WA am 10. Dezember 2021
Ein neuer musikalischer Zugang
Über die international viel Aufmerksamkeit erhaltende Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner an der Sofia Oper und Ballett durch deren Generaldirektor, Prof. Plamen Kartaloff, ist hier schon viel geschrieben worden. Deshalb möchte ich im Wesentlichen nur auf die beachtliche musikalische Neueinstudierung durch Evan Alexis Christ und die Sänger eingehen.
Seit fast einem Jahr ist der US-amerikanische Dirigent Evan Alexis Christ an der Sofia Oper sehr aktiv und dirigiert in erster Linie das deutsche Fach, immer wieder aber auch Opern des hier traditionellerweise sehr beliebten italienischen Fachs. Zwei Tage nach diesem „Rheingold“ hörte ich von ihm und dem Orchester der Sofia Oper im selben Saal eine sehr gute „Tosca“ (Rezension weiter oben). Gerade hat er eine Neuinszenierung der „Ariadne auf Naxos“ einstudiert, gemeinsam mit Anna Tomowa-Sintow, die die Sänger orientierte. Die Premiere wurde Corona-bedingt auf Mai 2022 vertagt.
Bis auf eine Aufführung open air am Lake Pancharevo im Juli des letzten Jahres hatte das Orchester kein Stück des „Ring“ mehr aufgeführt. So galt es also, „Das Rheingold“ wieder nachhaltig einzustudieren. Christ kommt dabei zugute, dass er in seiner Zeit als Generalmusikdirektor der Oper Cottbus in Deutschland einen kompletten „Ring“-Zyklus einstudiert und über mehrere Spielzeiten immer wieder dirigiert hat. Vor nahezu vollbesetztem Haus, wenn man vom Parkett absieht, auf dem die beim „Ring“ ja zahlreicheren Musiker aus Corona-bedingten Gründen in größeren Abständen sitzen konnten, wurde die musikalische Neueinstudierung ein voller Erfolg. Man merkte dem Orchester eine wesentliche stärkere und auf Dramatik setzende Intensität beim Spielen als sonst im „Ring“ an. Die so wesentlichen Übergänge zwischen dem 2., 3. und 4. Bild wurden zu besonderen Klangerlebnissen, beim Abstieg nach Nibelheim mit der Intensität der von Kindern auf der Bühne als Nibelungen geschlagenen Ambosse noch verstärkt. Christ wusste sie sehr exakt einzusetzen.
Überhaupt war dem Orchester, das ich von der 1. Reihe im 1. Rang sehr gut sehen konnte, anzumerken, dass es mit einer besonderen Motivation und wohl auch Freude spielte, endlich wieder ein Werk aus dem „Ring“ musizieren zu können, den man sich in langer Kleinarbeit mit P. Kartaloff und Richard Trimborn sowie Velizar Genchev von 2010-13 erarbeitet hatte. Vieles spricht nun dafür, die Tetralogie musikalisch ganz zu überarbeiten und wieder einmal ein kleines Wagner-Festival in Sofia damit und dem einen oder anderen Werk des Bayreuther Meisters aufzuführen. Im Oktober 2022 wird ja eine Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“ in der Regie von Plamen Kartaloff beim Königswinkel-Festival in Füssen im bayerischen Allgäu zu erleben sein, wo man 2015 mit dem ganzen „Ring“ schon erfolgreich zu Gast war.
Szenisch ist nichts nachzubessern. Die Multi-Media Show von Vera Petrova, Georgi Hristov und Lora Runevska auf dem riesigen weißen Ring-Gebilde, das szenenabhängig wieder wirkungsvoll in einzelne Segmente zerlegt wird, ähnlich wie bei Wolfgang Wagners „Ring“ 1971 in Bayreuth die „zerworfene Scheibe“, übte auch an diesem Abend ihre ganz spezielle Faszination aus. Das galt besonders für den langsamen farbigen Aufbau Walhalls mit der Regenbogenbrücke über die fünf kegelförmigen Konusse, die auch eine schöne Illusion für das Erscheinen des Rheingolds im 1. Bild abgeben. Hier glänzten wieder die Rheintöchter mit ihren Trampolinkünsten und damit der Unerreichbarkeit für Alberich. Es gelingt dem Regieteam, mit den Bühnenbildelementen und fantastischen Figurinen von Nikolay Panayotov sowie dem facettenreichen Multimedia-Design in Zusammenarbeit mit Electrick.me, den Mythos des „Ring“ mit einer nahe an Wagners Regieanweisungen operierenden Dramaturgie und entsprechender Personenregie mit großem Unterhaltungswert zu verbinden.
Aber auch stimmlich und sogar darstellerisch wirkten die Sänger, die schon von Anfang an dabei waren, frischer und beweglicher. Das trifft vor allem für den Wotan von Nikolay Petrov, den Loge von Daniel Ostretsov und den Mime von Krasimir Dinev zu, die sehr gute vokale und darstellerische Leistungen brachten. Mit Mariana Tsvetkova hat man nun auch eine stimmlich viel ansprechendere Fricka als früher. Plamen Dimitrov gab als Alberich sein Rollendebut und hätte sicher noch mehr Proben gebraucht, um sein gutes vokales Potenzial besser in Zusammenhang mit der Aktion ausschöpfen zu können. Er agierte sehr engagiert, aber noch nicht mit dem erforderlichen Schliff. Stefan Vladimirov und Petar Buchkov waren wieder bewährte Riesen und Tsvetana Bandalovska eine Edelbesetzung für die Freia. Sonst singt sie die Sieglinde! Milena Gyrova, Silvia Teneva und mehr noch Aleksandrina Stoyanova-Andreeva waren stimmlich und natürlich akrobatisch erstklassige Rheintöchter. Weniger überzeugen konnten Hrisimir Damyanov als Froh und gar nicht Krystan Krystanov als Donner, der für den erkrankten Stammsänger für diese Rolle eingesprungen war. Leider kann auch Blagovesta Mekki-Tsvetkova weiterhin stimmlich nicht in der so bedeutsamen Rolle der Erda überzeugen.
In jedem Falle war es eine gute Entscheidung der Direktion, wieder einmal ein Stück des „Ring“ aufzuführen und dann gleich mit einer musikalischen Neueinstudierung.
Fotos: Setoslav Nikolov
Klaus Billand/28.12.2021