Joseph Haydns Oratorien schaffen es immer wieder auf die Spielpläne der Opernhäuser und so konnten in der Vergangenheit besonders die Werke Händels aus dieser Gattung eine szenische Umsetzung erleben. Haydns „Schöpfung“ ist hier eher eine Rarität und man mag sich gedacht haben, dass gerade der so dramatisch auskomponierte Erschaffungsmoment „Und es ward Licht“ im übertragenen Sinne eine perfekte Versinnbildlichung für die Wiedereröffnung des sanierten Kölner Opernhauses sein könne, wo man diesen Abend eigentlich hätte spielen wollen. Nun kam alles anders und man sitzt wieder im Dauerprovisorium des Staatenhauses und schaut sich diesen sehr wechselhaften Abend eben dort an. Warum aber nun die Schöpfung? Sicherlich ist die Musik Haydns von wunderbarer Qualität, hat ihre dramatischen Momente, herrliche Arien, majestätische Chöre… aber was will man wirklich damit? In Zeiten des Klimawandels könnte man eine Aktualisierung vermuten, vielleicht eine ummantelnde Geschichte, wie es einst Armin Petras bei Mozarts Requiem an der Komischen Oper in Berlin tat, als er auch ein musikalisches Werk auf die Bühne brachte, das augenscheinlich eher für Konzertsaal oder Kirche taugt. Welche Idee verfolgt man also den objektiv betrachtet kindlich naiven Schöpfungsmythos auf die Bühne zu bringen? Welche szenische Intention steckt dahinter? Diese Frage stellt man sich als Zuschauer und leider bekommt man keine Antwort auf diese Frage, was doppelt ärgerlich ist, da man der exquisiten musikalischen Seite des Abends eine ebensolche auf szenischer Seite gegönnt hätte.
Regisseurin und Choreographin Melly Still bebildert im ersten Teil des Abends die Erschaffung der Welt ausgesprochen bieder, ja, man möchte sagen sie adaptiert die einfache und naive Art der Erzählung und setzt diese in adäquate Bilder um. Wenn das Licht erschaffen wird, dann geht das Licht an, wenn es regnet, kommen Menschen mit Gießkannen und lassen es eben regnen und wenn es um die Erschaffung der Vögel geht, wedelt ein Tänzer dem Adler gleich mit den Armen. Natürlich ist das sehr eng an der Vorlage gedacht, aber diese so banalen Bilder offenbaren eine relative Ideenlosigkeit, denn hier wird nichts erzählt, es bleibt beim Dekorativen und das ist schade. So entstehen hübsche Bilder, die aber nur wenig dramatische Spannung erzeugen können. Erst nach der Pause offenbaren sich deutende, weiterführende Ansätze, kommen Ideen zur Weiterführung des Schöpfungsmythos hinzu und stellen die Frage nach dem Umgang des heutigen Menschen mit der im ersten Teil des Abends erschaffenen Welt. Kaum sind Adam und Eva auf der Welt, geht die Welt auch schon zu Grunde! Ja, auch diese Erkenntnis müssen wir sehen und blieb die Ästhetik des Abends sonst eher dezent, ja fast minimalistisch trägt der Chor nun auf einmal wirklich bemerkenswerte Kostüme aus Wohlstandsmüll. Die Bühne ist auf einmal bunt und grell bevölkert, was dem Auge durchaus guttut, denn bis dahin hatte man eine leere Spielfläche, an deren Ende sich fünf semitransparente Projektionsflächen befinden (Ausstattung: Merle Hensel) geschaut, auf der sich der gesungene Text und immer wieder thematisch passende Strukturen abbildeten. Auch das wirkte bis dahin alles eher dekorativ als sinnstiftend.
Die Personenführung des Abends und die Ausgestaltung des Geschehens hinterlassen einen nicht minder durchwachsenen Eindruck. Den drei im ersten Teil agierenden Engeln Gabriel, Uriel und Raphael wird ein Satan in Form einer Tänzerin zur Seite gestellt. Die szenische Ausgestaltung, geschweige denn eine Charakterisierung, bleibt eher hölzern. Aber überhaupt spielt der Tanz eine große Rolle, denn da wo bei den Singenden oftmals steifes Stehen an der Rampe verordnet ist, drehen die Tänzerinnen und Tänzer richtig auf. Das muss man mögen, denn die oftmals sehr expressive Körpersprache vermittelt nicht immer einen Bezug zur Musik, gleichwohl Präsenz und Spannung der Agierenden hie beachtlich sind. Ob das Mittel des Tanzes dem Abend nun hilft sei dahingestellt. Letztlich muss man sagen, dass es eben ein Abend der einfachen optischen Reize ist, der Bilder von großer Leichtigkeit erzeugt, was natürlich – und das ist sicherlich ein positiver Aspekt des Ganzen – einen viel größeren Fokus auf die musikalische Seite zulässt und die kann voll und ganz begeistern. Ein weiterer schwieriger Aspekt des Abends ist der Umgang mit dem Chor. Im ersten Teil des Abends bleibt er szenisch quasi ohne jegliche Relevanz. Mit vollmondartigen Masken bleibt er bloßer Klangkörper, ist weder Figur, noch hat er eine inhaltliche Funktion. Erst im zweiten Teil agiert er, bleibt aber hier auch eher dekorativ und umrundet Adam und Eva, die wiederum selbst kaum von der Rampe wegkommen. So wird alle Lebendigkeit auf der Bühne dem Tanz überlassen und hier bleibt es dem Zuschauer überlassen das zu mögen oder nicht, denn letztlich bleiben hier viele eingangs gestellte Fragen offen.
Für das Dirigat des Abends konnte man niemand geringeren als Mark Minkowski gewinnen und dieser musiziert einen luziden, spannenden Haydn, der, obwohl die Tempi oftmals sehr ruhig gewählt werden, durchweg begeistert. Das Gürzenich-Orchester folgt den Ideen Minkowskis, lässt sich auf dessen gewünschte Klangwelt ein und zeigt hochfein musizierten Haydn, der sich nicht so sehr dem großen Effekt, aber dafür sehr wohl der feinen Nuancierung, dem zarten Klang, einer weichen Homogenität und nicht zuletzt den humorvollen Ideen des Komponisten verschreibt. Die Solisten auf der Bühne überzeugen ebenfalls voll und ganz. Giulia Montanari als Eva bleibt ein wenig zurückhaltend, verfügt aber über einen wohlklingenden Sopran, der der Rolle dienlich ist. Ihr zur Seite mit etwas derberem, aber dennoch schönem Klang steht André Morsch, der den Adam kraftvoll interpretiert. Ein wirklich perfektes Trio bilden aber die drei Engel. Der junge Bass Alex Rosen gibt in Köln sein Hausdebüt und vermag mit einem sonoren Bass, der in den von Haydn punktuell geforderten extremen Tiefen, dennoch sicher klingt. Ihm zur Seite steht Kathrin Zukowski, die sich – wie so oft – in diesem Fach bestens behauptet. Sie konnte bisher schon beweisen, dass ihre Stimme für Mozart nahezu perfekt ist und tut dies bei Haydn ebenso. Ihr Klang ist stets in perfekter Harmonie mit dem Orchester, kleine Koloraturen perlen nur so dahin und wenn es Kraft braucht, bleibt es immer elegant. Ihr zur Seite steht Sebastian Kohlhepp, der ebenfalls in Köln schon mit Mozart überzeugen konnte. Als Idomeneo war noch mehr das Heldenhafte gefragt, hier darf er nun auch noch weitere Facetten seines musikalischen Könnens zeigen und das tut er auch zur Freude des Publikums: Akkurater Text, wohl timbriert in allen Lagen und Lautstärken überzeugt er komplett.
Am Ende des Abends zeigt sich das Publikum hochzufrieden und gerade den doch nicht wenigen jüngeren Menschen im Publikum schien gerade das gattungsübergreifende Momentum gut gefallen zu haben. Letztlich liefert dieser Abend auch eine Vielzahl schöner Bilder, hat eine Leichtigkeit und ist musikalisch in jedem Fall ein wahrer Genuss. Dennoch bleibt ein leises „warum?“ am Ende des Abends im Hinterkopf, aber vielleicht muss man im Theater nicht immer zu viel Bedeutung verlangen und sollte einfach mal genießen, einfach mal nur gucken und nicht zu viel denken. Draußen in der Welt ist es nach der Vorstellung ja wieder schlimm genug.
Sebastian Jacobs, 13. Oktober 2024
Joseph Haydn: Die Schöpfung
Oratorium in drei Teilen
Oper Köln
Premiere: 5. Oktober 2024
Besuchte Vorstellung: 12. Oktober 2024
Inszenierung und Choreografie: Melly Still
Musikalische Leitung: Mark Minkowski
Gürzenich-Orchester Köln