Schwarzenberg: „Schubertiade 2024“, Teil 1

Wie nun schon seit fast 50 Jahren reisen international bekannte Sängerinnen und Sänger sowie renommierte Instrumentalisten im Frühjahr und Herbst nach Hohenems sowie im Juni und Spätsommer nach Schwarzenberg/Bregenzerwald, wo im österreichischen Bundesland Vorarlberg sogenannte Schubertiaden stattfinden. Wir waren jetzt wieder in Schwarzenberg und erlebten im wunderbaren Angelika-Kaufmann-Saal mit der phänomenalen Akustik Liederabende und Kammermusik vom Feinsten.

© Schubertiade

Für uns begann die Konzertreihe am 24. August mit dem Liederabend von Golda Schultz und Jonathan Ware, die damit beide ein erfolgreiches Debüt bei der Schubertiade gaben. Die Künstler hatten ein interessantes Programm zusammengestellt, in dem Schubert-Lieder mit Liedern der Komponistinnen Emilie Mayer, Rebecca Clarke und Nadia Boulanger thematisch verbunden wurden. Der Abend wurde mit Schuberts viel zu selten zu hörender, langer Blumenballade Viola eröffnet, einer vom Schneeglöckchen-Refrain zusammengehaltenen Bilderfolge. Mit klarem, intonationsreinem und bruchlos durch alle Lagen geführten Sopran bestach die Südafrikanerin Golda Schultz von Anfang an. Flexibel und ausdrucksstark verbunden mit unterstreichender Gestik gestaltete sie den Frühlingsbeginn einfühlsam; bewundernswert ist ihre ausgefeilte Legato-Kultur und der Einsatz klingender Konsonanten in der Textbehandlung. Ein ebenbürtiger Partner am Flügel war der Amerikaner Jonathan Ware, der bestens auf die Sängerin einging und Übergänge zwischen den Bildern passend gestaltete, ein ideales Miteinander der Künstler. Drei Lieder von Emilie Mayer – die als eine der bekanntesten und produktivsten Komponistinnen der Romantik gilt und u.a. Schülerin von Carl Loewe war – folgten: Im Abendlied zeigte die Sopranistin explizit, dass sie über feinste Verzierungen und Koloraturgewandheit bei anspruchsvoller Melodie verfügt; z.B. meisterte sie auch Oktavsprünge in die Höhe (Du bist wie eine Blume) locker und drucklos. Mayers Erkönig klingt im Vergleich zu Schubert etwas melodiöser. Beide Vertonungen wurden dramatisch klug aufgebaut und differenziert dargeboten. Heute gilt die Britin Rebecca Clarke als wichtige Komponistin der Zeit zwischen den Weltkriegen. Ihr Cradle Song wurde zu einem großen Ruhepunkt, indem die Sängerin zu zartester Klavierbegleitung lange Atembögen und endlos scheinende Decrescendi präsentierte. Die spannende Ballade The Seal Man (Der Robbenmann), ursprünglich entstanden nach einer irischen Legende, nahm später von Benjamin Britten verwendete Klänge bereits vorweg. Das intensive La mer est plus belle que les cathédrales von Nadia Boulanger – eine der berühmtesten Kompositionslehrerinnen des 20. Jahrhunderts – wurde thematisch sinnvoll mit Schuberts Am See und Auf dem Wasser zu singen geboten. Ihr mit großer Ruhe ausgesungener Cantique (Lobgesang) wurde zwischen Schuberts beeindruckendes Gretchen im Zwinger und das mit vielen Farbschattierungen versehene Die junge Nonne gestellt. Clarkes und Boulangers Lieder wurden in der jeweiligen Originalsprache gesungen. Weitere Schubert-Lieder (Suleika I + II, Geheimes, Gretchen am Spinnrade sowie Nacht und Träume) vervollständigten das Programm, das hohen Ansprüchen mehr als genügte.

Für den Ovations-artigen Applaus des Auditoriums bedankten sich die sympathischen Künstler mit einem weiteren Lied von Rebecca Clarke: Down by the Salley Gardens. (ME)

© Schubertiade

So wie seit 1993 bei fast jeder Schubertiade in Schwarzenberg trat am folgenden Abend auch wieder Christoph Prégardien auf,diesmal mit dem ebenfallssehr erfahrenen Liedbegleiter Hartmut Höll. Beide präsentierten ein Programm, das wie so oft von der Romantik geprägt war: Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen wurden eingerahmt vom Liederkreis op.24 von Robert Schumann und verschiedenen Liedern des Festival-Namensgebers Franz Schubert. Die so genannte „Kleine Dichterliebe“, das erste Liedwerk Schumanns überhaupt, fand eine mehr als nur gediegene Wiedergabe durch die beiden gut aufeinander abgestimmten Künstler. Dass es wie bei den anderen Werken derart gelungene Interpretationen wurden, lag vor allem an dem herausragenden Altmeister des Liedgesangs. Wie dieser allmählich auf die Siebzig zugehende Sänger alle noch in reichem Maße vorhandenen Stilmittel aus seinem charaktervollen Tenor herausholte, war bewunderungswürdig: Bei wie selbstverständlicher Textverständlichkeit und klarer Intonationsreinheit begeisterte besonders seine starke Gestaltungsfähigkeit. So kamen der jugendliche Schwung des kleinen Liederkreises ebenso überzeugend zur Geltung wie dramatische Ausbrüche in Schöne Wiege meines Leidens oder die mit perfekter Kopfstimme ausgesungene, wunderschöne Lyrik in Ich wandelte unter den Bäumen. All dies steigerte sich in Mahlers schwermütigen Gesellen-Liedern , wenn in Wenn mein Schatz Hochzeit macht aus aufgesetzter Fröhlichkeit bitteres Leiden wird oder wenn Ich hab‘ ein glühend Messer als eine geradezu hochdramatische  Klage daherkommt, der kontrastreich trostreiche Lyrik in Die zwei Augen von meinem Schatz gegenüber gestellt wird. Nach der Pause gab es aus dem schier unerschöpflichen Reservoir von Schubert-Liedern Bekanntes und auch seltener zu Hörendes. Leider drängte sich der Pianist jetzt einige Male zu stark in den Vordergrund (z.B. in Versunken oder Auf der Bruck), während er im Übrigen bemüht war, die Deutungen des Sängers zu unterstützen. So geriet Aufenthalt angemessen dramatisch, während die ernsten Lieder Abschied (Nach einer Wallfahrtsarie), Die Mutter Erde und das bekannte Goethe-Gedicht An den Mond – Füllest wieder Busch und Tal nachdenklich machten; der Humor in Der Einsame machte einfach Spaß. Schwungvoll ging das offizielle Programm mit Rastlose Liebe und dem flotten Abschied – Ade! Du munt’re, du fröhliche Stadt, ade! zu Ende.

Mit tosendem Beifall machte das Publikum deutlich, dass Prégardien weiterhin mit Liederabenden auftreten sollte. Mit drei Zugaben (Mahlers Rheinlegendchen, Schuberts Dass sie hier gewesen und mit traumhafter Ruhe wiedergegebene Nacht und Träume) bedankten sich die Künstler für den lang anhaltenden Applaus. (GE)

© Schubertiade

Im Kammerkonzert am Nachmittag des 26. August erlebte man durchweg unbeschwertes Musizieren: Dafür sorgten im Klavierquartett op.13 des jungen Richard Strauss die französischenMusiker Renaud Capucon (Violine) und Gérard Caussé (Viola) mit dem Cellisten Clemens Hagen, der kurzfristigfür seine erkrankte Tochter Julia eingesprungen war, und dem aufstrebenden französischen Pianisten Guillaume Bellom. Obwohl dieseInstrumentalisten nicht ständig miteinander musizieren, funktionierte das Zusammenspiel geradezu perfekt; niemand drängte sich unangemessen nach vorn, wahre Team-Player! Das Klavierquartett von Richard Strauss kann wie eine Hommage an Johannes Brahms angesehen werden, ähnelt es doch dessen Klavierquartetten zumindest in formaler Hinsicht. Die Künstler stellten in ihrer Deutung heraus, dass das eingängige Quartett viel „echten“ Strauss enthält. So beginnt der Eingangssatz mit üppigen, samtenen Klängen, bis alle einmal allein oder mit einem anderen im elegischen Hauptthema des Eingangssatzes schwelgen, das diejenigen mit Arabesken umspielen, wenn sie mit dem Thema nicht an der Reihe sind. Nach dem virtuos servierten Scherzo lässt im folgenden Andante mit schöner Melodienseligkeit der „Rosenkavalier“ grüßen. Das Finale: Vivace ist mit pianistischen und streicherischen Finessen gespickt, die die versierten Musiker aufs Beste meisterten. Nach der Pause gab es das bei den Schubertiaden oft zu hörende „Forellenquintett“, an dem sich zusätzlich der bewährte Alois Posch am Kontrabass beteiligte.  Was soll man zu der außerordentlich gelungenen Interpretation des beliebten Werkes sagen? Vielleicht dass man im Andante selten ein so leises, aber dennoch ausgeprägtes Pianissimo hört; oder dass im selben Satz die Soli der Viola gemeinsam mit dem Violoncello besonders schön gelangen, auch weil die anderen so dezent begleiteten. Im Variationssatz kosteten alle ihre Soli gekonnt aus, ohne sich extra profilieren zu wollen; dadurch wurde die Vielseitigkeit dieses Satzes nachhaltig unterstrichen. Schließlich stellten alle im furiosen Finale ihre Virtuosität nachdrücklich unter Beweis.

Der starke Beifall des zu Recht voll begeisterten Publikums steigerte sich gewaltig, als Renaud Capucon bekannt gab, das es das letzte Konzert von Alois Posch war. Der bewährte Kontrabassist ist seit 1983 ständig bei den Schubertiaden aufgetreten und erhielt jetzt von einem Festival-Offiziellen zu seinem Abschied ein üppiges Kuchen-Geschenk.(GE)

Am 26. August gab es mit acht erfolgreichen Liedsängern und sechs Instrumentalisten einen Chorliederabend der besonderen Art: Die vier Tenöre Ilker Arcayürek, Patrick Grahl, kurzfristig für den erkrankten Martin Mitterrutzner eingesprungen Kieran Carrel und Jan Petryka, zwei Baritone Konstantin Krimmel und Andrè Schuen sowie zwei Bässe Andreas Bauer Kanabas und David Steffens stellten selten aufgeführte mehrstimmige Werke von Franz Schubert schlichteren, meist vierstimmigen Volksliedern von Friedrich Silcher gegenüber. Sehr geschickt wurden zum Einstand zwei vierstrophige Trinklieder von Schubert gesungen, in denen jeder Solist in einer Strophe seine stimmliche Qualität solistisch vorstellte und die übrigen Sänger jeweils den chorischen Refrain sangen. Der erfahrene Pianist Daniel Heide unterstützte die so ungewohnt zusammen singenden Protagonisten nach Kräften, so dass sie nach kurzer Zeit zu klanglich ausgeglichenem Miteinander fanden. Auf den ausdrucksstark a capella-gesungenen Der Geistertanz und das obertonreich ruhig fließende Sehnsucht folgte mit viel Schwung Widerspruch, bei dem man deutlich merkte, dass die Künstler selbst viel Freude an diesem gemeinsamen Musizieren hatten. Im ersten Silcher-Block gab es neben den dem Publikum bestens bekannten Liedern wie Frisch gesungen (Hab‘ oft im Kreise der Lieben), Ännchen von Tharau, Die Loreley und Untreue noch Lebewohl; letzteres bestach durch sichere dynamische Abstufung und gelungenes piano im Chor.

Ein Höhepunkt des Abends waren zwei Fassungen vom Gesang der Geister über den Wassern für Oktett und Streicher: Da die Uraufführung 1821 in Wien kein Erfolg war, hat sich Schubert offenbar zu umfangreichen Kürzungen des Notentextes entschieden und eine zweite, kürzere Fassung erstellt. „Beide Fassungen werden voraussichtlich noch in diesem Jahr nach dem neuesten editorischen Stand innerhalb der Neuen Schubert-Ausgabe erscheinen. Der Bärenreiter-Verlag hat freundlicherweise vorab das Notenmaterial für dieses Konzert zur Verfügung gestellt“  (Programmheft). Hier bildeten nun zwei Bratschistinnen (die versierten Karoline Kurzemann-Pilz und Gyöngyi Ellensohn), zwei Cellisten (zupackend Franz Ortner und Fabian Jäger) und der grundierende Kontrabassist Bernd Konzett die sichere instrumentale Begleitung beider Fassungen. Die Urfassung erfuhr so eine eindrucksvolle Interpretation; da stimmten crescendi und decrescendi zum Text, der Wechselgesang zwischen Bässen und Tenören gelang gut, und die tiefen Bässe kamen auch klangvoll zum Zuge. Bestens herausgearbeitet wurde auch das schroffe „Ragen“ der Klippen; von da an schufen die Streicher den elegant sanften Übergang zum Schluss, bei dem die Tenöre leider wieder ein wenig herausfielen. Nach der Pause wurde dann die Kurzfassung geboten, die komprimiert gefälliger und melodiöser wirkte.

Im zweiten Silcher-Block mit Hirtenliebe bewiesen die Tenöre, dass sie auch ausgeglichene und sanfte Passagen beherrschen. Auf das offenbar unvermeidliche, getragene So nimm denn meine Hände folgten das lebendige In einem kühlen Grunde mit lockeren Spitzentönen, der Abschiedsgruß mit gelungenen gemeinsamen Ritardandi sowie das sehnsüchtig muntere In der Ferne. Dynamische Steigerungen in Schuberts sehr getragenem Geister-Chor, weiche Koloraturen im Tenor-Solo von Mondenschein (Jan Petryka) sowie die schöne Mittellage des Tenor-Solos von Nachthelle (Ilker Arcayürek) fielen positiv auf. Besonders publikumswirksam waren das Ständchen mit Konstantin Krimmel als Solist und das Schlusslied Zur guten Nacht, in dem die tiefen Stimmen nochmals ihre klangvolle Lage solistisch präsentieren konnten.

Für begeisterten Applaus mit standing ovations bedankten sich alle Künstler (einschließlich Daniel Heide singend) mit Schuberts Die Stille (Wie schön bist Du…). (ME)

© Schubertiade

Am Nachmittag des 27. August trat wieder einmal Julia Kleiter auf, die gemeinsam mit dem renommierten Liedbegleiter Julius Drake einen großen Erfolg erzielte. Sie begannen mit einer Reihe von zumeist traurigen Volksliedern von Johannes Brahms. Bereits hier zeigte sich, dass die inzwischen ihre Opern-Karriere immer mehr intensivierende Sängerin alles hat, was zur gelingenden Liedgestaltung nötig ist: Gute Textverständlichkeit, was bei Sopranistinnen keineswegs selbstverständlich ist, erfreuliche Intonationsreinheit sowie eine hohe Piano-Kultur. Überraschenderweise fing sie mit dem Ständchen op.106 Nr. 1 an,obwohl im Programm der völlig andere Text des Ständchens op. 14 Nr. 7 abgedruckt war. Sei’s drum – dieser fröhliche Anfang milderte etwas die Traurigkeit der folgenden Lieder. Da unten im Tale erklang mit schöner Schlichtheit, während die Sängerin die Kontraste in Die Sonne scheint nicht mehr mithilfe des sich stets kongenial anpassenden Pianisten klug herausarbeitete. Im folgenden Lied-Block von Franz Schubert wurde die von ihr perfekt beherrschte Technik deutlich, im Grunde alles im Legato zu singen; als Beispiele seien genannt Ständchen – Leise flehen meine Lieder, Der Wanderer an den Mond oder auch das gerade von Sopranen immer wieder gern gesungene Gretchen am Spinnrade. Beim Letzteren allerdings ging die sonst so kultiviert singende Künstlerin zu weit, als die Spitzentöne bei aller durchaus folgerichtigen Dramatik bei „Kuss“ und „Vergehen“ doch allzu grell erschienen.  Nach der Pause gab es eine zweite Schubert-Gruppe, in der dem neckisch servierten Lachen und Weinen die Rosamunde-Romanze und Der Zwerg folgten. Julia Kleiter wusste die Spannung des Liedes vom die Prinzessin tötenden Zwerg spannend zu gestalten, wobei der souveräne Julius Drake sie bei ihren Verzögerungen und vielen dynamischen Abstufungen unterstützte. Auch Der Fischer wurde von beiden ausgesprochen spannend „erzählt“.Eine Gruppe von für die Sängerin und den Pianisten sehr anspruchsvollen Liedern von Franz Liszt bildete den Abschluss des Konzertnachmittags. Im Fischerknaben und Kling leise, mein Lied gefielen besonders die klaren, in feinstem piano gesungenen Höhen. In dem reichlich pathetischen Alpenjäger mit seinen donnernden Klavier-Akkorden imponierte ebenso wie in der Loreley die Treffsicherheit der Sängerin bei den überaus schwierigen Intervallsprüngen.

Beim heftig applaudierenden Publikum bedankten sich die Künstler wieder mit einem Ständchen, diesmal von Richard Strauss.

Marion und Gerhard Eckels, 28. August 2024


Schubertiade 2024

Angelika-Kaufmann-Saal in Schwarzenberg (Vorarlberg)

Schubertiade 24. August bis 1. September 2024

Künstlerische Leitung: Gert Nachbauer