Premiere am 05.05.2018
Realistischer Schluß, denn es gibt keine Märchen
Die meisten Opern enden traurig oder tödlich. Gioachino Rossinis „La Cenerentola“ gehörte bisher nicht dazu. Bisher – denn Regisseur Axel Köhler hält in seiner Oldenburger Inszenierung am Ende eine überraschende Wendung bereit, die die märchenhafte Komödie im Handumdrehen in ein Trauerspiel verwandelt.
Während der von Vito Cristofaro in Bezug auf Tempi und Dynamik hervorragend dirigierten Ouvertüre hebt sich der Vorhang und gibt den Blick auf einen trostlosen Hinterhof inmitten von alten Industrielagerhallen frei. Angelina (Cenerentola) schuftet dort bis zur Erschöpfung und schleppt Pakete, während sich ihre Kollegen (das sind später Don Ramiro und Dandini) mit zwei aufgetakelten Mädels (die Schwestern Clorinda und Tisbe) amüsieren. Angelina wird von allen schikaniert, auch vom Lagerchef Don Magnifico. Mobbing und Ausgrenzung sind auf der Tagesordnung. Mit einem obdachlosen Lumpensammler (Alidoro), der seine wenigen Habseligkeiten in einem Einkaufswagen transportiert, hat Angelina als Einzige Mitleid. Irgendwann sinkt Angelina ohnmächtig zu Boden und erlebt die eigentliche Märchengeschichte als Traum, in dem sich ihre „Arbeitskollegen“ in die Figuren der Oper verwandeln.
Und dieses „Märchen für Erwachsene“ inszeniert Axel Köhler, der renommierte Countertenor und erfahrene Regisseur, durchweg vergnüglich. Da wird das gegenseitige Angezicke von Clorinda und Tisbe bis zu handgreiflichem Slapstick auf die Spitze getrieben, da entwickeln sich die Auftritte von Don Magnifico und Dandini mit feiner, nie aufgesetzter Komik. Und die Begegnung zwischen Don Ramiro und der zur Prinzessin gewandelten Angelina trifft mitten ins Herz. Köhler findet stets die richtige Balance zwischen turbulenter Aktion und Momenten der Ruhe (in den großen Ensembleszenen. Das Schloss des Prinzen wird mit Vorhängen und Kronleuchtern bestens imaginiert, sodass der triste Hinterhof schnell vergessen ist. Arne Walther sorgte mit seinem Bühnenbild und seinen Kostümen für die stimmige Ausstattung.
Wenn der Prinz seine Angelina wiederfindet (ein Armreifen ist das Erkennungsmerkmal) kann eigentlich für das glückliche Ende nichts mehr schiefgehen. Aber irgendwie muss Köhler ja den Anschluss an den Anfang herstellen. Und der gelingt ihm überraschend stimmig, wenn auch die komödiantische und glückliche Stimmung dadurch wie durch einen Schlag in die Magengrube getroffen wird. Angelina (von einem Double gespielt) liegt tot auf dem Boden, während die anderen betroffen und trauernd um sie herumstehen. Die letzte Arie singt nur noch der (bleich geschminkte) Geist Angelinas. Die mit schwarzen Gewändern und Zylindern gekleidete Hofgesellschaft des Prinzen steht plötzlich für das Totengeleit Angelinas. Das war handwerklich gut umgesetzt und entlässt den Zuschauer mit gleichermaßen heiteren und nachdenklichen Gefühlen.
Diese Oldenburger „Cenerentola“ kann mit einer überzeugenden Ensembleleistung aufwarten. Allen voran begeistern Yulia Sokolik in der Titelpartie und Philipp Kapeller als Don Ramiro. Sokolik führt ihren purpurn gefärbten, sinnlichen Mezzo mit einem Klang wie aus Samt und Seide koloratursicher durch alle Lagen. Kapeller begeisterte schon als Tonio in der „Regimentstochter“. Auch hier kann er mit seinem höhensicheren Tenor und mit viel Stilempfinden überzeugen. Alexandra Scherrmann (Clorinda) und Melanie Lang (Tisbe) sind an Spielfreude kaum zu übertreffen. Der Spaß, den sie offensichtlich an ihren Partien haben, ist in jedem Moment spürbar. Davide Fersini (Dandini) und João Fernandes (Don Magnifico) würzen ihre Aufgaben mit viel Komik, Tomasz Wijja gibt dem Alidoro würdevolles Profil.
Wie schon bei der Ouvertüre sorgen Vito Cristofaro und das Oldenburgische Staatsorchester für eine durchgängig spritzige und lebendige Wiedergabe. Auch der Herrenchor (Einstudierung Felix Pätzold) erfüllt seinen Part tadellos. Insgesamt eine Produktion, die (bis auf den Schluss) heitere und beste Unterhaltung garantiert.
Wolfgang Denker, 06.05.2018
Fotos von Stephan Walzl