Florenz: „Die Perlenfischer“, Georges Bizet

© Michele Monasta

Im Alter von 24 Jahren schrieb Georges Bizet diese „Perlenfischer“, seine zweite Oper nach „Don Procopio“, eine zu seinen Lebzeiten nicht aufgefuehrte Variante des heiratslustigen Alten à la Don Pasquale. Die Uraufführung fand 1863 in Paris statt, stieß bei der französischen Kritik aber nicht auf viel Gegenliebe; dem jungen Komponisten wurde gar vorgeworfen, er folge in seiner Harmonik Wagner! Erst als das Werk in italienischer Uebersetzung nach Italien kam und 1886 an der Mailänder Scala erstaufgeführt wurde, stellte sich ein Erfolg ein, der groß genug war, um es über bedeutende bis in die kleinsten italienischen Häuser zu führen. Von dort trat die Oper ihre internationale Eroberung an, die sie nicht nur in Europa, sondern auch auf dem amerikanischen Kontinent vorstellte (und zwar immer in italienischer Sprache – heute wird natürlich der Originalsprache der Vorzug gegeben).

Das von Michel Carré und Eugène Cormon verfasste und auf Ceylon (heute Sri Lanka) spielende Libretto sieht nicht nur das übliche Liebesdreieck Sopran-Tenor-Bariton vor, sondern folgt auch den Spuren einer „Vestalin“ oder „Norma“. Leila (Sopran) ist die Jungfrau, die von den Perlenfischern erwählt wurde, um durch ihren Gesang die Götter bei ihrer gefährlichen Taucharbeit günstig zu stimmen. Allerdings wurde sie einige Jahre zuvor von den Freunden Nadir (Tenor) und Zurga (Bariton) an anderem Ort gesehen, wobei beide sich in sie verliebten. Um ihre Freundschaft nicht zu gefährden, versprachen sie einander, beide auf sie zu verzichten, aber Nadir hatte das Versprechen nicht gehalten und sie immer wieder aus der Ferne bewundert. Zurga wurde inzwischen zum Anführer seines Dorfs gewählt, Nadir versuchte in den Wäldern als Jaeger seine Liebe zu vergessen. Nun ist er heimgekehrt und wird freudig empfangen. Doch es kommt, wie es kommen muss, Nadir entdeckt in der verschleierten Leila die Angebetete, sucht sie nachts auf, wird von Nourabad, dem Oberpriester entdeckt, und beide werden wegen Verletzung des Keuschheitsgelübdes zum Tode verurteilt. Als treuer Freund Nadirs will Zurga das Paar gehen lassen, aber als er entdeckt, wer die eidbrüchige Priesterin ist, will auch er das Todesurteil. Allerdings stellt sich heraus, dass ihm Leila, noch als halbes Kind, einmal das Leben vor Verfolgern gerettet hat – eine ihr damals geschenkte Kette beweist das. Um die Liebenden zu retten, steckt Zurga das Dorf in Brand und laesst sie fliehen. Ergeben erwartet er nun sein Schicksal.

© Michele Monasta

Leider gibt dieses Libretto dem Komponisten keine Gelegenheit, den Knoten dramatisch zu schürzen. Bizets Unerfahrenheit mag auch dazu beigetragen haben, dass er sozusagen sein Pulver bereits im 1. Akt verschoss, in dem das Duett Tenor-Bariton „Au fond du temple saint“ und die Tenorarie „Je crois entendre encore“ erklingen, zwei echte Ohrwürmer (obwohl die Melodie des Tempelduetts mehrfach als Leitmotiv zurückkehrt). Bei näherer Beschäftigung mit der Musik gibt es allerdings noch sehr viel Schönes zu entdecken, vor allem die Arie Zurgas, in der er versucht, seine Freundschaft mit Nadir über die Liebe zu Leila zu stellen. Hochdramatisch dann die Szene, in der Leila um Nadirs Leben fleht, aber Zurga, als er ihre Liebe zu seinem Freund entdeckt, erst recht beide in den Tod schicken will. Eine hübsche kleine Barkarole erinnert an Offenbach. Überaus bedeutend sind die imposanten Chöre, die uns zeigen, wie sehr Bizet sein Handwerk schon verstand.

Eine Regie fuer das wenig glaubwürdige Ambiente zu entwickeln, das die Lust nach Exotisch-Orientalischem der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bediente, ist nicht einfach. Der akklamierte Filmregisseur Wim Wenders wurde von der Berliner Staatsoper Unter den Linden 2017 mit dieser Aufgabe beauftragt. In Florenz sehen wir, dass sein grundsätzliches Vorhaben, die Handlung von unglaubwürdigem Kitsch zu befreien, gelungen ist. Dies ist vor allem dem das Meer in den Mittelpunkt stellenden Bühnenbild von David Regehr zu verdanken, einem sonst in anderen Sphären tätigen Kuenstler. Größte Bedeutung kommt dabei dem Lightdesign von Olaf Freese zu, das hier von Oscar Frosio betreut wurde (wie auch Wenders‘ Regie von Derek Gimpel). Der (unter Lorenzo Fratini fabelhaft singende) Chor war in diesem Licht eine Präsenz, die so tröstlich wie drohend klingen konnte. Unterstützt wurde der Gesamteindruck durch die so charakteristischen wie zeitlosen Kostueme von Monserrat Casanova. Die Personenregie allerdings lässt zu wünschen übrig, wenn etwa die zum Tode verurteilten Liebenden ihr Duett getrennt an den jeweils zwei äußersten Punkten der Rampe zu singen haben; auch die Projektion der Gesichter der Hauptfiguren scheint verzichtbar. Der Eindruck ist jedenfalls, dass die Sänger ihre eigene szenische Interpretation einbringen sollten. Gut waren allerdings neun namentlich genannte Kinder in das Bühnengeschehen integriert. Der Schluss ist insofern geändert, als Zurga nicht in den Flammen umkommt (wie in der Inhaltsangabe im Programmheft angegeben), noch laut Libretto von einem Dorfbewohner hinterrücks erstochen wird, sondern wie verklärt dem Meer zuschreitet – eine sehr poetische Lösung.

Der profilierteste Darsteller war Lucas Meachem als Zurga. Dieser ist die eigentliche Hauptfigur mit den am stärksten ausgeprägten psychologischen Zügen. Vergleicht man ihn etwa mit Gérard in „Andrea Chénier“, auch ein vergeblich Liebender mit Rachegelüsten, so erscheint Zurga großzügiger und verzichtsbereiter (immerhin hat er sein Versprechen gehalten, Nadir das seine aber nicht). Der amerikanische Bariton, unterstützt von einer Perücke, die an Wieland Wagners Bayreuther Inszenierungen erinnerte, verlieh dieser stolz leidenden Figur die entsprechenden Züge und sang tadellos, auch wenn seine Tiefe etwas eingeschränkt erschien. Javier Camarena gab, szenisch temperamentvoll, einen schön lyrischen Nadir, bei dem nur die fehlende voix mixte in seiner berühmten Arie zu bemängeln war, ersetzte er sie doch in den exponierten Höhen durch Falsettieren.

© Michele Monasta

Fuer die ursprünglich angekündigte Pretty Yende war die Armenierin Hasmik Torosyan zu hören, die ihren gut geführten Sopran vor allem in der Koloratur glänzen ließ, während sie in dramatischeren Phrasen etwas zur Schärfe neigte. Als Nourabad empfahl sich Huigang Liu aus der Inneren Mongolei mit prägnantem Bass. Das Orchestra des Maggio Musicale Fiorentino spielte unter Jérémie Rhorer aufmerksam, präzise und animiert. Dem Maestro war seine Liebe zu dieser Musik deutlich anzumerken, was aber dazu führte, dass er auf die Sänger (speziell den Tenor) bei großen Ensemblepassagen nicht ausreichend Rücksicht nahm.

Im Ganzen eine zufriedenstellende Produktion, die im gut verkauften Haus auf viel Jubel stieß.

Eva Pleus, 24. September 2025


Die Perlenfischer
(Les pecheurs de perles)
Georges Bizet

Teatro del Maggio Musicale

Vorstellung am 21. September 2025

Musikalische Leitung: Jérémie Rhorer
Regie: Wim Wenders (betreut von Derek Gimpel)
Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino