Vorstellung am 22.01.2022
Wie soll man als Rezensent einen solchen Opernabend würdigen, bei dem Superlative nicht auszureichen scheinen, um den gewaltigen emotionalen Eindrücken, denen man ausgesetzt war, gerecht zu werden? Von den mit bewegender Sensibilität intonierten Passagen der Streicher in der Introduktion zu Mascagnis CAVALLERIA RUSTICANA bis zur erschütternden Feststellung des Doppelmörders Canio am Ende von PAGLIACCI "La commedia è finita!" war man einem bis ins Knochenmark ergreifenden, ununterbrochenen Gefühlsstrudel ausgesetzt, an einem Abend, bei dem einfach alles passte, szenisch UND musikalisch. Grischa Asagaroffs Inszenierung in der Ausstattung Luigi Peregos hat seit ihrer Premiere vor 13 Jahren nichts an Stimmigkeit verloren, ja eher noch an Intensität dazugewonnen. Die genaue Charakterisierung der Rollen, die detailreiche Führung des Chors und das genaue Setting trugen zur überwältigenden Gesamtwirkung der beiden veristischen Reisser entscheidend bei. (Näheres zur Inszenierung kann man in meinen Berichten zur Premiere von 2009 und den Wiederaufnahmen nachlesen.)
Für diese Wiederaufnahme hatte man ein Ensemble verpflichten können, das nun wirklich keinerlei Wünsche offen liess, mit allerhöchster Gensangs- und Interpretationskunst berührte, bewegte und begeisterte. Die mit dem Titel Österreichische Kammersängerin geehrte Mezzosopranistin Elīna Garanča verkörperte die tragische Figur der exkommunizierten, aus der Dorfgemeinschaft ausgestossenen Santuzza mit grandioser, packender Kraft, exemplarischer Stimmführung, traumhaft schönem Klang in allen Lagen und einer zu Tränen rührenden Subtilität in der Darstellung. Besser und intensiver kann man sich das kaum vorstellen. Das Muttersöhnchen Turiddu wurde von Marcelo Alvarez mit traumhaft schön timbriertem Tenor gesungen, hell und schmachtend in der Siciliana (off stage), dramatisch seinen Standpunkt vertretend in der Auseinandersetzung mit der von ihm geschwängerten und dann zugunsten von Lola verlassenen Santuzza auf den Treppenstufen vor der Kirche: Bada, Santuzza, schiavo non sono! Ergreifend wurde von diesen beiden Ausnahmesängern dann das Duett gestaltet, wo immer wieder Momente der einmal vorhanden gewesenen Zärtlichkeit durchschimmerten. Doch der mit aller Verzweiflung der verstossenen Frau herausgeschleuderte, Gänsehaut erzeugende Fluch Santuzzas A te la mala Pasqua, spergiuro! machte jede Hoffnung auf eine Versöhnung endgültig zunichte und liess das an eine (auch im Bühnenbild angedeutete) archaische griechische Tragödie gemahnende Stück seinem unerbittlichen Ende zustreben. Schuld daran trägt nicht nur untreue Turiddu, auch die frivole, in ihrer Ehe mit dem faschistisch angehauchten Alfio unglückliche und Santuzza kokett verspottende Lola trägt eine Mitverantwortung für die Zuspitzung der Situation im kleinen sizilianischen Dorf. Svetlina Stoyanovo stattet sie mit wunderbar erotisch timbriertem Mezzosopran aus, dem sie gekonnt einen Hauch von ordinärem Klang beizumischen verstand. Ihr Gatte Alfio wurde von George Petean mit autoritärer Souveränität verkörpert. Er gab den zu Geld gekommenen Paten, der glaubt, alles und alle zu besitzen. Auch Turiddus Mutter, Mamma Lucia, ist nicht ganz unschuldig, zu lange will sie die Augen vor den menschlichen Untaten ihres Sohnes verschliessen. Irène Friedli zeichnete (erneut!) ein einfühlsames Rollenporträt dieser am Ende ihres Sohnes beraubten Mutter. Kalt und ziemlich abweisend in der ersten Szene mit Santuzza, sich von der von Elīna Garanča grossartig gesungen Romanze der Santuzza (Voi lo sapete, o mamma) dann doch etwas erweichen lassend. Nach dem von Marcelo Alvarez fulminant vorgetragenen Trinklied, berührte die Bitte des Sohnes um den Segen der Mutter ungemein, das bange Warten um den Ausgang des Duells war kaum auszuhalten, und als dann der Ruf aus dem Off ertönte Han ammazzato compare Turiddu konnte man die Erschütterung der beiden im Schmerz verbunden Frauen, Lucia und Santuzza, beinahe physisch spüren.
Doch nicht nur da flossen beim Rezensenten (und bestimmt bei vielen anderen im Publikum) die Tränen, auch beim grossen Gebet der Santuzza mit Chor Inneggiamo, Il Signor non è morto!, bei welchem die Stimme von Frau Garanča mit phänomenaler Ausdrucksstärke über dem wunderbar klangprächtig intonierenden Chor und Zusatzchor der Oper Zürich schwebte, wurde man durchgeschüttelt. Und natürlich erst recht beim Intermezzo sinfonico, das von der Philharmonia Zürich unter der so wundersam transparent und gefühlvoll disponierenden Leitung von Paolo Carignani mit glutvoller Intensität gespielt wurde.
Nach der Pause dann PAGLIACCI: Gleiche Bühne, durch die Kostüme ca. 30 Jahre später, also Mitte der 50er Jahre des vergangen Jahrhunderts angesiedelt. Erneut war man einem ungemein emotionalen Sog ausgesetzt, wurde in das Drama des diffizilen Beziehungskomos innerhalb einer um die Existenz kämpfenden Artistentruppe hineingezogen. Grischa Asagaroff hat dieses Beziehungsgeflecht sowohl mit wunderbarer Poesie (Szene Nedda-Silvio und Intermezzo), als auch mit drastischer szenischer Kraft im Stil des italienischen Neorealismus auf die Bühne gebracht. George Petean als Tonio stimmte das Publikum mit zutiefst bewegender Sangeskunst auf das zu erwartende lebensechte Drama ein. So phänomenal interpretiert habe ich diesen Prolog noch nie live gehört. Das war allerhöchste Klasse der Interpretationskunst. Marcelo Alvarez lief als von Eifersucht getriebener, alkoholabhängiger Canio ebenfalls zu grandioser Form auf, Un tal gioco und Vesti la giubba – ridi Pagliaccio fuhren gewaltig ein, gingen durch Mark und Bein. Ekaterina Bakanova gestaltete eine selbsbewusste Nedda, überzeugte mit schöner Stimmführung und Leichtigkeit sowohl in der Arie Stridono lassù, als auch im von ihr und Xiaomeng Zhang als Silvio so einnehmend gestalteten Duett. Den wunderschön weich fliessenden Bariton des jungen Xiaomeng Zhang muss man unbedingt im Auge behalten! Andrew Owens als Beppe (Arlecchino) war der einzige der Artistengruppe, der immer wieder an die Vernunft appellierte. Seine Serenade im zweiten Akt intonierte er mit überzeugender Stimmschönheit. Paolo Carignani und die Philharmonia Zürich leuchteten Leoncavallos meisterhaft orchestrierte Partitur mit viel Klangsinnlichkeit aus und der Chor, Kinder – und Zusatzchor der Oper Zürich glänzte stimmlich und darstellerisch mit Akkuratesse, genauso wie die grossartigen, mit zirzensischer Kunst aufwartenden Akrobaten Steven Forster, Philip Kupper, Amir Modai, Janik Schärer, Andreas Schwarzer und Rico Trevisan.
Ich gebe es ohne Scham zu: So viele Tränen habe ich noch nie während einer Opernvorstellung vergossen, die Kraft der Musik dieser beiden ebenbürtigen Werke ist ohnegleichen!
Fazit: Hingehen und sich berühren lassen. Herausragende Interpreten. Nur noch wenige Vorstellungen, morgen Sonntag gar zum halben Preis (!), Robert Watson wird dann anstelle von Marcelo Alvarez den Turiddu und den Canio interpretieren.
Kaspar Sannemann, 30.1.2022
Bilder (c) Toni Suter