Essen: „Mein Vaterland“, Bedřich Smetana

Mit einer halbstündigen Einführung ("Die Kunst des Hörens"), Moderation Christoph Vratz, sowie mit dem Dirigenten Jakub Hrusa und Mitgliedern des Orchesters.

Philharmonie Essen am 24. Januar 2016

E lucevan le stelle

Welch ein Traumabend mal wieder in der Essener Philharmonie! Und als besonderes Schmankerl dazu eine halbstündige Einführung in das Werk, die der in Essen bewährte Moderator Christoph Vratz (bis auf den kleinen, schnell korrigierten Faux Pas, daß Smetana eben nicht blind, sondern taub war am Ende der Komposition) sehr charmant und eloquent leitete.

Einsam saßen gleich zu Anfang die zwei Harfenvirtuosen des WDR Sinfonieorchesters im leeren Orchesterrund, aber nicht nebeneinander, sondern sich räumlich gegenüber. "Ein wunderbarer Auftakt", so

Jakub Hrusa (hochkompetenter und trotz jungen Jahren schon renommierter Spitzen-Dirigent mit tschechischen Wurzeln, der demnächst GMD der Bamberger wird), denn die ersten zwei Minuten braucht es keinen Dirigenten, da spielen die Harfen alleine.

Wie schön es wirklich und richtig stereophon klingt, ließen die beiden Musiker das (sich eine gute halbe Stunde vor offiziellem Konzertbeginn stattlich schon eingefundene) Essener Publikum darauf erleben. Welch ein toller Klang, wenn sich zwei Harfen in den ätherischen Höhen der phänomenalen Akustik dieses Traumkonzertsaales verlieren; später inmitten der anderen hundert Musikern klang es dann natürlich etwas gedämpfter.

Jakub Hrusa (Bild unten) betonte, daß er heute zum ersten Mal eine Einführung komplett in Deutsch sprechen würde und man möge seine Worte grammatikalisch nicht ganz so auf die Goldwaage legen. Er brach eine große Lanze für Smetanas Werke, die in Deutschland immer noch – ganz im Gegenteil zu England – nur begrenzt populär wären. Im Prinzip kenne und spiele man hier aus dem großen wunderbaren Zyklus Ma Vlast meist nur den zweiten Satz Die Moldau, während z.B. sein Lieblingsstück eher der dritte Teil Sarka wäre, den er öfter schon einmal mal in Konzerte einbaue.

Schöne informative und überzeugende Worte; man fragt sich tatsächlich, warum von den neun Opern Smetanas eigentlich immer nur die eine, nämlich "Die Verkaufte Braut", gebracht wird. Denn auch im Bereich der Orchesterwerke, der Kammer-, Klavier und Orgelmusik gibt es noch viel Schönes zu entdecken. Daher ist eine so gut gelungene Einführung nur in höchsten Tönen zu loben; man fragt sich, warum es solches nicht öfter gibt, auch außerhalb Essens. Meiner Meinung nach könnte so etwas auch mit einem großen Orchester – ganz in Erinnerung an den großen Lenny Bernstein und seine "Young People`s Concerts" – zur abendfüllenden Veranstaltung werden.

Was soll man noch zur Aufführung sagen außer "Besser geht es kaum!", denn wer könnte den größten Komponisten seiner Heimat besser dirigieren und repräsentieren als ein Genie von erst unglaublichen 35 Jahren, der nicht nur an der Akademie der Musischen Künste in Prag studiert hat, sondern immerhin schon sein Können als ständiger Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie und diverser Weltorchester (u.a. Tokyo MSO, Philharmonia London, Gewandhaus Leipzig, Cleveland Orchestra, Orchestre Philharmonic de France) bisher erfolgreich unter Beweis gestellt hat.

Hinzu kommt, daß mit dem WDR Sinfonieorchester Köln ihm hier ein Weltklasse- Klangkörper mit exorbitanter Leistungsfähigkeit und Klangkultur zur Seite stand, dessen Interpretation auch einem Giganten wie Vaclav Neumann in seinem diversen Aufnahmen, sei es mit den Pragern oder dem Gewandhaus-Orchester Leipzig (historisch begnadete Aufnahmen!), Paroli bieten kann.

Mal wieder ein Abend auf allerhöchstem internationalen Niveau in der Kulturstadt Essen in seinem akustischen Prachttempel, wo man die 90 Minuten dieses großartigen Zyklus auch in körpergenehmen Sitzgestühl freudvoll und leidenslos überstand. Der Jubel war berechtigter Weise mehr als enthusiastisch für eine Wiedergabe dieses im Gesamtzusammenhang seltenen Werkes, dessen Schönheit ja weit über die altbekannt hausbackene "Moldau" hinaus geht.

Ein großes "Bravo" für alle Beteiligten und die Präsentation in diesem Organisationsrahmen.

Die Sterne leuchteten für Bedrich Smetana an diesem unvergesslichen Abend besonders hell: in und über der Essener Philharmonie.

Peter Bilsing 25.1.16

Bild (c) Philharmonie Essen, WDR

P.S.

Mehr zum Konzert, welches einen Tag vorher auch in Köln (aber ohne Einführung!) statt fand, können Sie bei unserem Kollegen Christoph Zimmermann nachlesen.

Opernfreund CD Tipps

a.) erschwinglich und schön Jakub Hrusa

b) Leider gibt es diese tolle Aufnahme mit dem legendären Rafael Kubelik nur noch zu geradezu unverschämten Sammler/Mondpreisen