(Premiere am 02.11.2013)
Zwei grundverschiedene Werke als deutsche Erstaufführungen
Nur selten wird auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters Kaiserslautern Musiktheater gegeben. Einen Genuss der besonderen Art bekommt man dort allein dadurch geboten, dass man die Darsteller nur wenige Meter entfernt vor sich hat. Das ist echtes Kammertheater! Der Saal, der in fünf Sitzreihen etwa 100 Plätze anbietet, ist vor den Rängen ganz flach und verfügt über keinerlei Bühnentechnik. An diesem Abend war das kleine Orchester mit dem Dirigenten hinter einen halbdurchsichtigen Vorhang in den Hintergrund gerückt, vorne wurden zwei verschiedene Bühnenbilder für die beiden Kammeropern aufgebaut. Zuschauer in der ersten Reihe hatten die Darsteller zum Anfassen nah.
Die Opern:
DA KOMMT NOCH WER (Someone is going to come / Nokon kjem til å komme) Kammeroper in einem Akt von Knut Vaage (*1961), Text von Jon Fosse (*1959) nach seinem Drama von 1996; beide Norweger. Uraufführung am 06.10.2000 beim Ultimafestivalen in Oslo. Dauer eine Stunde; gesungen auf Englisch;
EIN MOND AUS KOCHENDER MILCH Kammeroper von Camille Kerger (*1957); Text von Nico Helminger; beide Luxemburger. Uraufgeführt durch das Théâtre National du Luxembourg am 04.02.2003 in der Kulturfabrik Esch. Dauer 55 min; gesungen auf Deutsch.
Da kommt noch wer: Monika Teepe (She), Richard Morrison (He)
Es gibt einige Gemeinsamkeiten der beiden Stücke. In beiden Fällen gibt es ein namenloses Paar, bezeichnet nur durch Pronomina, zu welchem ein Dritter tritt, was jeweils zu erheblichen Verwicklungen führt. In beiden Minidramen befinden sich die Protagonisten in einer unentrinnbaren Situation. Das Paar ist stimmlich jeweils als Bariton und Sopran besetzt, der „Dritte“ als Tenor. Beide Opern haben eine Spielzeit von etwa einer Stunde. Aber es handelt sich um grundverschiedene musikalische Ansätze, und auch die psychologischen Situationen, obwohl wesentlich in beiden Werken, sind ganz unterschiedlich angelegt. Die Regie des Doppelabends führt Bruno Berger-Gorski, der zuletzt in Trier einen interessanten Rigoletto vorgelegt hat. Für die Ausstattung zeichnet Thomas Dörfler und für das Licht Hans Zidek verantwortlich. Berger-Gorskis Regie war im Psychospiel der ersten Oper klar und vertiefend und zeichnete sich beim zweiten Werk durch viel Bewegung aus; schauspielerisch nicht immer adäquat umgesetzt.
Da kommt noch wer: Rich. Morrison (Er), Daniel Kim (The Man), Monikla Teepe (She)
„Da kommt noch wer“ handelt von einem Paar „She“ und „He“, das allein nur füreinander und miteinander sein will und sich an ein Haus ans Meer zurückzieht. Die Beziehung der beiden ist aber offensichtlich gestört und soll in der einsamen Zweisamkeit repariert werden. Es könnte aber durchaus sein, dass „He“ seine Partnerin aus Eifersucht in der Einsamkeit isolieren und für sich allein reservieren will. Nun tritt „The Man“ hinzu, der dem Paar das Haus verkauft hat und der sich nun für die Frau interessiert, die die Avancen goutiert. Die Illusion vom Für-Sich-Sein platzt auch als die beiden im Haus von vielen Spuren der Vorbewohner irritiert werden. Die Beziehung zerbricht. Thomas Dörfler hat vor einer halbkreisförmigen halbdurchsichtigen Wand eine kleine Spielfläche aufgebaut mit der angedeuteten Möblierung des Häuschens: Bett, Stühle, ein Tisch, ein Ofen und ein umgestürzter Kühlschrank; alles in Weiß – ebenso wie die einfachen Kostüme und ebenso mit unfunktionalem Besatz versehen, der durch UV-Lampen zum Fluoreszieren gebracht wird. Weil alles weiß ist, kann die Lichtregie leicht farbliche Akzente setzen, die allerdings vordergründig bleiben.
Unter der musikalischen Leitung von Markus Bieringer, Stellvertreter des GMD am Pfalztheater, musiert ein Ensemble aus den drei tieferen Holzbläsern, jeweils alternativ mit den Bass- bzw. Kontrabassinstrumenten, drei Streichern der tieferen Lage und zwei Schlagzeugern. Knut Vaages Partitur klingt trotz der kleinen Besetzung sehr dicht; das ist moderne Kompositionstechnik, aber keine schwer verdauliche Neutönerei. Die Musik ist vielmehr lautmalerisch und programmatisch an die Spätromantik angelehnt. Naturidylle und Meereswellen erklingen als Anfangsmusik so deutlich, dass es der Projektionen von Wald und Brandung auf die halbrunde Wand in der Tat zu diesen musikalischen Passagen nicht bedurft hätte, so konkret und suggestiv klingt das Ensemble. Die tiefen Blasinstrumente dominieren mit der Farbgebung. Kleinteilige melodische Formeln dominieren bei der Sängerbegleitung. Die Musik ist kohärent fließend, begleitet aber auch in spannungsreicher psychologischer Aufladung die Entwicklung auf der Bühne; der Gesang dazu ist melodiös und wirkt schwebend abgehoben.
Ein Mond aus kochender Milch: Barbara Meszaros (Sie); Daniel Kim (Ein Dritter)
„Ein Mond aus kochender Milch“ ist der Fantasietitel der zweiten Oper. Die umgebaute Bühne stellt nun einen verlassenen Industriebau dar, eine aufgegebene Molkerei (daher die Milch im Titel). Mit wenigen Strichen fängt der Bühnenbildner den trostlosen Eindruck eines solchen Gemäuers ein. Die Inhaberin des Komplexes („Sie“) empfängt einen potentiellen Käufer („Er“), der daraus angeblich ein Nachtlokal machen will. Wegen der Attraktivität der Dame, die im Stil einer jungen Karrierefrau aufgemacht ist, kommt es schnell zu erotischen Verwicklungen. Der „Dritte“, der hinzukommt, gibt sich furchterregend und eine Kreuzhacke schwingend als der berüchtigte Kreuzhackenmörder aus, von dem gerade in der Zeitung „Das Luxemburger Wort“ ein Artikel erschienen ist. Mit diesem Brutalo kommt es zu albtraumhaften Szenen, ehe alle Identitäten in Frage gestellt werden, jeder der Drei zu einem potentiellen Mörder wird und die Szene zwischen kafkaesk und komödiantisch in eine skurrile Kriminalkomödie umschlägt. Und der Gewinner ist… „Sie“ – wie auch sonst?
Ein Mond aus kochender Milch: Richard Harrison (Er); Daniel Kim (Ein Dritter)
Das Instrumentalistenensemble ist nun auf Synthesizer, Klavier und zwei Schlagwerker eingedampft. Polystilistisch, collagehaft und weniger kohärent ist die Begleitmusik. Das größte Melos erzeugt das Xylophon. Für die Gesangssolisten ist eine Bandbreite vom Sprechen über rhythmisches Rezitieren mit Tonhöhennotierung bis zu kleineren Ariosi mit hingeworfenen Tonsprüngen geschrieben. Weil das Stück letztlich ein wenig klamaukig daherkommt, hinterlässt „Ein Mond aus kochender Milch“ einen weniger nachhaltigen Eindruck als das reine Psychospiel „Da kommt noch wer“. Die Musik schlägt in die gleiche Kerbe.
Ein Mond aus kochender Milch: Finale furioso
Die beiden männlichen Rollen sind in beiden Stücken jeweils gleich besetzt. „He“ und „Er“ wurde von Richard Morrison als Gast gesungen und gespielt; darstellerisch überzeugender in der an sich viel schwieriger zu spielenden Rolle in „Da kommt noch wer“. Von jugendlicher Erscheinung überzeugt Morrison mit sehr ordentlicher Diktion seines kultivierten Baritons. Die Partie in „Da kommt noch wer“ lag ihm passagenweise zu tief. „The Man“ und „Ein Dritter“ wurde von Daniel Kim von Lauterer Ensemble verkörpert. Zwei grundverschiedene Rollen, beide Male überzeugend gespielt und mit schön geerdetem Tenor bis in die fordernden Höhen gesungen, in den Tonsprüngen der zweiten Oper auch im Falsett. Die „She“ in „Da kommt noch wer“ gestaltete Monika Teepe als Gast mit eindrucksvoller Bühnenerscheinung und überzeugte gesanglich mit ihren klaren fokussierten Höhen (wenngleich nicht ohne Härte), der leichten Eindunkelung ihres Soprans und den dramatischen Ausflügen. Für „Sie“ in der zweiten Oper war die Schweizerin ungarischer Abstammung Barbara Meszaros besetzt. Sie begeisterte mit ihrem glitzernden, leicht ansprechenden lyrischen Sopran, der stimmlichen Beweglichkeit – und das sei einem männlichen Rezensenten erlaubt zu sagen – ihrer verführerischen Bühnenerscheinung und ihrem lebhaften Spiel.
Der kleine Saal war nicht zur Hälfte besetzt, das Publikum nicht wie bei einem „normalen“ Abend ein Club der Alten, sondern mit dominierender Jugend. Der Beifall für diesen interessanten Abend war lang anhaltend und bei weitem mehr als nur freundlich. Der Doppelabend entstand als Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg; in Kaiserslautern noch zu sehen am 14. und 30.11. sowie am 10.12.2013 und am 25.01.2014 zu einem Preis wie im Kino. Wer den Abend verpasst hat oder noch einmal sehen möchte: in Luxemburg am 17. und 18.03.2014 dort unter dem Übertitel „Schatten der Vergangenheit“
Manfred Langer, 09.11.13
Fotos: Jörg Heieck http://www.heieck.net/