Köln: „Don Giovanni“, Wolfgang Amadeus Mozart (zweite Besprechung)

Das Multi-Talent E. Th. A. Hoffmann war und ist nicht der Einzige, der Mozarts „Don Giovanni“ zur „Oper aller Opern“ kürte. Kein Wunder, dass das Werk eine ungeheure Faszination auf Musiker und Regisseure ausübt. Eine Faszination, die zugleich mit dem Anspruch verbunden ist, Hoffmanns „Ritterschlag“ gerecht werden zu wollen. Der Glanz der Perfektion des Werks findet sich in der Bühnenwirklichkeit allerdings nur bedingt und selten wieder.

© Sandra Then

Abgesehen von den bei Mozart immer hohen musikalischen Herausforderungen wirft bereits die Charakterisierung der Titelrolle fundamentale Fragen auf. Wer ist dieser „Don Giovanni“ eigentlich, dessen Anziehungskraft sich nicht einmal die selbstbewusstesten Frauen aller Stände widersetzen können? Ein Schürzenjäger, der sein Charisma rücksichtslos ausnutzt? Oder ein Idealist, der seine radikale Vorstellung von sexueller Freiheit so kompromisslos auslebt, dass er nicht einmal vor dem Höllenfeuer ewiger Verdammnis zurückschreckt? Oder etwas ganz anderes?

Dreimal hat sich die Kölner Oper in den letzten 15 Jahren mit dem Stück auseinandergesetzt. Dreimal mit unterschiedlichen, nur teilweise überzeugenden Antwortversuchen. Uwe Eric Laufenberg sah 2010 in der Titelfigur kaum mehr als einen arroganten Snob, der sich für seinen Großmut feiert, auch Damen niederer Ränge zu beglücken. Fünf Jahre später vermochte es Emmanuelle Bastet nicht, der Figur in ihrer schwarz eingedunkelten Bühnenlandschaft prägnante, erkennbare Konturen zu verleihen. Sowohl Laufenberg als auch die französische Newcomerin wichen der Frage nicht zuletzt dadurch aus, dass sie den Frauenrollen mehr Beachtung schenkten als dem Titelhelden.

Viel mehr über den Mega-Macho erfahren wir auch in der jüngsten Inszenierung im Kölner Staatenhaus nicht. Die Italienerin Cecilia Ligorio hat sich in Köln zwar mit einer charmanten Inszenierung von Rossinis „Cenerentola“ die Herzen des Publikums erobern können. Aber der „Don Giovanni“ ist doch schon eine andere Hausnummer. Wenn sie „Don Giovanni“ als „Figur ohne Bewusstsein“ ankündigt, die mit ihrer instinktiven Energie die „wilde“, unkontrollierbare „Seite in uns“ zeigt, steht sie Hoffmanns Charakterisierung gar nicht so fern, nach der sich Giovanni schon auf Erden das nahm, „was bloß als himmlische Verheißung in unserer Brust wohnt. Vom schönen Weibe zum schönern rastlos fliehend; bis zum Überdruss, bis zur zerstörenden Trunkenheit ihrer Reize mit der glühendsten Inbrunst genießend“. Der Kölner Frauenheld präsentiert sich in der Tat als triebgesteuerter, gleichsam getriebener Potenzprotz, der pausenlos jeder Frau nachsteigt. Auch den Ballett- und Chordamen, wenn die drei Protagonistinnen Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina gerade nicht auf der Bühne stehen. Und die ganz wenigen Momente, in denen niemand greifbar ist, reibt er sich das Gemächte an einem Gemäuer wie ein brünstiger Stier. In diesem Kontext passt es, dass er gelegentlich mit einer Stiermaske die Frauenwelt aufscheucht.

© Sandra Then

Allerdings zeigt Cecilia Ligorio damit nur eine Fassette der Figur. Dass sich Don Giovanni mit seiner Philosophie bewusst dem Kampf mit allen religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Normen stellt und damit selbst Gott herausfordert, wird ausgeklammert, wodurch das dämonische Charisma völlig verlorengeht. Die Dämonie, die Mozart so genial und packend in Musik fasst und der die Figur ihre ebenso unheimlichen wie anziehenden Züge verdankt.

Es kommt deshalb auch nicht zur Höllenfahrt. Der Komtur sucht am Ende im bürgerlichen Gehrock den Sünder auf, der im Verlauf eines Gerangels tot auf der Festtafel liegen bleibt. Leichten Schauer verbreiten allein ein paar Nebelschwaden, ansonsten präsentiert sich die Todesszene so bühnenwirksam wie der Herzinfarkt eines gestressten Managers. Bitter und demütigend, dass Superman nicht einmal in den Armen einer Frau sein Leben aushauchen darf.

Das Profil des Titelhelden bleibt also, wie in den beiden letzten Kölner Inszenierungen, vage. Auch die Absicht, die Frauenfiguren präziser zu charakterisieren, gelingt nur teilweise. Denn ausgerechnet sie, die Giovannis Erfolgsserie beenden und zu seinem Absturz beitragen, treten längst nicht so selbstbewusst auf wie es Mozart in seiner Musik ausdrückt und fallen zeitweise in Momente naiver Ergebenheit zurück.

Umso stärkeres Format erhalten die beiden oft bemitleidenswert blass dargestellten Bräutigame. Gemeint sind der Masetto Zerlinas und vor allem Don Ottavio, der einmal nicht als ordentlicher, steifleinen langweiliger Gefährte Donna Annas ein Schattendasein führen muss, sondern sehr aktiv zur Demontage Don Giovannis und zur psychischen Stärkung Donna Annas beiträgt. Und der Diener Leporello ist im Aussehen und Verhalten kaum von seinem hochgestellten Herrn zu unterscheiden.

Der Verzicht auf die dämonischen und nicht erklärbaren Fassetten sowohl in der Gestalt der Titelfigur als auch im Verhalten der Frauen lässt Mozarts Oper in Köln wie die den „metoo“-Fall einer langen Zeit umschwärmten Super-Stars aussehen inklusive bunter und munter kopulierender Ballett-Häschen, die den Beau verwöhnen. Angesiedelt in meist grau und schwarz dominierten Bühnenräumen von Gregorio Zurla, die den Sängern viel Spielraum lassen.

Die Rastlosigkeit des hyperaktiven Titelhelden unterstreicht Tomáš Netopil am Pult des Gürzenich-Orchesters mit einem Drive und einem dynamischen Druck, der selbst das tüchtige Kölner Orchester an seine Grenzen führt. Als wollte er die unseligen Rekordmarken eines Teodor Currentzis noch überbieten, fegt Netopil durch den dreistündigen Abend. Für klangliche Delikatesse, feine Zwischentöne oder angesessene Präzision im Zusammenspiel bleibt da keine Zeit. Die „Höllen“-Szene scheppert laut, aber nicht nachdrücklich und besonders ärgerlich ist Netopils Umgang mit dem Finale des Ersten Akts, in dem die geniale simultane Verknüpfung der drei rhythmisch verschiedenen Tänze in einem klanglichen Tumult untergeht. Das traurige Resultat von Netopils bzw. Ligorios Verzicht, die drei Instrumental-Ensembles auf der Bühne zu postieren, um sich optisch und klanglich deutlich vom großen Orchester absetzen zu können.

Einen guten Eindruck hinterlässt das junge, auch optisch attraktive und spielfreudige Ensemble mit entsprechend frischen Stimmen. Mit Ausnahme der kleinen und in der Tiefe wenig substanzreichen Bassstimme von Christoph Seidl als Komtur bietet die Kölner Produktion vokal eine geschlossene Gesamtleistung. Dass sich Seth Carico in der Titelpartie und Adrian Sâmpetrean als Leporello äußerlich stimmlich stark ähneln, kommt der Konzeption der Rollen durchaus zugute. Zumal beide über einen schlanken, flexibel geführten Bariton verfügen. Und auch Kathrin Zukowski als Donna Anna und Valentina Mastrangelo als Donna Elvira bewegen sich in Sachen Stimmschönheit, Koloraturgeläufigkeit und lyrischer Ausdruckstiefe auf Augenhöhe.

Eine Zerlina mit einem hellen, aber keineswegs soubrettenhaft dünnen Timbre und einer erfreulichen Gesangskultur verkörpert Giulia Montanari. Einen Ausbund an Selbstbewusstsein präsentiert Wolfgang Stefan Schwaiger als Masetto mit seinem geschmeidigen und voluminösen Bariton. Und Dmitry Ivanchey überzeugt als Don Ottavio, Mozart würdig, mit schöner Stimme und erlesener Legato-Kultur.

© Sandra Then

Insgesamt eine Produktion, die die gewaltigen Herausforderungen des Stücks nicht umfassend stemmen kann, aber in szenischen Details und vor allem vokal einige Meriten zu bieten hat. Einen rundum überzeugenden „Don Giovanni“ bleibt uns Köln allerdings nach wie vor schuldig. Doch damit befindet sich die Domstadt in guter Gesellschaft.

Pedro Obiera, 11. März 2025


Don Giovanni
Wolfgang A. Mozart

Oper Köln, Staatenhaus

Premiere 9. März 2025,

Regie: Cecilia Ligorio
Dirigat: Tomas Nepotil
Gürzenich Orchester

Weitere Vorstellungen am 12., 14., 16., 20., 22., 26., 28. und 30. März

Erste Besprechung