Haus für Mozart am 16.8.2017
EINE HÄNDEL-OPER ALS HINREISSENDES GESAMTKUNSTWERK
Der neue „Chef“ der Salzburger Festspiele Markus Hinterhäuser kann zufrieden sein. Sein Motto „Quote + intellektuelle Ansprüche“ geht offenbar voll auf. Stücke wie „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch ziehen ebenso wie „Wozzeck“ von Alban Berg oder „Lear“ von Aribert Reimann. Dessen Shakespeare-Vertonung aus dem Jahr 1978 erfährt am kommenden Sonntag eine mit Spannung erwartete Neuinszenierung. Gar nicht zu reden von „Aida“ oder „La Clemenza di Tito“. Und dennoch, für mich war der bisherige Höhepunkt der Salzburger Festspiele 2017 die Wiederaufnahme der Pfingst-Produktion „Ariodante“ von Georg Friedrich Händel mit der grandiosen Cecilia Bartoli in der Titelrolle. Dieses „dramma per musica“ wurde im Jahr 1735 im damals neu gegründeten Covent Garden-Theatre uraufgeführt. Händel war damals schon 15 Jahre lang erfolgreicher „Gast-Komponist“ in London und schuf mit dieser Oper nach Ariosts „Orlando furioso“ eines seiner reifsten Werke. Nun kann man fast 300 Jahre später erleben wie zeitlos Themen wie „Eifersucht“, „Leidenschaft“ oder„Verleumdung“ und „Intrige“ geblieben sind.
Und außerdem: wie selten gelingt die Aktualisierung der klassischen Stücke? In der eigenwilligen und gar nicht technisch-aufwendigen Regie von Christof Loy (Bühnenbild: Johannes Leiacker) werden auf drei Zeitebenen der Inhalt nacherzählt: da gibt es eine quasi-aktuelle Deutung – im Stil der 50er Jahre (Kostüme Ursula Renzenbrink), dann spiegelt sich die Entstehungszeit von „Ariodante“ wider und dann gibt es mittelalterliche Ritterrüstungen und Schwerter. Man hat ja Themen wie „Gottesgerichte“ und „Treue-Schwüre“ darzustellen.
Und der „Kitt“ zwischen diesen drei Zeitzonen sind eigenwillige, kreative Ballett-Einlagen (Choreographie: Andreas Heise), die einmal in die Barockzeit und dann in die „Traumwelt“ der Gegenwart führen. Zusammen mit dem hochkarätigen musikalischen Niveau, das von der unvergleichlichen Cecilia Bartoli und dem dynamischen Dirigenten Gianluca Capuano mit den Les Musiciens du Prince-Monaco und dem Salzburger Bachchor ausgeht, ergänzt durch Texte von Virginia Wolf, die bei Ariodante zu einer Geschlechter-Wandlung á la Conchita Wurst führen, ergibt das ein völlig neuartiges „Gesamtkunstwerk“, das wirklich in der emotionalen Wirkung „unter die Haut“ geht.
Dabei ist die Handlung ein „Klassiker“ – ähnlich wie bei Otello intrigiert ein „Verlierer“ gegen das Glück eines jungen „Traum“- Paares. In diesem Fall sind dies die Tochter des Schottischen Königs Ginevra (hochbegabt die US-Sopranistin Kathryn Lewek) und der Titelheld und Heerführer Ariodante. Jago heißt diesmal Polinesso und wird von dem französischen Counter Christophe Dumaux sehr viril, dramatisch und virtuos gegeben. Außerdem gibt es eine hochverliebte Zofe (ambitioniert Sandrine Piau), einen etwas stumpf klingenden König: Nathan Berg und einen umtriebigen Bruder von Ariodante: Rolando Villazon; er macht daraus das Beste, zu dem er heute noch fähig ist; seine Musikalität ist unverändert, seine Mittellage ist wieder männlich-dunkel; die leuchtenden Höhen bleiben Erinnerung…Aber was soll’s?
Das Ereignis des Abends ist natürlich Cecilia Bartoli. Sie vollzieht rein optisch glaubwürdig ihre Geschlechtsumwandlung und versetzt das Publikum in Raserei: ihr Singen ist Gefühlsübertragung pur kombiniert mit geradezu artistischer vokaler Brillanz. Da gibt es keine Koloratur, keine Wiederholung, die nicht variiert wird. Statt barocker Langeweile ein Feuerwerk an stimmlicher Nuancen und Farben! Die Rolle des Ariodante ist eine echte Mezzo-Rolle (samt einigen Sopran-Höhen) und die italienische Diva ist in der Form ihres Lebens. Alles in allem: die Begeisterung war vulkanartig! Und es gib noch Reprisen am 18.,22.,25.+ 28.August 2017.
Peter Dusek 24.8.2017
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