Premiere am 28.9.2018
Auftakt mit Paukenschlag einer großartigen 350 Jahre-Jubiläumsspielzeit
Am 28. Juni 1669 unterschrieb König Ludwig der XIV. das Gründungs-Manifest der „Académie royale d’opéra“. Deshalb kann sich die Pariser Oper „das älteste permanente Opernhaus der Welt“ nennen. Über die Bezeichnung lässt sich jedoch diskutieren, denn die königliche Oper in Kopenhagen ist noch ein paar Jahrhunderte älter, aber sie beruft sich lediglich auf eine königliche Hofkapelle, die alles andere als Opernmusik spielte. In Wien wurden zu besonderen Anlässen schon 1625 Opern in der Hofburg gespielt – das heutige Opernensemble wurde jedoch erst 1810 gegründet. Doch es ist über jeden Zweifel erhaben, dass Ludwig der XIVe die älteste noch bestehende Künstler-Krankenkasse und den ältesten Künstler-Pensionsfonds gegründet hat. Denn er war selbst ein quasi professioneller Tänzer, der alle Schwierigkeiten des Künstlerlebens all zu gut einschätzen konnte.
Sich auf Ludwig den XIVen berufend, hat Stéphane Lissner nun eine wirklich königliche Jubiläumssaison organisiert, in der der 350e Geburtstag der Pariser Oper prunkvoll auch außerhalb des Opernhauses gefeiert wird. Zusammen mit der Nationalbibliothek werden zwei große Ausstellungen über die reiche Geschichte der Opéra de Paris organisiert, das Musée d’Orsay zeigt „Edgar Degas und die Oper“ und das Centre Pompidou in Metz entwirft eine große Ausstellung über den Einfluss der Oper auf die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Akademie der Oper reist mit ihren beachtenswerten Produktionen durch ganz Frankreich und in Paris werden an beiden Häusern in der nun beginnenden Spielzeit ganze 421 Vorstellungen gegeben, mit 15 Neuproduktionen (Ballett inbegriffen). Allein schon dieses Eröffnungs-Wochenende bricht alle Rekorde: vier Premieren an nur zwei Abenden – davon drei Neu-Produktionen! Das hat es seit der Eröffnung der Opéra Bastille 1989 noch nie gegeben. Denn dank von extra Subventionen wird die immer noch „unfertige“ Bastille-Oper nun endlich wirklich zu Ende gebaut und soll der dritte Saal, die von Pierre Boulez so heiß ersehnte „Salle modulable“, nun 2022 eröffnet werden.
Die Jubiläumsspielzeit beginnt prachtvoll mit Giacomo Meyerbeer, dem Erfinder der „grand opéra“ und dem meist einflussreichen Komponisten in Paris zu Wagners Zeiten (weshalb dieser so böse auf ihn war). „Les Huguenots“, 1836 an der Opéra de Paris uraufgeführt, war einer der größten Erfolge der ganzen Operngeschichte und das erste Werk, das 1903 die bis dann unerreichte Zahl von Tausend Vorstellungen an der Pariser Oper erreichte. Doch nach den großen Vorstellungen 1936 zu ihrem hundertsten Jubiläum, wurden „Die Hugenotten“ in Paris nie mehr gehört oder gesehen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg galt Meyerbeer – wie so viele andere Komponisten – in Paris als völlig „passé“. Es ist der Meyerbeer-Neuausgabe und den Berliner Opern zu danken, dass er seit zwanzig Jahren nun wieder langsam auf die Spielpläne kommt, mit u.a. einer recht gut gelungenen Vorstellung der „Huguenots“ 2011 in Brüssel.
Die jetzige Produktion ist viel grösser und wird in jeder Hinsicht der wahren Dimension einer „grand opéra“ gerecht. Michele Mariotti dirigiert zugleich souverän und mit Finesse den riesigen Chor der Opéra de Paris (sehr gut einstudiert durch José Luis Basso) und das Orchester der Oper in großer Besetzung. Der ehemalige Direktor des Wiener Burgtheaters Andreas Kriegenburg, der nun in Paris debütiert, inszeniert klassisch und ohne viel Firlefanz die komplizierte Geschichte. Wir sind der dreistöckigen Kasten-Bühne von Harald B. Thor in der letzten Zeit etwas oft begegnet, sie hat jedoch den Vorteil, dass man die Sänger über den riesigen Chor stellen kann, alle quasi von der Rampe singen können und das Ganze akustisch gut funktioniert.
Die Kostüme von Tanja Hoffmann sind auch nicht besonders originell, aber man versteht in den großen „Tableaus“ wer Katholik (bunt) und wer Protestant (schwarz) ist, und wer zum Chor und zu den zahlreichen Solisten gehört. Diese werden angeführt durch Lisette Oropesa (statt der ursprünglich angesagten Diana Damrau) als exzellente Marguerite de Valois. Ihre berüchtigt schwierige Arie „O beau pays de la Touraine“, mit wunderbaren aber sehr sehr langen Koloraturen, war der Höhepunkt des Abends. Yosep Kang konnte da als Raoul de Nangis nicht mithalten. Aber er war erst zur Generalprobe für den plötzlich erkrankten Bryan Hymel eingesprungen – das wird sich sicherlich in den nächsten Vorstellungen noch geben. Der zweite Star des Abends war Ermonela Jaho als Valentine, eine fast Mezzo-Rolle mit hohen Koloraturen, die sie glänzend gemeistert hat. Ihr folgte Karine Deshayes als Page Urbain. Schade, dass man ihre zweite Arie gestrichen hat, so wie die Ballette und noch einiges mehr – aber mehr als 5 Stunden Meyerbeer scheint man dem heutigen Pariser Publikum nicht mehr zumuten zu können. (Letztes Jahr wurden bei der Urfassung von Verdis „Don Carlos“ auch die Ballette gestrichen.) Das Premierenpublikum dankte mit einen in Paris ganz unüblichen Riesenapplaus ohne jeglichen Buhruf.
Die Uraufführung eines neuen Auftragswerks der Pariser Oper, „Bérénice“ (nach Racine) von Michael Jarrel, und die Wiederaufnahmen der bewährten „Traviata“ und der spektakulären Inszenierung von „Tristan und Isolde“. Das nennt man eine Spielzeiteröffnung „mit einem königlichen Paukenschlag“.
Waldemar Kamer 30.9.2018
Fotos (c) Agathe Poupeney