Vorstellung am 03.07.2022
Verdis letzte Oper, FALSTAFF, ist eine Ensemble-Oper par excellence, darin mit den Mozart/da Ponte Opern verwandt – kein Wunder, denn Verdi war Zeit seines Lebens ein grosser Bewunderer Mozarts gewesen und fand im hohen Alter in seinem Librettisten Arrigo Boito einen wertvollen künstlerischen Partner, der zusammen mit dem 80jährigen Maestro mit dem FALSTAFF ein sublimes Meisterwerk schuf. Bei dieser Wiederaufnahme der Produktion aus dem Jahre 2011 stand ein Spitzenensemble zur Verfügung, das den Abend zu einem wahren Triumph des feinen Humors und der Musik Verdis geraten liess. Wie fein abgestimmte Räder in einem präzisen Schweizer Uhrwerk griffen die Mitglieder dieses Ensembles musikalisch und darstellerisch ineinander und bereiteten dem am Ende enthusiastisch applaudierenden Publikum einen unvergesslichen, exquisiten Opernabend.
Natürlich blitzten in diesem Ensemble neben den ausgezeichneten Kräften des Hauses einige Gast-Sterne, die sich jedoch uneitel aufs Vortrefflichste in den Dienst dieser wunderbaren lyrischen Komödie stellten. Sir Bryn Terfel verkörperte die Tiltelrolle mit überragender Bühnenpräsenz und war stimmlich in Höchstform, von seinem ersten Ton an wusste man: Das wird ein grosser Abend! Sein grosser Monolog im ersten Bild (L’onore), in dem er alle Facetten seines gewaltigen Bassbaritons bis zum Falsett ausschöpfte, gelang meisterlich, sein Agieren war mit stupender Genauigkeit auf den Punkt gebracht und entlockte dem Publikum immer wieder ein Schmunzeln. Sein zweiter Monolog Mondo ladro. Mondo rubaldo. Reo mondo!, in welchem er die Schlechtigkeit der Welt beklagt, wie alles den Bach runtergeht, ist nicht nur pathetisch, nein, er ist aktuell wie selten. Bryn Terfels interpretatorische Durchdringung dieses Textes ist exemplarisch. Irina Lungu als seine "Gegenspielerin" Alice Ford führt mit ihrem wunderschönen, von einem zarten Vibrato umflorten Sopran die Ensembles der Damen an, schwingt sich in den ihr von Verdi in die Kehle komponierten Ariosi wunderbar auf und verströmt herrliche Kantilenen, unterstützt von klug-dezentem Witz im Spiel.
Ihr Gemahl Ford wird von Konstantin Shushakov mit einnehmend timbriertem Bariton gesungen, seine Eifersucht und seine vergeblichen Ränkeversuche bringt er mit Glaubwürdigkeit über die Rampe. Es ist erfreulich, dass weder er noch alle anderen Mitglieder dieses Ensembles chargieren, sie vertrauen zu Recht völlig dem hervorragenden Text Boitos und dem subtilen Witz von Verdis Partitur. So auch die umtriebige Mrs. Quickley von Marianna Pizzolato, die wie eine Mamma del paese durchtrieben und klatschsüchtig agiert, ihre Partie mit ihrem herrlichen Mezzosopran lebendig ausgestaltet und dabei beim Reverenza nicht in exaltiertes Orgeln verfällt. Hat mir sehr gefallen. Sandra Hamaoui sang eine bezaubernde Nannetta, liess ihre zarten Klänge als Elfenkönigin im Schlussbild wunderbar schwebend erklingen und bildete zusammen mit dem herrlich phrasierenden Cyrille Dubois als Fenton ein bezauberndes, sympathisches Liebespaar. Cyrille Dubois begeisterte in seiner grossen Szene zu Beginn des Schlussbildes mit seinen fantastisch gestalteten diminuendi in dem einzigen Moment der Oper, den man als Arie bezeichnen könnte: Dal labbro il canto estasiato vola.
Das Damenquartett wurde mit Niamh O’Sullivan als Meg Page aufs Vortrefflichste ergänzt. Diese wunderschöne Stimme von Niamh O’Sullivan fügte sich nicht nur fantastisch in die Ensembles ein, sie machte auch neugierig auf grössere Partien, in denen man sie gerne erleben möchte! Iain Milne offenbarte sein komisches Talent in der Rolle des Dr.Cajus, der am Ende in die Falle der Damen stolpert und um Mitternacht ausser sich feststellen muss, dass er sich mit dem Diener des Falstaff, Bardolfo, verheiratet hat. Das ist wirklich lustig, denn Nathan Haller als Bardolfo spielt und singt diese Rolle mit bestechender Genauigkeit und Spielfreude. Wow! Genauso wie sein Kompagnon Pistola, der von Brent Michael Smith ebenso umwerfend dargestellt und gesungen wurde. Diese beiden schurkischen, quirligen und ihr Fähnlein gerade nach dem Vorteil versprechenden Wind richten, hatten alle Sympathien auf ihrer Seite.
Der GMD des Opernhauses Zürich Gianandrea Noseda, der zurzeit auch die WA von TRISTAN UND ISOLDE dirigiert, kitzelte aus der Philharmonia Zürich alles an Präzision (das Horn zu Beginn des Schlussbildes!!!) und Spielfreude heraus, das alles hat Schwung und Witz und ist von herausragender klanglicher Balance und Transparenz und mitreissendem Drive geprägt. Wie er z.B. das kunstvolle Nonett im zweiten Bild des ersten Aktes zusammenhält ist grandios: Das Frauenquartett singt im schnellen 6/8 Takt, das Männerquartett im schnellen 2/2 und Fenton legt sich mit langsamen 2/2 Noten darüber; von der Philharmonia Zürich und den Sängern wird das komplexe Stück mit atemberaubender Präzision ausgeführt.
Die Inszenierung, obwohl schon 11 Jahre alt, hat nichts von ihrer überragenden Qualität und ihrer Perfektion und Stimmigkeit verloren. Sven-Eric Bechtolf war damit im Bühnenbild von Rolf Glittenberg und den wunderbar passenden Kostümen von Marianne Glittenberg ein Geniestreich gelungen, geistreich, witzig und in jedem Moment kongruent mit Verdis Partitur. Verdi hatte sich ja eigentlich eine Uraufführung seiner letzten Oper auf seinem Landgut Sant’Agata vorstellen können, in einer Scheune, ähnlich Shakespeares Globe Theatre. Letztlich aber fand diese dann doch vor einem auserlesenen Publikum in der mondänen Scala statt.
Diese Inszenierung bleibt hoffentlich im Repertoire des Opernhauses Zürich, auch nach dem Intendanzwechsel in zwei Jahren. Vorsichtshalber sollte man sie – vor allem auch wegen des nun auf der Bühne stehenden Ensembles – nicht verpassen. Ein intelligenter Riesenspass und ein musikalischer Leckerbissen!
Kaspar Sannemann, 7.7.22
Bilder (c) Judith Schlosser