Zürich: „Barkouf“, Jacques Offenbach

Wenn die (nicht singende) Hauptrolle einer Oper – oder in diesem Fall einer Opéra comique – ein Hund ist, kann man als Rezensent kaum der Versuchung widerstehen, nicht mit tierischen Redewendungen, Sprichwörtern, Zitaten oder Metaphern um sich zu werfen und sich dann die Frage zu stellen, welche dieser hündischen Wendungen als Fazit taugt und ob die Aufführung Biss hat und da auch Fleisch am Knochen ist. Letzteres ist schnell beantwortet: Nein, Biss hat das Werk in dieser Umsetzung am Opernhaus Zürich nicht und sehr viel Fleisch am Knochen ist da auch nicht. Natürlich sind die Offenbachschen Melodien teils süffisant, teils sehr apart, manchmal kommt gar etwas Schmiss auf. Insgesamt aber muss man konstatieren, dass man den Abend hindurch selten, zu selten amüsiert ist. Alles läuft gepflegt ab, ja zu gepflegt, keine Bosheiten, keine Satire, keine aktuellen politischen Anspielungen. Das mag daran liegen, dass der Regisseur Max Hopp alle Dialoge streichen ließ und stattdessen einen Erzähler erfunden hat (André Jung), der durch den Abend führt, auch mal bellen darf (doch Hunde, die bellen, beissen nicht …) und die Sänger ermahnt, ja kein Wort deutsch zu sprechen. Manchmal wechseln die dann in ihre Muttersprache und erzählen von Höhenangst, wenn sie in den Seilen hängen, oder dass sie pinkeln müssen. Na ja. Doch das mit dem Erzähler funktioniert nicht, ja es hemmt geradezu den Spielfluss. Eigentlich war es ja wahrscheinlich die Absicht gewesen, die Betulichkeit der Dialoge zu umgehen, doch was der Erzähler von sich gibt, ist um Welten betulicher und zudem noch mit lehrerhaftem Zeigefinger vorgetragen, so dass jegliche Turbulenz und das Überbordende, das eine Operette von Offenbach ausmachen sollte, von vorneherein ausgebremst werden. Zudem scheint die Neugierde des Zürcher Publikums auf diese Ausgrabung der Partitur von Offenbach sehr begrenzt zu sein, wenn man auf die Vielzahl der leeren Plätze an diesem Abend schaute (Premiere B), die nach der Pause noch zahlreicher waren.

(c) Monika Rittershaus

Trotz der sehr gut bespielbaren – an orientalische Architektur angelehnter und mit einem Hauch von Calatrava angereicherter – Bühnenkonstruktion auf der Drehbühne (Marie Caroline Rössle) und den farbenprächtigen Kostümen, die eine Bandbreite von pastellfarbenen Kleidungsstücken im indischen Stil zu grellbunten Paillettenfummeln mit Straussenfedern für Showeinlagen (Choreographie: Martina Borroni) im Stil des brasilianischen Karnevals oder Crazy-Horse- oder Moulin-Rouge-Revuen abdeckten (Ursula Kudrna und Sebastian Helminger), traf die Satire des Pudels Kern nicht, die böse Fratze des begrabenen Hundes kam nicht zum Vorschein. Ein ganz besonderes Kompliment muss aber der Abteilung „Maske“ des Opernhauses gemacht werden. Da wurde eine Riesenarbeit geleistet mit sichtbarem Erfolg!

Offenbachs Partitur beinhaltet durchaus hörenswerte Musik, stellenweise geradezu kitschig schön (ist positiv gemeint!). Jérémie Rhorer am Pult der Philharmonia Zürich präsentierte sie mit Schmiss und dem Esprit (den man auf der Bühne vermisste) und wo gefordert auch mit leidenschaftlicher Emphase oder lyrischer Zartheit. Die Sängerinnen und Sänger waren ihren Aufgaben mehr als gewachsen. Brenda Rae als Maïma versprühte Charme und Witz mit ihren Koloraturen (über eine gelegentliche Schärfe konnte man getrost hinweghören) und vermochte vor allem mit den einfühlsamen, melancholischen Melismen punkten. Mit einem wunderbar samten timbrierten Tenor wusste Mingjie Lei als Saëb für sich einzunehmen. Marcel Beekman sang sich mit wunderbar intonierten und stilsicher vorgetragenen Couplets als ambitionierter Mundschenk Bababeck in die Herzen der Zuhörer, Andreas Hörl verströmte herrliche Bassgewalt in seinem kurzen Auftritt als Großmogul. Offenbach verlangt viele Tenöre für seine Bouffe: Neben Mingjie Lei und Marcel Beekman wussten auch Sunnyboy Dladla als Xaïlum und Daniel Norman als Eunuch Kaliboul zu gefallen. Eine Entdeckung war für mich die Mezzosopranistin Rachael Wilson, die mit ihrem satten, durchschlagskräftigen Organ als Obsthändlerin Balkis aufhorchen ließ. Siena Licht Miller gestaltete die geistig etwas minderbemittelte Tochter Bababecks, Périzade, mit umwerfender Spielfreude. Musikalisch ein Highlight war auch die Verschwörerszene, wunderbar plastisch und atmosphärisch gesungen von Bo Zhao, Utku Kurzuluk, Thomas Luckett, Robert Weybora, Timm de Jong und Piotr Lempa. Klangprächtig sang der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger).

(c) Monika Rittershaus

Offenbachs Partitur hat fast 160 Jahre in einem Schrank unter einer dicken Staubschicht geschlafen. Nun ist sie nach Straßburg und Köln zum dritten Mal geweckt worden – doch es ist nicht immer eine gute Idee, schlafende Hunde zu wecken. Auch wenn am Ende die Ausführenden gefeiert wurden, sprachen der laue Zwischenapplaus und die nur sehr vereinzelt hörbaren Lacher im Publikum Bände. Eine konzertante oder halbszenische Aufführung hätte wahrscheinlich den größeren Effekt gehabt, denn die musikalischen Nummern sprudelten nur so vor wirklich wunderschönen Einfällen, oft mit Ohrwurmcharakter. Doch die Schwerfälligkeit der Inszenierung bremste den Trubel aus und killte die Satire. Schade!

Kaspar Sannemann, 5. November 2022


Jacques Offenbach: „Barkouf

Schweizer Erstaufführung 23. Oktober 2022 / besuchte Aufführung 27. Oktober 2022

Inszenierung: Max Hopp
Musikalische Leitung: Jérémie Rohrer
Philharmonia Zürich

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