Bericht von der Premiere am 24. Februar 2019
Irgendwas mit Medien
Das Resümee dieses Premierenabends kann man am besten mit einem Bonmot des Wiesbadener Intendanten Laufenberg zusammenfassen: „Danke, daß ich diese Oper erleben durfte. Jetzt weiß ich, warum sie nicht gespielt wird.“ Laufenberg hatte sich seinerzeit im Gespräch mit dem OPERNFREUND skeptisch zur Lebensfähigkeit sogenannter Ausgrabungen geäußert und seinen Ausspruch am Beispiel von Korngolds Wunder der Heliane verdeutlicht. Auch auf die jüngste Ausgrabung durch die Oper Frankfurt, Smetanas Dalibor, paßt er genau. Dabei ist das Bonmot bei näherer Betrachtung gar nicht so vernichtend, wie es auf den ersten Blick scheint. Es hat nämlich zwei Teile.
1. Danke, daß ich diese Oper erleben durfte
Nicht nur Smetana war der Meinung, daß es sich bei Dalibor um einen seiner besten Beiträge zum Musiktheater handelt, bedeutender jedenfalls als sein Erfolgsstück Die verkaufte Braut. Auch in der Musikwissenschaft wird die Qualität jedenfalls der Komposition mit Anerkennung behandelt. Ulrich Schreiber widmet ihr in seiner monumentalen Geschichte des Musiktheaters gleich mehrere Seiten. Im wie stets materialreichen Programmheft hat die Oper Frankfurt einen Beitrag des kürzlich verstorbenen Musikkritikers Hans-Klaus Jungheinrich veröffentlicht, in dem dieser überzeugend die Besonderheiten der Partitur herausarbeitet: ihre Anverwandlung von Wagners Leitmotivtechnik, die hier doch ihr eigenes Gepräge erhält, ihre genau kalkulierte Harmonik zwischen konstruierter Dreiklangs-Einfachheit und Tristan-Modernität. All das ist auch an diesem Premierenabend zu hören. Dafür steht das gut aufgelegte Orchester unter der Leitung von Altmeister Stefan Soltesz. Er sorgt für einen sehr feinen, schlackelosen und transparenten Klang, der einem Solistenensemble ohne Ausfälle gleichsam den roten Teppich ausbreitet. Dies ist ein außerordentlich sängerfreundliches Dirigat, welches es den Protagonisten erlaubt, in ihren fordernden Partien nie zu forcieren.
In der Titelrolle überzeugt Aleš Briscein. Er verfügt über einen hell timbrierten Tenor, der sehr ausgiebig das Kopfregister nutzt. Damit kann er ein beeindruckendes Volumen erreichen. Im Gegensatz zu anderen Sängern mit dieser Technik gelingt es Briscein jedoch, seinen hellen Tönen mit gut dosiertem Vibrato Farbe und Lebendigkeit zu verleihen. Wenn die Oper Frankfurt auf ihrer Homepage und im Programmheft auf Parallelen zu Wagners Lohengrin hinweist, so kann man sich jedenfalls Briscein auch gut als Wagners Schwanenritter vorstellen. Ein großartiges Hausdebüt legt Izabela Matuła in der weiblichen Hauptrolle der Milada hin. Zu hören ist ein sicher geführter jugendlich-dramatischer Sopran mit großer Leuchtkraft. Der musikalische Höhepunkt des Abends ist ihr gemeinsames Liebesduett mit Briscein im zweiten Akt. Die beiden machen nachvollziehbar, warum Ulrich Schreiber hier „tristaneske Ekstatik“ erkannt hatte. Als einzige weitere weibliche Solistin hebt sich Angela Vallone in der Rolle der Jitka mit frischem, jugendlich-leichtem Sopran von der dramatischeren Stimme der Matuła ab. Dazu fügt sich gut Theo Lebow als ihr Liebhaber Vitek mit seinem schlanken Tenor.
Izabela Matuła (Milada; in blauem Mantel), Thomas Faulkner (Beneš; auf dem Boden liegend) und Aleš Briscein (Dalibor; auf den Bildschirmen)
Die tiefen Männerstimmen sind rollendeckend und charakteristisch mit Frankfurter Eigengewächsen besetzt. Gordon Bintner zeichnet mit seinem saftigen Bariton einen jugendlichen König Vladislav. In ausgezeichneter Form präsentiert sich das ehemalige Ensemblemitglied Simon Bailey in der Rolle des Kanzlers Budivoj. Mit kerniger Stimme und präziser Diktion zieht er in seinen kurzen Einsätzen die Aufmerksamkeit auf sich. Einen fabelhaften Eindruck hinterläßt Thomas Faulkner als Gefängniswärter Beneš. Sein runder Baß hat seit der Übernahme vom Opernstudio ins Ensemble an Fülle und Sonorität gewonnen.
Smetana gönnt allen wichtigen Figuren mindestens einen großen Soloauftritt. Und alle Sänger des Abends wissen diese Vorlagen zu nutzen. Dabei hat es sich als kluge Entscheidung erwiesen, die Oper auf Deutsch zu spielen statt auf Tschechisch. Das Libretto nämlich hatte Josef Wenzig in deutscher Sprache verfaßt, und Smetana hatte den ersten Gesangstakten der Partitur auch den deutschen Text unterlegt. Zwar wechselte er im Verlauf der Komposition zu einer tschechischen Übersetzung, hatte aber bei der Behandlung von Rhythmus und Betonungen weiter den deutschen Text vor Augen, wie Ulrich Schreiber nachgewiesen hat. Das Frankfurter Produktionsteam hat sich nach Auskunft der Regisseurin für die Verwendung einer deutschen Textfassung entschieden, die sehr nahe am Originaltext ist. So erlebt man einen natürlichen Sprachduktus und kann sehr gut die Wort-Ton-Beziehungen nachverfolgen.
Wegen dieser geglückten musikalischen Umsetzung gilt: Danke, daß wir das erleben durften!
2. Jetzt weiß ich, warum die Oper nicht gespielt wird.
Das Stück funktioniert aber wohl nur als tschechische Nationaloper. Deswegen ist es in Tschechien weltberühmt und im Rest der Welt unbekannt. Nach diesem Premierenabend darf man die Prognose wagen: Das wird auch so bleiben.
Ritter Dalibor hat den Grafen Ploskovic ermordet, aus Rache für den Mord an seinem Freund Zdenek. Nun wird ihm unter dem Vorsitz von König Vladislav der Prozeß gemacht. Milada, die Schwester des ermordeten Grafen, tritt als Zeugin auf. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Aussage wird Dalibor zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Allerdings hat sie sich in den Mörder ihres Bruders während des Prozesses spontan verliebt. So sucht sie ihn als Mann verkleidet im Kerker auf, um ihn zu befreien. Der Fluchtversuch mißlingt und beide finden den Tod.
Dieser Plot strotzt vor dramaturgischen Schwächen. Er imitiert ungeschickt Beethovens Fidelio, amputiert aber dessen Grundkonstellation in mehreren wichtigen Punkten. Es gibt keinen Bösewicht, der als Gegenspieler den nötigen Kontrast zum Titelhelden bilden könnte, der angebliche Freiheitsheld ist ein (zu Recht) verurteilter Mörder. Als Mordmotiv überlagert die Rache für den Tod eines Freundes den Kampf für die Freiheit. Die spontan im Gerichtssaal entflammte Liebe Miladas ist völlig unglaubwürdig. Ein Liebesduett im Kerker wirkt aufgepfropft. Kurz zuvor hatte sich der Titelheld noch in schmachtender Erinnerung an den getöteten Freund ergangen.
Regisseurin Florentine Klepper hat erst gar nicht versucht, etwa durch tiefenscharfe Persönlichkeitszeichnungen die Motivation der Protagonisten zu plausibilisieren. Ihr geht es um eine Aktualisierung des mittelalterlichen Stoffes durch etwas, das sie für politisch hält. Der Einstieg gelingt dabei noch vielversprechend, indem die Gerichtsszene als Court-TV-Show in einem Fernsehstudio präsentiert wird. Der König erscheint als Moderator, sein Kanzler als Produzent. Das Urteil wird vom Publikum per Knopfdruck gefällt. Hier überzeugen einige Momente von ironischer Medienkritik.
Allerdings vermag Klepper es nicht, daraus eine schlüssige, durchgearbeitete Sicht auf den Handlungsablauf abzuleiten. Es scheint überhaupt so, als sei der Regisseurin die Substanz des Stückes gleichgültig. Das Programmheft denunziert hier in einem wichtigen Punkt die Regie. Im eigens anläßlich dieser Produktion erstellten Beitrag „So schön wie nie ertönt dein Freiheitslied“ heißt es:
„Smetana verarbeitet in seiner Oper diese Legende, indem er das Motiv der Geige in ein Sinnbild der Sehnsucht nach Freiheit und der übermächtigen Wirkungsmacht von Musik verwandelt. Denn das Instrument ist nicht bloßes Requisit, sein Klang ist vielmehr integraler Bestandteil der Handlung dieser ungewöhnlichen Freiheitsoper.“
Schön gesagt und überzeugend dargelegt. Leider hat sich das Produktionsteam dafür entschieden, ausgerechnet auf dieses zentrale Requisit zu verzichten. Die Geige wird ersetzt von einem Paar Kopfhörer. Dalibor trägt sie, wenn er zum Prozeß geführt wird. Milada schmuggelt sie ihm später ins Gefängnis. Da es um die geistige Kraft der Musik geht, haut das gerade so noch hin. Als „Sinnbild der Sehnsucht nach Freiheit“ wirken Kopfhörer jedoch ziemlich matt. Diese Mattheit bestimmt den Gesamteindruck, und sie paart sich mit Unentschlossenheit. Es wird nicht klar, wofür dieser Dalibor eigentlich kämpft. Eine als linksautonomer Mob gekennzeichnete Menge von Aufständischen sprüht an die Wand:
Fuck the system. Aber warum bloß? Wenn dies eine Freiheitsoper sein soll, müßte doch deutlich werden, wer hier wovon befreit werden soll.
Der FAZ hat die Regisseurin verraten, sie habe bei ihrem Vorhaben der Aktualisierung des Stoffes die Titelfigur zunächst als Anhänger der Identitären Bewegung gesehen. Im Programmheft nennt sie als weitere Assoziationen die G-20-Krawalle von Linksextremisten, den Überfall auf den AfD-Politiker Magnitz, Hacker-Angriffe auf Politiker und – etwas kurios – einen „medialen Schlag gegen den Grünen-Politiker Robert Habeck“. Das alles ist für sie unterschiedslos „Gewalt“. So rührt sie eine indifferente Politiksoße an und bemerkt die inhärenten Unschärfen und Widersprüche bei ihrem Herumstochern im trüben Aktualisierungsungefähr nicht. Da spricht sie mit dem Brustton der Überzeugung von „offenkundig angewachsenen Ungerechtigkeiten“, hat aber noch einen Satz zuvor zu Recht gefragt: „Wer bestimmt überhaupt, was Gerechtigkeit ist?“ Ist wohl nicht so wichtig. Man wird ja mal fragen dürfen.
Matter Liebestod: Aleš Briscein (Dalibor) und Izabela Matuła (Milada)
Als „Mittelpunkt meiner Überlegungen zu diesem Werk“ benennt sie dagegen einen Ausspruch Dalibors: „Macht gegen Macht ist das Weltgesetz. … Und stündet Ihr mir, König, dann im Weg, so richt‘ die Waffe ich gegen Euch.“ Es wird kaum je klar, wer denn wodurch welche Macht ausübt. Die allgegenwärtigen Kameras und Monitore geben darauf auch keine einleuchtende Antwort. Irgendwas mit Medien eben. Weil die Regisseurin sich aber nicht für die Motivation ihrer Hauptfigur interessiert, bleibt dieser angebliche Mittelpunkt blutleer. Dalibor ist so weder Held noch Schurke. Dem Stück fehlt es damit an einer Identitätsfigur. Was bleibt, ist eine unglaubwürdige, tragisch endende Liebesgeschichte unter widrigen Bedingungen. Leider berührt sie nicht. An keiner Stelle fühlt, hofft oder bangt man mit einem der Beteiligten. Entsprechend matt, ja geradezu schütter gerät der Applaus bei den Aktschlüssen. Diese Teilnahmslosigkeit stellt der Regie ein viel vernichtenderes Zeugnis aus als das Buhgewitter, mit dem das Regieteam am Ende überzogen wird. Kein Zweifel: Diese Produktion ist beim Premierenpublikum durchgefallen.
Michael Demel, 25. Februar 2019
Bilder (c) Monika Rittershaus
Die Premiere wurde vom Hessischen Rundfunk in Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur aufgezeichnet. Sendetermine sind der 9. März 2019, 20.04 Uhr auf hr2-kultur und der 13. April 2019, 19.05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur.