Sofia: „La Donna del Lago“

NI am 15. und 16. Juli 2021, Lake Pancharevo

Romantisches Spiel auf dem See

Das Sommer-Wagner-Festival der Sofia Opera and Ballet unter der Leitung von Prof. Plamen Kartaloff, „Die Musen des Wassers“ ging in diesem Sommer auf dem Lake Pancharevo mit der Rossini-Oper „La donna del lago“ – also see- bzw. wassergerecht – weiter. Kartaloff hat hier in seiner schier unbegrenzten Phantasie, ständig neue open air-Spielstätten für seine Opern-Neuinszenierungen und das Repertoire zu entdecken, eine ganz formidable neue Bühne gefunden. Der Hauptsponsor hat seit dem ohnehin schon beachtlichen „Rheingold“ des Vorjahres (Merker 08+09/2020) die Spielstätte auf dem Ponton am Ufer des Sees Pancharevo durch erhebliche Umbauten in eine feste Seebühne umgestalten lassen, mit einer bequemen Zuschauertribüne, die während der ersten vier Aufführungen der „Donna del lago“ mit etwa 700 Besuchern praktisch immer ausverkauft war. Man hat nun die Zuschauertribüne fester gestaltet und vor der Bühne eine breite Fläche zur ersten Sitzreihe zementiert. Hier könnte ähnlich wie im oper air-Theater von Belogradschick Rocks einmal das Orchester, also direkt vor der Szene, platziert werden.

Das selten gespielte Stück Rossinis kommt in der Inszenierung Kartaloffs mit guter Personenregie und eindrucksvollen Bildern aus dem See. Das Stück, welches auf einem romantischen Versepos von 1810 „The Lady of the Lake“ von Sir Walter Scott basiert und der Gattung der opera seria angehört, wurde von Rossini nach dem Libretto von Andrea Leone Tottola vertont und 1824 im Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt. Das Stück handelt von der geheimnisvollen „Dame vom See“, Elena, die von drei Männern gleichzeitig begehrt wird. Offiziell ist sie von ihrem Vater Douglas dem Anführer der Hochländer, Rodrigo, versprochen. Die Hochländer liegen in Fehde mit dem König von Schottland. Heimlich lieben sich aber Elena und der kämpferische Malcolm, ebenfalls ein Hochländer, bei Rossini eine Hosenrolle. Der dritte ist der sich zunächst nicht zu erkennen gebende König von Schottland Giacomo V., der sich gegenüber Elena als Uberto di Snowdon ausgibt und ihr Hilfe in Not verspricht. Martialische Chorszenen der Hochländer dokumentieren kriegerische Handlungen. Wenn es darum geht, im Königspalast Fürsprache für ihren Vater und Malcolm zu erheben, Rodrigo ist mittlerweile gefallen, erinnert Elena sich an das Versprechen, zeigt den einst ihr von Uberto geschenkten Ring und stellt fest, dass er selbst König Giacomo V. ist. Dieser verzichtet auf Elena, vergibt Douglas und Malcolm und führt ihn mit Elena zusammen. Der Friede ist wieder hergestellt.

Kartaloff ist mit Boryan Belchev auch für das phantasievolle und der Umgebung der schottischen Highlands, hier also das der den See umgebenden Hügellandschaft angepasste Bühnenbild verantwortlich. Dieses Ambiente verschafft dem Handklungsverlauf eine gewisses Maß an Authentizität. So kommt zu Beginn Elena mit einem kleinen Segelkahn aus dem See in die Szene – und auf den See wird sie am Ende auch wieder entschwinden, mysteriös eben… Auf der Szene haben die Bühnenbildner einen stilisierten und sich oft verändernden Wald konfiguriert, der bestens zum Regiekonzept passt. Hier wird auch am Schluss eine eindrucksvolle Szene im Palast des Königs gestaltet. Scheller Szenenwandel ist eine besondere Kunst der Bühnenarbeiter der Sofia Oper. Da hat man mit den vielen open air-Aufführungen große Erfahrung gewonnen.

Hristina Mihaleva-Zorbalieva hat die teils opulenten und der historischen Vorlage entsprechenden Kostüme entworfen. Vor der Schlacht zwischen den Hochländern und den königlichen Truppen nahm sich der Kartaloff die Freiheit heraus, eine sehr professionell wirkende Dudelsack-Nummer mit einer rituellen Beschwörungszeremonie einzulegen – durchaus bemerkenswert, musikalisch, wie dramaturgisch!

Die wichtigsten Protagonisten wurden an beiden Abenden unterschiedlich besetzt. Maria Radoeva als Gast, BBC Cardiff Singer of the World 2011, sang am ersten Abend eine wunderbar verinnerlichte Donna del lago mit einem äußerst farben- wie facettenreichen sowie tief timbrierten Sopran sowie einer auch schauspielerisch voll überzeugenden Leistung. Die Carmen des Vorjahres im bulgarischen Tsari Mali Grad, Violeta Radomirska, sang und spielte einen engagierten Malcolm als Hosenrolle, mit einem auch im tieferen Register bestens ansprechenden Mezzo. Hrisimir Damyanov war ein vor allem tenoral überzeugender Uberto bzw. König Giacomo V., mit leichter Anstrengung in den Spitzentönen. Besonders beeindrucken konnte der Gast Valerio Borgioni aus Italien, der den Rodrigo mit atemberaubenden tenoralen Spitzentönen in der herausfordernden Arie gab. Stefan Vladimirov verkörperte den Vater der Donna, Douglas, mit einem charaktervollen und prägnanten Bass. Reinaldo Droz war ein guter Serano und Vesela Yaneva eine ansprechende Albina, beides kleinere Rollen.

Am Folgeabend sang Stanislava Momekova die Elena mit einem charaktervoll dunkel timbrierten Sopran und einfühlsamem Spiel. Aleksandrina Stoyanova war ein Malcolm mit sehr dunklem Mezzo und einer männlicheren Erscheinung in der Hosenrolle als Violeta Radomirska am Abend zuvor. Auch Stoyanova konnte mit ihrer Stimme und sehr intensivem Spiel voll überzeugen und das Publikum für sich einnehmen. Der chilenische Gast Diego Godoy sang ebenfalls einen impressionanten Rodrigo mit enormen Höhen und einem ebenfalls guten Tiefenregister in der erwähnten fast halsbrecherischen Arie. Francisco Brito meisterte die tenoralen Herausforderungen des Uberto sehr gut. Petar Buchkov war ein verlässlicher Douglas. Angel Antonov gab einen prägnanten Serano mit baritonal unterlegtem Tenor und Tsveta Sarambelieva eine bemerkenswerte Albina.

Der bei den sommerlichen open air-Veranstaltungen Kartaloffs bereits bewährte Francesco Rosa leitete das Orchester der Sofia Opera und Ballett mit viel Rossini-Verve aus einer nun auch fest gebauten Box neben der Bühne. Akustische Anpassungen könnten die Leistungen des Klangkörpers sicher noch besser zur Geltung bringen. Der Männerchor intonierte kämpferische Parolen, reichte dabei aber nicht an die Harmonie der Gesangs des Damenchores heran. Violeta Dimitrova war wie immer für die Choreinstudierung verantwortlich. Emil Dinko steuerte eine gute Lichtregie bei, die bestens auf die langsam einsetzende Dämmerung und dann auch die Nacht abgestimmt war. Es war wie schon im Vorjahr ein in guter Erinnerung bleibender Abend am Lake Pancharevo, das man nun als das „kleine bulgarische Bregenz“ bezeichnen könnte.

Fotos: Svetoslav Nikolov

Klaus Billand/3.9.2021

www.klaus-billand.com