Zürich: „Die Fledermaus“, Johann Strauss

© Herwig Prammer

Diese Neuproduktion von Strauss‘ unverwüstlicher Operette DIE FLEDERMAUS am Opernhaus Zürich schlägt ein wie der Blitz, der im ersten und im dritten Akt konstant und bedrohlich das Bühnenbild am linken Rand dominiert – der Blitzeinschlag als Symbol der Erkenntnis, des Geistesblitzes und in seinen Verästelungen auch ein Symbol für Entscheidungen, die wir alle auf unserem Lebensweg zu treffen haben. Auch Rosalinde steht am Entscheidungspunkt. Soll sie als gelangweilte Ehefrau bei Gabriel bleiben (die Liebe ist ziemlich erloschen) oder zurück ins Showbusiness? Als „Rosi“ – „Skandal um Rosi“ der Spider Murphy Gang lässt grüßen – war sie einst Mitglied eines Tingeltangel-Pop-Duos (zusammen mit Alfred), das in Champagnerbars auftrat. In einer solchen Bar wurde sie vom introvertierten Studenten Falke umschwärmt, doch sie warf sich dann seinem extrovertierten Kommilitonen Gabriel von Eisenstein an den Hals, und Falke blieb in einer Horrorvision als Fledermaus sturzbetrunken in der Bar liegen, wie wir im genialen Videoclip von Hannah Oellinger und Manfred Reiner während der Ouvertüre erfahren.

Was im Programmheft noch kopflastig klingt (mit klugen Texten und Aperçus von Heiner Müller, Elfriede Jelinek, C.G. Jung und Robert Menasse und dem Glass-Ceiling-Index über die Frauenquote in Führungspositionen – schlechte Platzierung der Schweiz!), wird dann in der Inszenierung durch Anna Bernreitner in den wunderbaren drei Bühnenbildern von Hannah Oellinger und Manfred Rainer und mit denknallbunten Kostümen von Arthur Arbesser miteiner umwerfenden Leichtigkeit auf die Bühne gebracht. Das ist herrlich pralles Musiktheater, auf den Punkt genau konzipiert getaktet, das Schwank- und Rauschhafte gekonnt streifend. Selbst die in einer Schildkröte verborgene Champagnerbar im zweiten Akt entwickelt ein berauschtes Eigenleben. Viel zum Gelingen haben Patti Baslers Texte beigetragen. Die Schweizer Komikerin verzichtet wohltuend auf den in anderen Inszenierungen meist besoffenen Gerichtsdiener Frosch im dritten Akt, führt an dessen Stelle drei Nornen ein (Urd, Verdandi und Skuld – das Vergangene, das im Augenblick Werdende, das Geschuldete und gleichzeitig das Versprechen für die Zukunft), welche die Protagonisten durch das Spinnen ihrer Fäden zur Erkenntnis führen, aber auch verwirren und mit viel virtuosem Sprachwitz Hochgeistiges neben platte Kalauer stellen.

Zu alldem braucht es ein darstellerisch versiertes Ensemble auf der Bühne. Dieses kann das Opernhaus mit eigenen und zugezogenen Kräften brillant stellen – da sind (und das ist positiv gemeint!) lauter Rampensäue am Werk. Temporeich und mit Schmiss wird da agiert und gesungen, dass es eine Freude ist und man manchmal darob den emanzipatorischen Anspruch und Ansatz des Inszenierungsteams fast vergisst.

Zum geschliffenen, vorwärtsdrängenden und befeuernden Impetus, den Lorenzo Viotti am Pult des prächtig und farbenreich aufspielenden Orchesters der Oper Zürich anschlägt, passen auch die Einlagen, z. B. die temporeiche Strauss-Polka für die fabelhaften Tänzer, deren Titel „Unter Donner und Blitz“ perfekt zur Bühne passt (Choreografie: Ramses Sigl), oder das neu dazugekommene Vorspiel zum dritten Akt mit der mit an Bernstein erinnernden Weisen angereicherten, fulminant dargebotenen „Tritsch-Tratsch“ Polka. Golda Schultz als Rosalinde singt brillant einen mit neuem Text versehenen Csardas, der nun nicht mehr „Klänge der Heimat“, sondern „Klänge der Freiheit“ heißt, tritt dabei wie Botticellis Venus aus einer Muschel auf. Einmal driftet sie auch mit Ray Charles‘ „Hit the road, Jack“ in ihre Vergangenheit als Tingeltangel-Nachtclub-Sängerin ab. Regula Mühlemann als Stubenmädchen Adele bekommt Jubelovationen für ihre lichte Virtuosität in den beiden Arien „Mein Herr Marquis“ und „Spiel ich die Unschuld vom Lande“. 

Marina Viotti schlüpft als androgyner Prinz Orlofsky auf der Insel der Lust (mutig, dass man den sexuell ausschweifenden zweiten Akt auf einer Insel mit Plastikpalmen und Tanz unter dem rauchenden Vulkan spielen lässt – assoziiert man „Insel“ und „Sex“ doch heutzutage gleich mit Epstein) in mehrere Kostüme und singt ihr Couplet „Chacun à son goût“ auch mit verschiedenen Stimmfarben, eine Strophe gar als krächzende Alte im Dame-Edna-Style. (Das war zwar gekonnt ausgeführt, traf meinen Geschmack nun aber nicht so sehr). Rebeca Olveras gesangliches Talent ist in der meistens nur sprechenden Rolle der Ida leider etwas verschenkt, sie kann jedoch ihre quirligen darstellerischen Qualitäten präsentieren. Auch die Männer sind bestens besetzt: Matthias Klink als Eisenstein wandelt sich vom sich selbst überschätzenden Macho zum weinerlich-eifersüchtigen Gemahl im dritten Akt, Yannick Debus stimmt als Falke das „Brüderlein und Schwesterlein“ mit wunderbar einfühlsamer, weicher Tongebung an – zum Dahinschmelzen. 

Andrew Owens als äußerlich in den 70ern steckengebliebener Hippie Alfred mit Schlaghose, Cowboystiefeln, Tanktop und Hanky um den Hals versucht mit Britney Spears „Hit me Baby one more time“ und viel tenoralem Schmelz Rosalindes Herz zurückzuerobern (vergeblich). Ruben Drole ist schlicht grandios als Gefängnisdirektor Frank: Endlich mal wieder eine große Rolle für den versierten Sänger auf der Bühne seines Stammhauses. Das ist sängerisch und darstellerisch allererste Sahne. Ähnlich wie bei Rebeca Olvera verhält es sich bei Nathan Haller als Dr. Blind: Ein großartiger Sänger in einer kleinen Rolle. Als die drei Nornen liefern Lucia Kotikova (Skuld), Melina Pyschny (Verdandi) und Barbara Grimm (Urd) Kabinettsstücken an großer Schauspielkunst – vielleicht eine Spur zu schnell gesprochen, denn einige von Patti Baslers mit sprachlichem und inhaltlichem Witz gewürzten Aphorismen bleiben durch das Tempo etwas auf der Strecke. Doch andererseits lebt natürlich die Mischung aus Satire und Sprachakrobatik auch vom Tempo, somit ist es schwierig hier die richtige Balance zu finden. 

Ein ganz grosses Lob gebührt dem von Ernst Raffelsberger so prägnant einstudierten Chor der Oper Zürich.

Am Ende ist die Dreifaltigkeit nicht nur in den drei Figuren der Nornen zu erleben; auf der Bühne sehen wir auch drei erleuchtete, nüchterne Pforten. Sind es die drei Pforten aus Mozarts ZAUBERFLÖTE – Vernunft, Natur und Weisheit? Und werden die Protagonisten der FLEDERMAUS nach diesem „Tanz am Abgrund“ im zweiten Akt in der Weise erleuchtet werden, dass sie die für sie richtigen Entscheidungen treffen können? Wir hoffen und spüren es, erfahren es jedoch nicht so genau, denn der Chor der Oper Zürich strömt ins Parkett und erweist der Majestät des Champagners eine klangstarke Referenz.

Kaspar Sannemann 9. Dezember 2025


Die Fledermaus
Johann Strauß
Opernhaus Zürich

7. November 2025

Regie: Anna Bernreitner 
Dirigat: Lorenzo Viotti
Orchester der Oper Zürich