
Bevor es mit Les contes d’Hoffmann („Hoffmanns Erzählungen“) richtig losgeht, sieht man einen Putzmann, der die Bühne mit einem Feudel bearbeitet. Er entpuppt sich später als Frantz (Seumas Begg), dem Faktotum im Hause des Rats Crespel (Irakli Atanelishvili). Sein pointiert vorgetragenes Couplet singt er zwischen dem Antonia-Akt und dem Venedig-Bild. Damit sind wir bei der Reihenfolge der Akte: Regisseurin Angela Denoke hat sich in ihrer Oldenburger Konzeption für Olympia-Antonia-Giulietta entschieden. Auch musikalisch mussten bei der Fülle des Materials und den verschiedenen Fassungen Entscheidungen getroffen werden. So wird die Partie der Muse deutlich aufgewertet. Die ausgezeichnete Dorothee Bienert hat in der Rolle viel mehr als üblich zu singen. Die berühmte, allerdings nachkomponierte Spiegel-Arie des Dapertutto wurde leider durch Offenbachs ursprüngliche Arie ersetzt, dafür blieb aber das ebenfalls nachkomponierte Septett erhalten zum Glück, denn dies gehörte zu den musikalisch eindrucksvollsten Momenten. Hier und bei dem in fast oratorischer Ruhe erstrahlenden Chorfinale setzten, die von Thomas Bönisch und Felix Schauren einstudierten Chöre wahre Glanzpunkte.
Angela Denoke erzählt in ihrer Inszenierung von der Emanzipation dreier Frauen. Olympia sieht aus wie ein Männertraum a la Marilyn Monroe. Sie ist keine Puppe, sondern eine instrumentalisierte Frau. Wenn sie wieder aufgezogen werden soll, befreit sie sich und tritt ihrem „Schöpfer“ Spalanzani (pardon!) in die Eier. Auch Antonia befreit sich von dem Gesangsverbot ihres Vaters und entscheidet sich für ein Dasein als Künstlerin – leider mit tödlichem Ausgang. Giulietta schließlich löst sich aus dem Zugriff Dapertuttos und verfolgt eigene Rachepläne gegen Hoffmann, weil der sich abfällig über sie geäußert hat. Und eigentlich gehört auch die Muse in diese Reihe, weil sie aus ihrer Rolle schlüpft und sich zu ihrer Liebe zu Hoffmann bekennt.

Das Bühnenbild von Susana Mendoza ist schlicht und funktional. Luthers Weinstube findet nicht statt, da gibt es auf schwarzer Bühne nur ein paar Hocker. Für den Olympia- und den Giulietta-Akt wird eine Art Showtreppe aufgebaut, auf der es ordentlich glitzert. Und das Antonia-Bild führt mit einem riesigen Himmelskörper in kosmische Räume. Das Giulietta-Bild bleibt für den sich nahtlos anschließenden Epilog erhalten. Alle Mitwirkenden stehen auf der Bühne, auch Hoffmanns drei Geliebte präsentieren sich einträchtig in erhobener Position. Ein starkes Bild!
Der Hoffmann ist bei Jason Kim ein Mensch, der voller Unrast nach dem Glück sucht. Man sieht (und hört) hier nicht unbedingt einen schwärmerischen Poeten, sondern einen von existenzieller Sinnsuche Getriebenen. Mit seinem virilen, kraftvollen Tenor erfüllt er alle Anforderungen der Partie. Seine vier Gegenspieler gestaltet Seungweon Lee mit stimmlicher Wucht und brutaler Ausstrahlung, etwa wenn er sich gleich zu Beginn rücksichtslos auf Stella stürzt (dargestellt von der Tänzerin Eleonora Fabrizi). Mit blitzsauberen Koloraturen begeistert Penelope Kendros als Olympia und Tetiana Miyus gelingen mit ihrem warmen Sopran schönste Gesangslinien. Für die Giulietta hätte man sich eine etwas sinnlichere und fülligere Stimme als die von Adréana Kraschewski gewünscht. Hervorzuheben sind noch Marija Jokovic als Stimme der Mutter und Johannes Leander Maas als skurriler Spalanzani.
Vito Cristofaro am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters war der Garant für eine spannende und klanglich opulente Wiedergabe.
Wolfgang Denker, 27. April 2025
Hoffmanns Erzählungen
Oper von Jacques Offenbach
Oldenburgisches Staatstheater
Premiere am 26. April 2025
Inszenierung: Angela Denoke
Musikalische Leitung: Vito Cristofaro
Oldenburgisches Staatsorchester
Weitere Vorstellungen: 30. April, 4., 6., 24, 28-, 30. Mai, 13. Juni, 1. Juli 2025