Essen: Klazz Brothers

Zwischen Bachata und Beethoven

Die Jazz-Gruppe „Klazz-Brothers“ mischt Klassik und Kubanischen Jazz und ist mit einem neuen Programm auf Tour. Es ist ein Mix von Kunst und Klamauk, auf höchstem musikalischem Niveau. Wie viel Afrokuba pur, wie viel Jazz verträgt ein gesetztes Symphonien-Publikum?

Beim Konzert der der Klazz Brothers im Alfried Krupp Saal in Essen war viel graues Haar zu sehen. Kein Wunder bei Eintrittspreisen bis zu 50 Euro und der Wahl eines der besten und größten Konzerthäuser in NRW.

Dabei hat afrokubanischer Jazz ja eigentlich seine Ursprünge in den Bars, auf der Straße oder gar in den dunklen Räumen der Babalaos, der Priester, bei denen sich Tänzer und Trommler zu ihren religiösen Feiern einfinden.

Doch die fünf Musiker aus zwei Kontinenten kamen gleich mit so viel Feuer daher, dass der gesetzte Rahmen sofort vergessen und der Saal schon beim ersten Stück erobert war. Als Ouvertüre die Habanera aus Carmen, sehr schnell auf dem Klavier gespielt, dazu der typische kubanische Congasound, gleich danach ein Besuch in der „Halle des Bergkönigs“, frei nach Eduard Griegs Peer Gynt.

Boccherinis Streichquartett-Menuett ist diesmal ein Chachacha. Ein paar Gäste werden auf die Bühne geladen, tanzen mit. Es wird gelacht, geklatscht, gejohlt. Es ist eine Performance mit dem Publikum, phantasiereich, stets voller Überraschungen. Zuhören, brav sitzen bleiben und Beifall zum Schluss? Damit kommt hier keiner davon.

Die Klazz-Brothers sind seit zehn Jahren mit über 500 Konzerten im Geschäft. Die internationale Truppe aus Profimusikern hat sich auf kubanischen Jazz spezialisiert, den sie vor allem mit klassischer Musik kombiniert. Das neue Programm hat an Frische und Witz nichts verloren, die Symbiose aus Barock, Romantik und Rumba wirkt beinahe noch selbstverständlicher als auf den ersten CDs.

Zum Beispiel Beethovens Mondscheinsonate. Vom Bassisten und Moderator Kilian Forster als erstes Bachata-Stück angekündigt. Ach was? Die Bachata käme allerdings erst im schnelle dritten Satz. Der sei vielleicht manchen nicht so geläufig. Deswegen gibt’s erst mal das berühmte Adagio davor. Bruno Böhmer Camacho, Kolumbianer mit klassischer Klavierausbildung an der Essener Folkwangschule legt es voller Seele hin, wie jeder große Pianist. Ein bisschen Bass dazu, ein bisschen Klimpern und Rauschen, das ist hier Crossover genug. Dann der angekündigte dritte Satz, jetzt legen die Jungs richtig los. Das Publikum klatscht den Doppelschlag am Ende jeder Tonfolge mit, bis schließlich alles in verjazzten Harmonien und einer Percussion aufgeht, die tatsächlich ein wenig nach Bachata klingt. Wenn man genau hinhört und ein bisschen Phantasie hat.

Dieser Abend ist ein Spektakel mit immer neuen Wendungen. Man muss es erlebt haben: live ziehen die sympathischen Alleskönner noch viel mehr Register als in jeder Tonaufnahme.

Herrlich etwa ein etwa zehn Minuten langes Triangelsolo, mit unvorstellbar vielen Varianten aus jeder Ecke des kleinen Dreiecks, präsentiert von Alexis Herrara Estevez. Das Piano begleitet immer nur einen Akkord, so ausdauernd, dass der Pianist sich ablösen lässt um ein paar Liegestütze zum Takt zu machen.

Bei allem lebensfrohen Klamauk ist bei dieser Gruppe nichts banal, ihr Mix ist musikalisch vielschichtig und anspruchsvoll. „E-Musik“ kommt als „U“ daher, sprich ernste Musik wird unterhaltsam. Und umgekehrt hat Kitsch plötzlich Klasse. „Schneeglöckchen klingelingeling“ wird zum Chachacha in Jazz-Sonanzen."Leise rieselt der Schnee" ist hier ein romanitscher Bolero.

Wer Jazz liebt, die typisch cubanischen Harmonien und Rhythmen mit den handgeschlagenen Congas und der "Kuhglocke" schätzt, kommt hier voll auf seine Kosten. Die Motive aus der klassischen Musik bringen dabei Vertrautes all jenen mit, die sich vielleicht eher bei Mozart und Bizet zuhause fühlen.

Selbst Tangofreunde können hier schwelgen.Nach der Pause spielten die Klazz-Brothers in Essen zwei Stücke von Astor Piazolla, darunter auch den rasanten Libertango. Brilliant und voller Temperament als Gast Alexander Pankov auf dem Bajan, einem Knopf-Akkordeon , das größer als ein Bandoneon ist und das, wenn es sein muss, fast die Power eines Orchesters besitzt. Hier wäre die karibische Untermalung eigentlich gar nicht mehr nötig gewesen. Man hätte sich wie in Buenos Aires gefühlt.

Eine fröhliche Sondereinlage gab in Essen übrigens die Crossover-Gruppe Uwaga, die man gerne wieder erleben möchte.

Gesetzes Publikum? Heute wird nicht nur im Rhythmus geklatscht, sondern sogar zur Musik gerasselt. Mit kleinen Pfefferminz-Schächtelchen, die in der Pause relativ teuer zu erwerben sind: Für 20 Euro. Dabei gibts allerdings gratis eine CD dazu. Verkaufstüchtig sind die Klazz Brothers auch. Zu fünft stehen sie in der Pause am Stand, um dem Ansturm auf ihrer Scheiben gerecht zu werden.

Tipp: Wer mit der Eintrittskarte schon an finanzielle Grenzen gestoßen ist, sollte sich vielleicht ein kleines Schächtelchen Tictac mitbringen.

Angela Hussla 18.12.2016

Bilder (c) Philharmonie Essen / Pro Arte Konzerte / Der Opernfreund

Nächste Konzerte: 26.12. Berlin, 28.12. Köln, 1.1.2017 Salzburg, danach geht es wieder im März 2017 weiter.

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