Essen: Concerto popolare

Ivo Pogorelich / Fabio Luisi & Philharmonia Zürich

Rachmaninow
Klavierkonzert Nr.2

Tschaikowski
Sinfonie Nr.6

— Zugabe: Glinka, Ouvertüre „Russlan & Ludmilla“

Aus den Urtiefen der russischen Seele

Gleich vorweg: wer sich in schönen Klängen dieses Rachmaninow wohlfühlen möchte und wem diese wunderbaren Urklänge aus der russischen Seele am Herzen liegen, sprich: wer so richtig romantisch schwelgen möchte, der sollte sich den mittlerweile erheblich gealterten einstigen (schon damals recht umstrittenen) Mega-Star des Pianoforte nicht antun. Hören Sie sich dann lieber die begnadete Hélène Grimaud an mit ihren geradezu mit himmlischer Leichtigkeit perlenden Anschlägen. Ein zarter Falter über dem Flügel des Klaviers. Dagegen wirkt Pogorelichs, um es nett zu sagen, "ausgesprochen druckvolles Spiel" eher ernüchternd. Irgendwie hat man auch den Eindruck, daß es ihm eigentlich egal ist, wer dieses Stück unter ihm dirigiert. Unabhängig davon ist er sicherlich weiterhin dieser Genius, als den ihn die berühmte Martha Argerich einst bezeichnete. Wo sie sogar wg. unzulänglicher Beurteilung des jungen Klavierlöwen (1980 Warschauer Chopin Concours) ihren Jurorentitel spontan niederlegte. Ich weiß nicht was sie heute sagen würde, aber für mich ist dieser Künstler immer noch ein "Genie" – so ihre damalige Bewertung.

Das letzte Mal – ich gebe es zu – habe ich den Klaviervirtuosen vor über 30 Jahren in der Düsseldorfer Tonhalle noch mit schwarz perlendem Vollhaar erlebt. Damals würdigte er das Publikum mit keinem Blick – trotz des Jubels nur ein einziges Wiederhervorkommen, ein kurzes arrogantes Nicken und weg war er; egal wie lange die Fans noch jubelten. Er strömte aus allen Poren eine manierierte Publikumsverachtung aus, die ich nie vergessen werde. Keiner seiner Fans nahm ihm das übel. Das ist eben ein wahrer Künstler…

Tempus fugit. Immerhin ist heute sein Schritt noch genauso fest und forsch wie damals, sein Haar hat er verloren wie die meisten seiner Fans, aber freundlich blickt er nicht. Und ehrlich gesagt sympathisch, man wird ja im Alter reifer und netter, wirkt er auf mich auch nicht. Egal – Toscanini war auch bei allen unbeliebt, gelegentlich sogar gewalttätig und trotzdem ein ganz Großer, was man Pogorelich in der Tat auch nicht abstreiten kann. Wer sich mit Klavier irgendwie beschäftigt, muß diesen Mann einfach einmal erlebt haben. Ein Gigant ohne Zweifel, der mittlerweile zum Urgestein geriert ist. Immerhin spielt er gegenüber damals außer Chopin fast alles. Das ehrt ihn. Wenngleich ich mir doch ein etwas anderes Programm gewünscht hätte.

Konnte einem der sehr sympathische und mit hochsensibler Gefühlsbalance ausgestattete wahre Maestro Fabio Luisi im ersten Teil noch etwas leidtun, so eroberte er mit dem vorzüglich disponierten Züricher Musici (Philharmonia Zürich), welches ich ohnehin neben den Münchnern für eines der absoluten europäischen Spitzenorchester halte, alle Herzen der Zuhörer und wir verloren uns in den Urtiefen der russischen Seele. Breiter tiefer emotionaler Klang, traumhafte Streicher mit genügend Rubato und himmlische Celli – wobei das Blech golden strahlte als säßen dort die Altmeister des London Symphony Orchesters. Kann man diesen "Hit" schöner, pathetischer und ergreifender spielen? Ich glaube nicht.

Ich denke, daß man auch im Zeitalter der moderneren Interpretationen, wo man Wagner nur noch kammermusikalisch spielt, Mozart mit historischen Instrumenten scheppert oder das, was auch immer damit gemeint ist, rubatofreie Orchester fordert, den schönen alten traumverlorenen Tschaikowsky ganz traditionell spielen sollte, spielen muss. Für mich war es ein Hochgenuss und so ein prachtvolles Orchester ist immer wieder geeignet die Maßstäbe, gerade jetzt wo es zu Weihnachten wieder überall von Nussknackern wimmelt, neu zu Recht zu rücken. Es war, trozt Bedenken, ein echter Sterne-Abend.

Peter Bilsing 22.10.15

Bilder: Philharmonie: Batalla Alfonso / Monika Rittershaus

OPERNFREUND-CD-TIP zu Pogorelich

Concerto Populare Stück 3 😉

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