, als ich ihm gestern erzählte, dass ich nach Oldenburg fahre, um mir dort „Cristina, regina di Svezia“ von Jacopo Foroni anzusehen. Und in der Tat hatte kaum jemand von dem italienischen Komponisten gehört, der, nach Schweden ausgewandert, dort mit 23 Jahren Hofkomponist wurde und nur 10 Jahre später an der Cholera starb, ehe das Staatstheater Oldenburg seine Pläne für die Spielzeit 2015/16 veröffentlichte.
Der Zeitgenosse von Boito, der in Italien ebenfalls bei Alberto Mazzoccato studierte, konnte in seinem kurzen Leben lediglich drei Opernwerke vollenden. Das zweite, „Cristina, regina die Svezia“, das nun in deutscher Erstaufführung in Oldenburg zu erleben ist, entstand bereits in Schweden, wo es den jungen Komponisten aus der Gegend von Verona 1948 mit einer Operntruppe verschlagen hatte. Das Werk ist dem damaligen schwedischen König Oscar I. und seiner Mutter, Königin Désirée, gewidmet und war bei seiner Uraufführung 1849 in Stockholm ein dermaßen großer Erfolg, dass dem jungen Komponisten neben dem WASA-Orden direkt auch der Posten des Hofkapellmeisters übertragen wurde. In der Folge bemühte er sich um die Aufführung und Verbreitung der Werke seines Heimatlandes in Schweden, dirigierte Donizetti, Rossini, Bellini und Verdi und macht sich auch um die deutschen Komponisten verdient, indem er beispielsweise Werke von Beethoven, Schumann und Mendelssohn zur Aufführung brachte. „Cristina, regina di Svezia“ beschäftigt sich mit Chrsitina von Schweden, die das Land von 1650 bis 1654 regierte. Ihr Vater König Gustav II. Adolf hatte sie zu seiner Nachfolgerin bestimmt und angeordnet, dass sie nach seinem Tod eine Ausbildung erhalten sollte, wie sie sonst seinerzeit nur Männern zuteil wurde. Christina war fünf Jahre alt, als ihr Vater starb, und wurde ab da in Sprachen, Astronomie und Geographie, Fechten und Reiten unterrichtet und auf ihr künftiges Amt vorbereitet. Als Regentin gilt sie als große Förderin der Künste, ist aber vor allem auch für ihr egositisches Wesen und ihren Kleidungsstil bekannt – sie trug bevorzugt Männerkleidung, zur damaligen Zeit eigentlich undenkbar. Sie blieb unverheiratet und nährte damit Gerüchte um eine homoerotische Beziehung zu ihrer Hofdame Ebba Sparre, siedelte nach ihrer Abdankung nach Italien über und kovertierte zum katholischen Glauben. Sie war also offensichtlich eine streitbare, unangepasste und konsequente Frau, in vielem sicher ihrer Zeit voraus, über die das Libretto von Giovanni Carlo Casanove folgende dann doch sehr romantisierte Geschichte erzählt:
Christina will Kanzler Oxenstierna belohnen und deshalb seinem Sohne Erik ihre Cousine Maria zur Frau geben. Die allerdings liebt Gabriel de la Gardie, dem wiederum die Königin in Liebe zugetan ist. Als Maria bei der Hochzeit den Namen ihres Liebsten preisgibt, besteht die Königin auf der Eheschließung mit Erik. Gleichzeitig ist unter Federführung von Johan Messenius eine Verschwörung im Gange, der sich nach dem Affront in der Kirche auch Gabriel anschließt. Während Christina über ihr Leben nachdenkt und von Oxenstierna aufgefordert wird, als Regentin ihre persönlichen Gefühle hintenan zu stellen, dringen die Verschörer ins Schloss ein und legen Feuer. Christina geschieht nichts, da sich ihr Cousin Carl Gustav den Rebellen zum Schein angeschlossen hat. Als die Königin unter den Aufständischen auch Gabriel entdeckt, lässt sie sofort den Rat zusammenrufen, um das Urteil über die Verschörer zu sprechen. Dieser verurteilt Gabriel, Messenius und dessen Sohn Johan zum Tode. Christina möchte abdanken, um alles hinter sich lassen zu können. Sie bestimmt Karl Gustav zu ihrem Nachfolger und möchte nicht, daß ihre Regentschaft mit einem Todesurteil endet. Also hält sie das Geschehen auf und gibt Gabriel und Maria ihren Segen, während der Hofstaat Karl Gustav als neuem König huldigt. Diese Geschichte hat Foroni in wunderbare Musik gegossen. Ausgehend von der farbenreichen, fast sinfonisch anmutenden Ouvertüre entspinnen sich herrliche heitere, beinahe tänzerische Melodienbögen, hymnisch-pathetitsche Chöre und berauschende Arien, deren Harmonik immer wieder unerwartete Wendungen nimmt und so eine extrem spannenden Teppich knüpft, auf dem sich die Handlung entspinnen kann.
Für die erst zweite szenische Produktion dieser Oper nach deren langem Schlaf – die erste wurde beim Wexford-Festival 2013 gezeigt – hat man in Oldenburg Michael Sturm gewinnen können, der die vielschichte Story im Liebe, Staatsraison und persönliche Bedürfnisse stringent erzählt. Er zeigt Cristina als kalte Despotin, die die Menschen um sich herum wie Marionetten steuert, um ihren Willen durchzusetzen. Sie kleidet sich konsequent in Männeranzügen, wird nur in der einzigen Szene fraulich, in der sie als Privatperson gezeigt wird. Eingefasst ist die Handlung in einen Rahmen, der den Weg der Regentin von Kindesbeinen an (während der bespielten Ouvertüre stellt die kleine Julie Günzel das Kind Christina mit überragendem Talent überzeugend dar) bis zu deren Abdankung. Der Einheitsbühnenraum von Stefan Rieckhoff ist in königsblau gehalten und fungiert als Thronsaal, Kirche und Gerichtssaal gleichermaßen, die gelungenen, weitestgehend modernen Kostüme betonen die Zeitlosigkeit des Ansatzes, lediglich die Portraits von Christinas Vorfahren verorten das Geschehen in Schweden. Ausgeklügelte Personenführung erzeugt Spannung und Bewegung, so dass eigentlich ein durch und durch überzeugender Abend gelingen könnte, ABER: warum bemüht Sturm das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe in der ersten Hälfte des Abends dermaßen penetrant, obwohl weder Libretto noch Musik Hinweise darauf geben, um diesen so sehr strapazierten Faden in der zweiten Hälfte des Abends nicht einmal mehr ansatzweise aufzunehmen? Das wirkt wie plakative, gewollte Provokation ohne tieferen Erkenntnisgewinn und ist dermaßen unlogisch, dass es den grundsätzlich positiven Gesamteindruck doch enorm beeinträchtigt.
Musiziert wird auf beachtlichen Niveau. Foroni wollte es wohl hymnisch, wie man an der enormen Bläserbesetzung im Verhältnis zu den Streichern erkennen kann.. Vito Crisófaro hält am Pult die Fäden zusammen, läßt beschwingt aufspielen, gibt aber auch dem Pathos Raum und präsentiert eine Partitur voller – zumindest für diese Zeit – ungewohnter Harmonik und toller Farben. Angefangen bei Alexander Murashov und Anna Avakian, die in den kleineren Rollen durchaus Akzente setzen, über Philipp Kapeller, dessen heller Tenor als Johan aufhorchen lässt, Tomasz Wija, der einen verschwörerischen Messenius gibt, und Ill-Hoon Choung, der als eindrucksvollem Axel Oxenstienera überzeugt, präsentiert sich ein starkes Sängerensemble. Paulo Ferreira verfügt über einen kraftvollen Tenor mit sicherer Höhe, kann sich aber auch zurücknehmen und gestaltet seine Arie im ersten Akt mit unvegleichlicher dolcezza. Melanie Lang ist als seine Geliebte Maria zu sehen. Ihr Mezzo ist mächtig nachgedunkelt, seit ich sie das letzte Mal habe hören dürfen, und glänzt nun mit warmem Timbre, hoher Beweglichkeit und ist auch zu überzeugenden Ausbrüchen fähig. Das macht neugierig auf die „Carmen“, die sie in der kommenden Spielzeit in Oldenburg präsentieren wird. Ensemblemitglied Daniel Moon als Carlo Gustavo bringt seinen beeindruckenden Bariton wahrlich betörend zum Einsatz. Da leuchten dermaßen viele Farben, dass man es kaum zu beschreiben vermag. Das Duett mit Cristina im letzten Akt wird so zu einem der Höhepunkte des Abends. Nicht ganz so überzeugt mich der von Thomas Bönisch einstudierte Chor. Während die Herren eine mehr als solide Leistung zeigen, gibt es bei den Damen doch ein erheblich weniger homogenes Klangbild, einzelne Stimmen stechen fast unangenehm hervor. Schade.
Man fragt sich in der ersten Hälfte des Abends mitunter, warum die Oper „Cristina“ heißt, denn erst im zweiten Teil gibt Foroni Miriam Clark Gelegenheit, ihr Können zu zeigen, indem er die Rolle erst recht spät mit dafür umso halsbrecherischeren Koloraturen und ausdrucksvollen Kantilenen versieht. Die sind bei der jungen Sängerin in besten Händen: geschmeidig und mit so bombensicherer wie feiner Höhe, berührender Mittellage und fast bedrohlicher Tiefe zeigt ihr beweglicher Sopran sämtliche Facetten und macht den Abend so zu ihrem Triumph.
Es ist also ein Abend mit kleinen Wermutströpfchen. Die Musik ist dennoch mit Sicherheit eine Entdeckung wert, erinnert eher an den frühen Verdi als an die Belcantisten. Aber sie packt mich emotional nicht ganz so wie die Raritäten, die man derzeit in Braunschweig, Gelsenkirchen oder Freiburg zeigt. Empfehlenswert ist die Produktion aber allemal. Und sollten Sie diese Spielzeit keine Aufführung mehr besuchen können: Oldenburg nimmt die Foroni-Ausgrabung erfreulicherweise auch in der kommenden Spielzeit wieder ins Programm.
Ihr Jochen Rüth / 28.5.2016
(Bilder siehe unten)