Bayreuth: „Johann Strauss, Wagner“, Thüringer Symphoniker unter Oliver Weder

Strauss und Wagner – für die meisten Musikfreunde dürfte die Kombination absurd erscheinen. Hier der bzw. die Meister der „leichten“ Muse und heiterer Operetten, dort der Komponist „schwerer“ Musik und komplexer Musikdramen. Doch da bekanntlich Alles mit Allem zusammenhängt, ist es weder absurd noch willkürlich, zwischen den Wienern und den Bayreuthern Zusammenhänge nicht zu knüpfen, sondern zu rekonstruieren.

So geschehen, zum Vergnügen der Zuhörer im ausverkauften Markgräflichen Opernhaus, in einem Programm der Musica Bayreuth, in dem zumindest drei Wagner-Werke sieben Strauss-Werken wie selbstverständlich gegenübergestellt wurden. Konzipiert hat den Abend Claus J. Frankl, er führt auch in Champagnerlaune, mit klugen wie witzigen Sentenzen (Nietzsche und Wilde, das sind sio die Hausnummern) und einem gehörigen Maß an musikhistorischer Kenntnis durch den viel zu kurzen Abend – denn ein oder zwei Stücke mehr: Man hätte nicht gemeckert. Aber auch so konnten die unter ihrem langjährigen GMD Oliver Weder prachtvoll aufgelegten Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt ein Publikum rocken, das sich gern über die ihm mehrheitlich gewiss unbekannten Verbindungslinien zwischen Wien und Bayreuth, der Donau und Coburg unterrichten ließ. Wer weiß schon, dass Johann Strauss Sohn als deutscher Staatsbürger, genauer: als Coburger Bürger starb? Und wer hat es in Erinnerung, dass in Wahnfried gelegentlich, einmal sogar in einer kammermusikalischen Fassung, Strauss-Walzer gespielt wurden? Gewiss: Das Wagner-Werk-Verzeichnis listet als letztes Opus zwar eine regelrecht werkmäßige „Bearbeitung“ des Walzers Wein, Weib und Gesang auf, die keine ist, aber auch so wurde klar, dass schon der junge Wagner Strauss sehr schätzte, wobei sich das auch an diesem Abend zitierte Wort vom „musikalischsten Schädel Europas“ wohl eher auf den Vater als den Sohn bezog. Egal, denn auch der große Vater kommt an diesem Abend zu Wort; mit dem Walzer Das Leben ein Tanz oder Der Tanz ein Leben wird, nach Wagners sprudelig-südländischer Ouvertüre zum Liebesverbot (keiner „Jugendsünde, sondern, wie Frankl völlig richtig bemerkt, mindestens eine „Talentprobe“), das Thema angeschlagen: Der Tanz, der Räusche zu verursachen pflegt. Klammer des Ganzen ist die Ouvertüre zur Nacht in Venedig, man kehrt wieder in den Süden zurück, bleibt aber doch bei einer Komponistenfamilie, die unverwechselbare Wiener Nostalgiemusikgeschichte schrieb – denn es ist offenhörlich, dass zumal die großen Walzer, von denen Seid umschlungen, Millionen und des nicht minder genialen Josef Strauss‘ Delierien ertönen, nicht lustig sind, sondern eine Vergangenheit beschwören, die niemals war, aber immer noch als „Alt-Wien“ fröhliche Urständ feiert.

© Andreas Harbach

Apropos Vater und Sohn bzw. „Söhne und Väter“: Der Wagner-Rausch erfüllt sich auch, wenn das Orchester Siegfried Wagners Ouvertüre zur Oper Bruder Lustig spielt. In Rudolstadt wurden in den 90er Jahren etliche Opern des „Sohns“, der doch immer eine eigene Sprache sprach und einen persönlichen Stil entwickelte, zur Aufführung gebracht, ja: die Internationale Siegfried-Wagner-Gesellschaft und ihr Pionier P.P. Pachl, der seinerzeit dort Intendant war, haben die Gelegenheit genutzt, um mit Hilfe des dortigen Theaters und Orchesters Siegfried Wagners Opern nach Jahrzehnten der Todesstille wieder zum Erklingen zu bringen. Man kann sich heute noch alles auf den CDs anhören, die die Gesellschaft damals herausbringen konnte. Die Ouvertüre zu Bruder Lustig passt zwar nicht ganz in das Programm, weil es sich eher um eine dramatische als um eine operettenhafte Lustspiel-Ouvertüre handelt, aber dass auch Wagner (Siegfried Wagner) eine Liebe zur leichten Muse hatte, der er nicht allein 1925 in einem gegen den damaligen Jazz gerichteten Statement für die Walzer des Johann Strauss Ausdruck gab (worüber Pachl in seiner Biographie Interessantes mitteilte), ist unüberhörbar – und das Publikum lernt en Passant und live ein Werk des fleißigen und interessanten Opernkomponisten kennen. Im Übrigen macht Frankl auf die „stilistische gleiche Farbe“ der Werke des (durchaus nicht nur im Geleise des 19. Jahrhunderts agierenden) Komponisten aufmerksam, die dessen Schöpfungen, mit denen des Josef Strauss verbinden, der im Prolog seiner Delirien Tristan-Chromatik gleichsam an zitierte, bevor er in eine seiner herrlichsten Walzermelodien verfiel. Darüber könnte man länger nachdenken, ohne unbedingt zum Schluss zu kommen, dass Wagner (Siegfried Wagner) ein Komponist von Gestern war. Frank verweist umgekehrt auf die Tanztheorien Richard Wagners, die tief in das Gebiet der Begründung für eine neue Musikdramatik hineinführen, bevor Strauss Sohns Vergnügungszug-Polka (der GMD an der Kindertröte) und der Einzug der Gäste (drei Trompeter in der linken Trompeterloge) ein fröhliches Duo bilden: „Rummel und Auffahrt auf dem Hügel!“

Die Welt der Wagners und der Sträusse war, man hört‘s in einem praktischen Musikgeschichtskurs, denkbar reich: vom Liebesverbot zu Bruder Lustig, von der Tritsch-Tratsch-Polka zu Ernst Reiterers symphonischer Bearbeitung eines Stücks aus Indigo und die vierzig Räuber als „Intermezzo aus Tausend und eine Nacht“. It works, wie der Fachmann sagt, denn diese Symphonik von Anno 1907, die echt wienerisch, also mit den gerade nötigen Rubati gebracht wird, klingt so balsamisch in die Ohren, dass die Frage, was vom Sohn oder vom Vater, vom Original oder vom Bearbeiter stammt, akademischer Natur ist, und dies auch, weil die Güte der Instrumentalisten und der lautmalerischen Genauigkeit, hier wie bei allen anderen Stücken, auch den Unerfahrensten erreicht. Frankl hat auch hierin Recht: Man muss nicht Musik studiert haben, um die geniale Musik der Meister geniessen zu können.

Riesenbeifall für ein Konzept-Programm, in dem, durchaus nicht als Nebenpunkt, mit Siegfried Wagners Ouvertüre ein Bayreuther Werk auf dem Programm stand, das von den Thüringer Symphonikern genauso scheinbar leger und gleichzeitig konzentriert gebracht wurde wie all die anderen Meisterwerke, einschließlich des Encore, also Robert Stolz‘ mitreißender Frühjahrsmarschparade. Nur schade, dass Wagner – oder anders: die Wagners – das nicht mehr erleben konnten. Die Rhythmen wären ihnen gewiss in die Beine gefahren wie dem Rezensenten.

Frank Piontek, 2. Juni 2025


Johann Strauss, Richard Wagner

Musica Bayreuth
Markgräfliches Opernhaus

31. Mai 2025

Dirigat: Oliver Weder
Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt