Frankfurt: „The Prodigal Son / The Burning Fiery Furnace“, Benjamin Britten

Das Bockenheimer Depot ist eine Spielwiese für kreative Bühnenbildner, die von dem architektonischen Rahmen und der Offenheit in der Raumgestaltung immer wieder zu außergewöhnlichen Rauminstallationen inspiriert werden. Auch in der aktuellen Produktion mit zwei „Kirchenparabeln“ von Benjamin Britten ist es erneut einem Produktionsteam gelungen, den Zuschauer bereits beim Betreten der Spielfläche zu beeindrucken. Für sein Bühnenbild hat Bernhard Siegl 24 Tonnen Lehm herbeischaffen lassen und damit eine gewaltige, staubtrockene Ackerfläche mit breiten Furchen als Rauminstallation gestaltet, welche sich über eine große Länge erstreckt und deren Breite von den Säulen des Depots bestimmt wird. Zwischen den Säulen sind die aufsteigenden Zuschauertribünen eingelassen, so daß der Eindruck von Haupt- und Seitenschiffen wie in einem Kirchenbau entsteht. Die Grundanlage von Spielfläche und Zuschauertribünen erweist sich damit als eine Reminiszenz an den Ort der Uraufführung. Britten hatte die „Parabeln“ als Mischform von mittelalterlichem Mysterienspiel und Kammeroper für Aufführungen in der Dorfkirche des kleinen englischen Orts Orford konzipiert. Der staubige Acker im Mittelschiff knüpft zudem naturalistisch an die Handlungsorte der beiden Stücke im Nahen und Mittleren Osten an. Im eröffnenden Gleichnis vom verlorenen Sohn (The Prodigal Son) wird der Acker von den Knechten des Vaters mit Hacken bearbeitet. In der alttestamentarischen Geschichte von den Jünglingen im Feuerofen (The Burning Fiery Furnace) des zweiten Teils nimmt er das Nebenmotiv eines ausgetrockneten Landstrichs auf, dessen für die Bewässerung nötiger Fluß zu den blühenden Gärten Babylons umgeleitet wurde.

© Barbara Aumüller

Britten läßt die Handlung der beiden Parabeln von gregorianischen Chorälen einrahmen, zu denen nach seiner Vorstellung die Protagonisten, in Mönchskutten gekleidet, in feierlicher Prozession einziehen sollen. Erst dann sollen sie auf offener Bühne in die Kostüme ihrer jeweiligen Rolle schlüpfen. Die Inszenierung von Manuel Schmitt hält sich an diese Vorgabe und wahrt damit den ritualisierten Grundcharakter der beiden Stücke. Als Verneigung vor dem Aufführungsort tragen die Mönche zudem während ihrer Einzugsprozession ein Modell des Bockenheimer Depots wie einen Reliquienschrein herein. Die eigentliche Handlung wird sodann jeweils sehr plastisch und lebendig dargeboten. Dabei nutzt der Regisseur die gesamte Länge der Spielfläche, was zur Folge hat, daß das Publikum je nach seiner Platzierung die Darsteller einmal in unmittelbarer Nähe erlebt, ein anderes Mal aus größerer Distanz. Das Produktionsteam mag es dabei deutlich. Im ersten Teil etwa darf der verlorene Sohn zum dekadenten Verprassen seines Erbes auf der goldenen Skulptur eines Schweins reiten. Dazu changiert eine Leuchtschrift aus Neonröhren durch permanenten Wechsel des Vokals zwischen den englischen Wörtern „Sin“ und „Son“. Der zweite Teil zeigt eine gewisse Lust am Spektakel. In einer riesigen Lehmform wird ein Götzenbild gegossen, wozu aus einem darüber von der Decke herabhängenden Metallgefäß ein Funkenregen spritzt. Die Mitglieder des Chores haben dazu Feuerschutzkleidung wie Arbeiter an Hochöfen übergestreift. So zeigen der äußere Rahmen von Rauminstallation und Inszenierung sich in strenger Werktreue, um dann die biblischen Erzählungen mit sinnlicher Kreativität zu illustrieren.

© Barbara Aumüller

Bloß acht Musiker sehen die Partituren vor, allesamt im solistischen Einsatz. Eine Orgel als Harmonieinstrument sorgt auch akustisch für einen sakralen Grundton und ersetzt den Streicherapparat, denn auf Geigen und Celli verzichtet Britten vollständig. Lediglich eine Bratsche und ein Kontrabaß kommen zum Einsatz, dazu Flöte, Horn und Harfe, in Prodigal Son noch eine Trompete und in Burning Fiery Furnace eine Posaune. Eine prominente Rolle spielt in beiden Teilen das Schlagzeug. Die Instrumentalsolisten des Frankfurter Opernorchesters formen Brittens herbe Klänge unter der Leitung von Lukas Rommelspacher plastisch aus.

In beiden Teilen tritt als Moment des epischen Theaters zunächst ein Abt auf, der sich im Predigtton einleitend an das Publikum wendet. Er kündigt jeweils an, nun zu Demonstrationszwecken die Rolle eines Bösewichts zu übernehmen. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn schlüpft er in die Rolle des Versuchers, der dem jüngeren Sohn das Gift der Unzufriedenheit einträufelt und als unheilvoller Begleiter in den Abgrund eines sündhaften Lebens führt. Britten hat diese Partie seinem Lebensgefährten Peter Pears auf den Leib geschrieben. Michael McCown kommt dessen Stimmcharakteristika mit seinem hellen und doch markanten Timbre sehr nahe. Mit nuancierter Artikulation und geschmeidigem Spiel gibt er einen teuflisch guten Verführer, im zweiten Teil einen herrlich exaltierten König Nebukadnezar. In diesem zweiten Teil schlüpft der Abt in die Rolle eines Hofastrologen, der Nebukadnezar manipuliert. Britten hat die Partie hier für einen Bariton gesetzt. Danylo Matviienko trumpft dabei mit saftiger und viriler Stimme auf. Attraktives Baritonmaterial zeigt neben ihm auch Jarrett Porter als wunderbar blasierter Herold. Im ersten Teil hatte er bereits sehr glaubhaft den wütenden älteren Sohn gegeben. Der junge Sänger hat sich schon in seinem ersten Jahr als Mitglied des Opernstudios in vielen Einsätzen derart glänzend bewährt, daß man sich nicht wundern würde, wenn er in naher Zukunft in das feste Ensemble übernommen würde. Als verlorener Sohn profiliert sich im ersten Teil Brian Michael Moore mit seinem gut durchgeformten lyrischen Tenor und intensivem Spiel. Im zweiten Teil fügt er sich zu einem glänzend besetzen Trio der drei aufrechten Juden mit Barnaby Rea und Pilgoo Kang. Ein Vokalensemble von jungen Nachwuchssängern bildet einen vorzüglichen Chor. Frisch und erstaunlich unerschrocken singen und agieren fünf Mitglieder des hauseigenen Kinderchores.

Brian Michael Moore als verlorener Sohn / © Barbara Aumüller

Der Begriff des „Gesamtkunstwerks“ wird oft strapaziert. Hier ist er angemessen. Jede der Komponenten kann eigenständig überzeugen: Die faszinierende Rauminstallation, die sinnliche und plastische Inszenierung und die vorzügliche musikalische Umsetzung mit starken Gesangsleistungen. Das alles fügt sich zu einem außerordentlichen Musiktheatererlebnis.

Michael Demel, 5. April 2023


Benjamin Britten: The Prodigal Son / The Burning Fiery Furnace

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot

Bericht von der Premiere am 2. April 2023

Bühnenbild: Bernhard Siegl
Inszenierung: Manuel Schmitt
Musikalische Leitung: Lukas Rommelspacher

Weitere Aufführungen am 8., 10., 12., 14., 17. und 19. April 2023.