Bayreuth: „Arpad Schmidhammers Kostümentwürfe für den Ring 1896“, Ausstellung im Richard-Wagner-Museum (zweite Besprechung)

Ich gesteh’s: ich schätze Kabinettausstellungen fast mehr als große Ausstellungen – denn nur in einer Kabinettausstellung hat der Besucher die Chance, alle, aber auch wirklich alle Objekte genau und relativ lange zu studieren. Nichts gegen eine Monsterschau, aber wer 1977 durch die berühmte Staufer-Ausstellung oder 1980 durch die Wittelsbacher-Ausstellung (drei Standorte in München und Landshut, sechs dickleibige Katalogbände) gegangen ist, deren Wert freilich kaum zu überschätzen ist, weiß, was es bedeutet, erschöpft zu werden – wenn man nicht eine Dauerkarte sein eigen nennt.

Also Bayreuth, Haus Wahnfried. Ausstellung im Grafik-Kabinett (das man neuerdings ohne sinnverbindenden Bindestrich schreibt): Einmal Bayreuth und zurück: Arpad Schmidhammers Kostümentwürfe für den Ring 1896. Fünf Großgrafiken und drei mal fünf Schubladen genügen, damit man sich ein Bild von Schmidhammers Kostüm-, aber auch Requisiten- und Schmuckdesigns zum ersten Bayreuther Ring, der nach Wagners Tod inszeniert wurde, machen kann. Fünf prachtvolle Großgrafiken… Sie zeigen den teuflisch blitzenden Loge und die schöne sanfte Sieglinde.

© Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

Sie zeigen den leicht verzweifelten, relativ jungen Wotan, die wilde Walküre und den sich aufbäumenden Grane, schließlich den die Peitsche brutal schwingenden Alberich. Davorgelegt: Fünf Rollenfotos der dazugehörigen Bayreuther Ring-Darsteller in Sepia, schwarzweiße Ansichten, die realen Ergebnisse der in jedem Sinne farbigen Entwürfe, doch Eines fällt auf: Die in aller Brillanz lebendigen und zwischen Skizze und vollendetem Porträt changierenden Zeichnungen sind Kunstwerke sui generis, als solche typisch für die vorletzte Jahrhundertwende, an der die Kunst, nicht zuletzt in München, neuerfunden wurde. Ihnen steht – der Gedanke kommt einem unausweichlich, wenn man sich einmal auf die Dialektik von (gezeichneter) Theorie und (ausgeführter) Praxis eingelassen hat – gleichzeitig der Historismus gegenüber, den manch Zeitgenosse als altbacken und „typisch bayreuthisch“ empfand. Denn auf der einen Seite orientierte sich Schmidhammer in seinen Kostüm- und Requisitenfindungen an den archäologischen und historischen Forschungen eines vorzeitlichen Germanentums, die weniger vom Bayreuth-Intimus Wolfgang Golther, dem Verfasser eines damals brandneuen, lange Zeit kanonischen und noch vor wenigen Jahren nachgedruckten Handbuchs der germanischen Mythologie, inspiriert wurde. Mag sein, dass, wie es der Ausstellungstext suggeriert, der Philologe seinen Anteil an der Quasi-Rekonstruktion altgermanischer Kostüme und Requisiten hatte. Entscheidender waren, was die Schau direkt klar macht, die realen Objekte, die Schmidhammer aus der archäologischen Fachliteratur holte; der schwedische Vorgeschichtler Oscar Montelius lieferte Schmidhammer all die Vorlagen für die Schmuckstücke, Trinkhörner (Gutrunes Horn war aparterweise aus Glas), Schwerter, Streitäxte, Helme und Trensen, die 1896, unter der Regie Cosima Wagners, für eine Authentizität sorgen sollten, die der Komponist des Ring schon 1876 deplatziert fand; dass er selbst die Entwürfe Carl Emil Doeplers abgesegnet hatte, die Schmidhammers Vorstellungen in rekonstruktiver und stilistischer Hinsicht vorangingen, gehört zu den Widersprüchlichkeiten der frühen Aufführungsgeschichte des Ring des Nibelungen. Dazugepackt: Eine Skizze zu „Fafners Sack“ (fünf Meter lang, drei Meter breit) – und vor allem heitere, aber auch spätere politische Illustrationen des Zeichners, der vom ersten Heft der stilbildenden Zeitschrift, die einer ganzen Bewegung den Namen gab, also der Jugend, bis zu deren letzter Ausgabe dem Organ treu blieb.

Was die Ausstellungstexte nicht verraten, kann leicht nachgelesen werden. Schmidhammer, der sich mit diesem Bayreuther Engagement, dem kein zweiter Theaterauftrag mehr folgen sollte, in die Festspielgeschichte einschrieb – Schmidhammer war nicht der einzige Kostümgestalter des Jahres 1896. Neben ihm agierte Hans Thoma, der weniger archäologisch unterwegs war, indem er Richard Wagners frühere Bitten nach einer freien Nachschöpfung germanischer Realien, wie man sie in Tacitus’ Germania finden kann, schon etwas näher kam und für andere Hauptfiguren die Kostüme aufs Papier warf. Von heute aus gesehen, standen 1896 also zwei ästhetische Konzepte auf der Bayreuther Bühne unvermittelt nebeneinander. Allein eine Kluft zwischen den hinreißenden Figurinen und den lediglich kopierten Museumsstücken fällt schon bei dem einen der beiden Ausstatter des Jahres 1896 auf. Wie so oft bieten Erstere ein vitales Ideal, das durch die Realisierung leicht enttäuscht werden konnte, doch vermag uns die Ansicht schwarzweißer Postkarten und die Lektüre notorisch subjektiver und fragmentarisch bleibender Festspielkritiken natürlich kein sicheres Bild dessen zu liefern, was für den individuellen Zuschauer damals wirklich war. Macht nichts, Theater, auch das Operntheater, ist vergänglich – aber manchmal bleiben die Entwürfe. Wie sagte Christoph Schlingensief, der Regisseur eines eindrücklichen Bayreuther Parsifal, aus Anlass seiner Inszenierung so schön und richtig? „Die Bilder werden bleiben.“ Ita est! In diesem Sinn sind Oswald Georg Bauers späte Kritiken zur Bayreuther Bühnenausstattung des Jahres 1896, wie er sie in seinem kardinalen Buch Die Geschichte der Bayreuther Festspiele vorlegte, mit Vorsicht zu genießen. Verlässlicher ist die Interpretation Philippe Oliviers, der 2007 in seiner Bayreuther Ring-Aufführungsgeschichte vermuten konnte, dass das zeitgenössische Publikum die Inszenierung „optisch recht homogen“ empfunden haben dürfte. Durchaus nicht nebenbei: Die Behauptung, dass es Wagners erste Inszenierung von 1876 gewesen sei, die das historistische Bild des Ring auf den Bühnen bis tief in das 20. Jahrhunderte bestimmt hätte, unterschlägt, dass es erst Cosima Wagners Ring von 1896 war, der unentschlossen zwischen altgermanischem Historismus und gemäßigt reformerischer Gegenwart angesiedelt war und gleichzeitig, mit seiner „bunten Mischung von Mythologie, schwülstigem Barock und germanischen Elementen“ (Philippe Olivier), die Tür in eine wenigstens etwas neue Ring-Bildwelt öffnete. Schmidhammer hatte daran, die Bilder lassen daran keinen Zweifel, seinen lange unterschätzten Anteil. Bayreuthfestspielgeschichtlich interessant sind die noch ins 19. Jahrhundert, also die Cosima-Ära, fallenden Arbeiten also allemal.

Und schon die meterhohen Originalzeichnungen, die ansonsten in den Tiefen des Wagner-Archivs verwahrt werden, lohnen den neuerlichen Museumsbesuch.

Frank Piontek, 22. August 2025


Arpad Schmidhammers Kostümentwürfe für den Ring 1896

Richard-Wagner-Museum Bayreuth
Richard-Wagner-Straße 48
95444 Bayreuth

bis 5. Oktober 2025