am 25.04.2019
Oftmals werden konzertante Aufführungen von Opern ja heutzutage „halbszenisch“ gegeben, d.h. ein Regisseur versucht, das „Konzert“ irgendwie durch Aktion und Schauspielkunst aufzupeppen. Nicht so gestern Abend in der Philharmonie Berlin bei Verdis OTELLO: Das war wirklich rein konzertant. Die Sängerinnen und Sänger in schwarzer Abendkleidung, der Chor ebenso in Schwarz brav hinter dem Orchester platziert. Doch dank der Kraft der musikalischen Darbietung vermisste man das Szenische nur in ganz wenigen Momenten. Denn die dreistündige Aufführung war von Beginn weg packend. Maestro Zubin Mehta hatte kaum auf dem Podium Platz genommen, da ließ er schon den Eröffnungssturm losbrausen, dass es den Saal beinahe zum Beben brachte. Ein infernalischer Höllenritt, von einer klanglichen Farbigkeit, die dermaßen packend war, dass man direkt in die Szenerie an der zypriotischen Küste hineingeworfen wurde (und sich nicht über irgendwelche Regiemätzchen wundern musste). Die Berliner Philharmoniker ließen es grollen, blitzen und funkeln, das Meer tobte, der klangstarke Rundfunkchor Berlin gab seinem Entsetzen und der Freude Ausdruck, als Otello als Sieger aus dem Kampf hervorging und sein strahlendes Esultate ertönen ließ. Arsen Soghomonyan war dieser Otello. Der junge Sänger Soghomonyan hat bereits eine erstaunliche Karriere hinter sich, 1983 geboren, erst als Bariton tätig und seit gut zwei Jahren mit seinem Debüt als Tenor überraschend (Cavaradossi). Und nun singt er bereits die schwierigste Rolle im italienischen Repertoire, eben Verdis Otello. Und wie! Herrlich kraftvoll strömt der (logischerweise) leicht dunkel gefärbte Tenor, berührend im Liebesduett des ersten Aktes, dann folgt der Absturz in den von der grenzenlosen Eifersucht dominierten Wahn. Doch nie verliert Soghomonyan die Kontrolle über die Stimme, gestaltet plastisch, doch nicht affektiert, sicher in der Intonation, überwältigend in der Gestaltung. Da reift ein ganz großer Interpret dieser Partie heran, auf dessen weiteren Weg man sich freuen kann. Genauso wichtig ist in dieser Oper aber auch sein Gegenspieler Jago. Mit Luca Salsi hat man einen exzeptionellen Interpreten verpflichtet. Er bleibt dieser komplexen Figur nichts an Nuancen schuldig, da werden allen Facetten eines der interessantesten Charakters in der italienischen Oper präsentiert: Das schleimig Einschmeichelnde, das Joviale, das Hinterfotzige des Intriganten und die gnadenlose Brutalität des zu kurz Gekommenen. Salsi macht seine Stimme nicht künstlich größer, er differenziert dafür stark in der dynamischen Bandbreite, das Credo, diese starke Selbstentblößung, von tief beeindruckender psychologischer Durchdringung. Häme beherrscht er genau so gut wie vermeintliche Einfühlsamkeit (die Erzählung von Cassios Reden im Traum). Eine wunderbare Leistung. Wunderbar auch die leuchtende Sopranstimme von Sonya Yoncheva als Desdemona: Mag der Beginn im Liebesduett des ersten Aktes für mein Empfinden noch etwas zu laut gewesen sein, so steigerte sie sich im Lauf des Abends mit ihrem herrlich reinen, intonationssicheren Sopran zu einer grandiosen Interpretation dieses zarten Charakters. Das Lied von der Weide (wunderbar begleitet durch das Solo des Englischhorns) und das darauffolgende Ave Maria berührend schön. Mit himmlisch zarten Bitten versuchte sie im zweiten Akt Otello umzustimmen, merkte in ihrer Naivität nicht, was in ihrem Mann abgeht. Fantastisch dann Yonchevas weit ausschwingende Kantilenen in der Kulmination des dritten Aktes – das war zum Weinen schön gesungen, und von Zubin Mehta natürlich herrlich gezielt auf den Punkt hin aufgebaut. Jugendlich frisch klang Francesco Demuros Cassio, dramatisch erzürnt die Emilia von Anna Malvasi. In den kleineren Rollen mag Giovanni Furlanetto als Montano mit rundem Bass zu überzeugen. Der von Gijs Leenaars einstudierte Rundfunkchor Berlinsang bravourös, der Kinder- und Jugendchor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Christian Lindhorst) begeisterte mit seiner Reinheit des Gesangs.
Zubin Mehta wird in wenigen Tagen 83 Jahre alt. Äußerlich sieht man, dass ihm das Gehen Mühe bereitet – doch kaum nimmt er auf dem Dirigentenhocker Platz, vermag er mit sparsamen Gesten, aber wachem Blick, die enormen klanglichen Qualitäten von Verdis Meisterwerk mit subtiler Gestaltungskraft zu evozieren. Wie gesagt – man vermisste das Szenische kaum und musste sich vor allem nicht wie in Baden-Baden, wo die Berliner Philharmoniker mit OTELLO zu Gast waren, über eine rätselhafte Regie (was man so las …) ärgern.
Kaspar Sannemann 3.5.2019