Schwarzenberg: „Schubertiade 2023“, Teil 1

Seit nunmehr über 45 Jahren gibt es so genannte „Schubertiaden“ im österreichischen Bundesland Vorarlberg, im Frühjahr und Herbst in Hohenems sowie im Juni und Spätsommer in Schwarzenberg. Dort in traumhaft schöner Umgebung kommt jeweils ein internationales, fachkundiges Publikum zusammen, um in fast familiärer Atmosphäre Liederabende und Kammermusik vom Feinsten zu erleben, dargeboten von international bekannten Sängerinnen und Sängern der Spitzenklasse sowie renommierten Kammer-Ensembles.

© Schubertiade

Den Auftakt machte für uns am 26. August Christoph Prégardien,diesmal begleitet von Julius Drake am Flügel. Seit 30 Jahren begeistert Prégardien mit seiner hohen Sanges- und Interpretationskunst bei Schubertiaden; sein ebenfalls hochklassiger Begleiter Drake hat es bereits auf 24 Jahre gebracht. Die beiden Künstler stürzten sich zunächst mit Verve in die Interpretation von Schuberts selten zu erlebender Schillerscher Bürgschaft, die allein durch ihre Textlänge eine echte Herausforderung darstellt. Nach dem überfallartigen musikalischen Beginn, wenn Damons Plan, den Tyrannen Dionysos zu ermorden, misslingt, kehrte aber mehr Ruhe ein, und man konnte die große Ausdrucksvielfalt des Tenors genießen, wie er z.B. als Tyrann zynisch dem Tausch Damons gegen seinen treuen Freund für drei Tage zustimmt in der sicheren Annahme, am längeren Hebel zu sitzen. Nach zwei Tagen scheint alles bestens geregelt, da brechen erst Unwetter herein – wunderbar der unendliche Regen im Klavier –, dann die enorme Steigerung mit Stromes Toben, die darin gipfelt, dass ein Gott Erbarmen hat. Kaum überwunden stellt sich mit der raubenden Rotte ein neues Hindernis in den Weg, das mit fast übermenschlicher Kraft bezwungen wird. Besonders fein und zart ausgesungen folgte die Strophe über den lebendigen Quell, der Damon nach dem Kampf erfrischt. Dann die drängende Eile, um ja nicht zu spät zu kommen, und die kernig-dramatische Versicherung Er schlachte der Opfer zweie und glaube an Lieb‘ und Treue. Die Erlösung der aufgebauten Spannung kommt mit den letzten beiden Strophen, wenn Damon gerade noch rechtzeitig kommt, um den Freund zu retten, und Dionysos in größtem Erstaunen über so viel Freundesliebe den berühmten Spruch tut: Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte. All diese Facetten wurden ausgezeichnet herausgearbeitet, wenn auch wenige Endungen und Worte gelegentlich im Stürmen oder Toben des Flügels untergingen. Prégardien präsentierte abermals seine differenzierte Stimmgebung und fabelhafte Behandlung klingender Konsonanten.

Der übrige Abend war Goethe-Vertonungen gewidmet, zunächst bis zur Pause von Franz Schubert. In den Gesängen des Harfners bestachen ausgezeichnete Liedübergänge von Drake und dichtestes Legato von Prégardien. Nach der leicht vorbeihuschenden Rastlose Liebe und Wanderers Nachtlied I mit klarer Tongebung beschloss der Erlkönig (mit kleinem Wermutstropfen in Form zu lauten Klaviers gegenüber dem Gesang) in höchst eindrucksvoller Form den ersten Teil des Abends.

Der zweite Teil bot vorwiegend Goethe-Texte in Vertonungen anderer Komponisten: Da gab es zwei Lieder von Franz Liszt, in dessen Freudvoll und leidvoll das himmelhoch jauchzend tatsächlich so klang. Von Carl Loewes Liedern gefiel besonders das ruhige Lynceus, der Türmer, dagegen fällt sein perfekt gestalteter Erlkönig kompositorisch gegen Schubert etwas ab. Eine große Herausforderung stellt Hugo Wolf mit Phänomen an den Sänger mit schwierigen, ungewohnten Tonfolgen, die dieser aber locker meisterte! Eindringlich geriet Ganymed aus Goethes Sturm- und Drang-Zeit. Dazu zählte auch Ludwig van Beethovens Neue Liebe, neues Leben; in Wonne der Wehmut kamen sichere Crescendi und Decrescendi zum Tragen. Mit Schuberts Wanderers Nachtlied II schloss das Programm, das die große Kunst des reifen Sängers mit ebensolcher des Pianisten zu einem gelungenen Liederabend verband, den das Publikum begeistert feierte. Mit Schuberts Der König in Thule und Der Musensohn bedankten sich die Künstler dafür. (ME)

© Schubertiade

Das Kammerkonzert am Vormittag des 27. August bestritt das Schumann Quartett mit den Brüdern Erik, Ken und Mark Schumann sowie seit 2022 mit dem Bratschisten Veit Hertenstein, das sich seit seiner Gründung 2007 beharrlich in die vorderen Reihen der international anerkannten Quartette gespielt hat. Das a-Moll-Quartett D 804  von Franz Schubert erfuhr eine bis ins Feinste ausgefeilte Wiedergabe, wobei jeder der technisch durchgebildeten Instrumentalisten zu seinem Recht kam. Im recht ruhig genommenen Allegro ma non troppo entwickelten die noch jungen Musiker wunderbar weichen Wohlklang, ohne die dramatischen Effekte der Komposition zu vernachlässigen. Im berühmten, dem Quartett mit dem Rosamunde-Thema den Namen gebenden Andante zeigte sich nahezu perfektes Zusammenspiel, das zu einer imponierenden Interpretation führte. Der dräuende Unterton des Menuetto bildete einen passenden Kontrast zu dem aufgehellten Dur-Trio. Meisterhafte Virtuosität der vier Streicher erfüllte das abschließende Allegro moderato, wodurch die kompositorische Einheitlichkeit des gesamten Quartetts eindrucksvoll herausgestellt wurde. Im zweiten Teil des Konzerts erklang das

Klarinettenquintett A-Dur KV 581 von Wolfgang Amadeus Mozart, das das Schumann Quartett gemeinsam mit der israelischen Klarinettistin Sharon Kam interpretierte. Kompositorisch ist die von Mozart für das Quintett bevorzugte Bassett Klarinette in den ersten drei Sätzen deutlich bevorzugt, was die souveräne Bläserin niemals beherrschend hervorhob. Im Gegenteil: Auch jetzt gab es wunderbares Zusammenspiel aller ausgezeichneten Musiker. Das Larghetto, in seiner friedlichen Ruhe an den langsamen Satz von Mozarts Klarinetten-Konzert erinnernd, fand auch im virtuosen Wechselspiel von Klarinette und 1. Violine eine traumhaft schöne Wiedergabe. Im abschließenden Allegretto con variazoni kam nun jeder noch einmal solistisch zu seinem Recht, sodass  das beliebte Quintett durchgehend unbeschwert und geradezu fröhlich zu Ende gehen konnte. Tosender Beifall machte klar, dass eine Zugabe „fällig“ war. Dazu erklärte Sharon Kam, dass es für diese Besetzung mit einer Bassettklarinette kaum etwas Passendes gebe, aber sie habe doch etwas gefunden, und zwar das Abendlied von Robert Schumann, für diese Besetzung arrangiert von Ferruccio Busoni, das als Dank musiziert wurde. (GE)

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Einen beglückenden Liederabend von Sophie Rennert und dem britischen Pianisten Joseph Middleton erlebte man am Abend des 27. August. Die beiden Künstler hatten vorwiegend Männer-Lieder auf das Programm gesetzt, was auch den eleganten sommerlichen Hosenanzug für Sophie Rennert erklärte. Im ersten Teil des Abends erklangen zwölf Lieder auf Gedichte von Justinus Kerner von Robert Schumann, der zweite war Franz Schubert gewidmet. Von Beginn an machte die Mezzosopranistin deutlich, wo ihre besonderen Stärken liegen: Weiche piano-Ansätze in der Höhe und exakte, wie beiläufig gesungene Verzierungen, verbunden mit phantastischen Steigerungen begeisterten sofort in Lust der Sturmnacht und Stirb, Lieb‘ und Freud; letzteres ergriff vor allem mit den im pianissimo angesetzten Zeilen in Sopranlage Zur Nonne weiht …. Der längst in die Riege der großen Klavierbegleiter aufgerückte Joseph Middleton stand dem in Nichts nach; seine jeweils einfühlsam vorbereitenden Takte zum Lied schufen die sichere Grundlage zu gelungenem partnerschaftlichem Musizieren. Frisch kam das Wanderlied daher, wobei das lyrische Moment ab Da grüßen ihn Vögel mit dichtem Legato herausgearbeitet wurde. Das ausdrucksstarke Erstes Grün, das auf große Linie gesungene Sehnsucht nach der Waldgegend und die sich frisch aufschwingende Wanderung ermöglichten beiden Künstlern, ihre jeweilige große Flexibilität zu beweisen. Bei Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes wurde die positive Erinnerung an den Freund deutlich. Dem Pianisten gelang es bei dem tieftraurigen Lied Stille Liebe, im Nachspiel den Schmerz noch einmal nachzuvollziehen. Die eindringlich interpretierte Frage, das langen Atem fordernde, sich steigernde Stille Tränen, Was machte dich so krank? und das beruhigende Alte Laute rundeten diesen Teil des Abends ab. Den zweiten Teil eröffneten die Künstler mit dem elegant und schnörkellos interpretierten Musensohn, dem eine intensive Wiedergabe des Im Frühling folgte, dessen Tonart- und Stimmungswechsel zu den letzten beiden Strophen deutlich wurde. Ein kleiner, gelungener Spaß war das Geheimnis. An Franz Schubert, der einen kurzen Text des Freundes Johann Mayrhofer sich selbst zu Ehren vertont hatte. Nach dem toll gesteigerten Willkommen und Abschied und sehr differenziert dargebotenen Im Freien folgte das drängende Über Wildemann, in dem das Klavier den Harz hörbar auftürmte. Das nachdenkliche An den Mond in einer Herbstnacht wurde ganz in Ruhe ausgesungen, wie auch Du bist die Ruh mit schier endlosem Atem. Ein interpretatorischer Höhepunkt beider Künstler gelang mit dem balladenhaften Der Zwerg; da wurde die klare Artikulation bis fast zum Sprechgesang bei zwar werd‘ ich ewiglich mich selber hassen in allen Facetten ausgekostet. Eine tolle Lösung war, das Lied Auflösung als Aufschrei des Zwerges direkt anzuschließen! Das Publikum feierte die Künstler für diesen wunderbaren Abend mit langanhaltendem Applaus, für den sie sich mit den Zugaben Schuberts Im Abendrot und Schumanns Mondnacht bedankten. (ME)

© Schubertiade

Der Nachmittag des 28. August war bestimmt durch den Liederabend von Konstantin Krimmel und Julius Drake, die mit eher selten zu hörenden Liedern von Franz Schubert insgesamt schwere Kost mitgebracht hatten. Die sechs Lieder des Anfangs führten gemeinsam mit den ersten drei Liedern des zweiten Teils irgendwie auf den Höhepunkt des Liederabends hin, die Schiller-Ballade Der Taucher. Hier erzeugten dernoch junge Bariton, derzeit im Ensemble der Münchner Staatsoper, und der erfahrene Liedbegleiter atemlose Spannung durch passend opernhafte sängerische Gestaltung und höchst virtuose pianistische Lautmalerei. Wie die tödlich tobenden Meereswogen und die grausame Geschichte der gut 25-minütigen Ballade präsentiert wurden, das hatte herausragendes, begeistert aufgenommenes Niveau, wie man es allerdings bei den Schubertiaden auch immer wieder erleben kann. Das bedeutet nun nicht, dass die vorangehenden Lieder etwa nicht gefielen. Hier konnte man die ausnehmend schöne, stets in vollendeter Legato geführter Stimme bewundern, die sich besonders in dem sehr ruhig genommenen Der Wanderer, im intensiv ausgedeuteten, mit pianistischem Harfenklang begleiteten Nachtstück oder im fast eintönigen Des Fischers Liebesglück bewährte. Der insgesamt überaus positive Eindruck war ein wenig dadurch getrübt, dass Krimmel nach wie vor etwas nachlässig mit den Texten umgeht, wenn er beispielsweise im Der Schiffer statt „gewollt“ „gewusst“ oder in Schillers Hoffnung statt „leerer…Wahn“ „müder… Wahn“ sang. Ein besonderer Leckerbissen war das den ersten Teil beschließende Lied „Auf dem Strom“ (Gedicht von Ludwig Rellstab), an dem anstelle des originalen Horns ein Violoncello beteiligt war, das Mathias Johansen klangschön spielte; hier erfreute das beeindruckend gute partnerschaftliche Zusammenspiel der drei Musiker. Am Ende des Konzerts gab es tosenden, mit Bravo-Rufen gemischten Beifall; die Künstler bedankten sich mit dem Abendlied und dem „Sturm-und-Drang-Lied“ Willkommen und Abschied.

Marion und Gerhard Eckels, 29. August 2023


Angelika-Kaufmann-Saal in Schwarzenberg (Vorarlberg)

Schubertiade 26. August bis 3. September 2023

Künstlerische Leitung: Gert Nachbauer