Hohes Niveau
Wie schon seit über 40 Jahren konnte man nun erneut im akustisch hervorragenden Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg/Vorarlberg Liederabende und Kammermusik vom Feinsten sowie einen Meisterkurs erleben.
Für uns begann es am 23.6. mit dem seit seinem Debüt in Schwarzenberg 2012 als junger Lied- und Opernsänger steil Karriere machenden Schweizer Tenor Mauro Peter und dem bereits fast 40 Jahre hier wirkenden Altmeister Helmut Deutsch am Flügel. Die Beiden hatten eine interessante Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem von Franz Schubert sowie bekannte Gedichte in relativ unbekannter Vertonung von Franz Liszt zusammengestellt. Mauro Peter begeisterte sofort durch seine technisch nahezu perfekt geschulte, samtweiche Stimme, die er mit bester Legato-Kultur, reiner Intonation und sehr guter Diktion zu führen versteht. Ausdrucksstark gelang die Rückert-Vertonung „Daß sie hier gewesen“; erste dramatische Akzente setzte Peter mit „Über Wildemann“ (Schulze) und dem Aufschrei des „Herzens“ in „Die Liebe hat gelogen“ (von Platen). Er genoss sichtlich das Spiel mit der Sprache, u.a. in „Hoffnung“ (Schiller) und „Fischerweise“ (von Schlechta); einziger kleiner Wermutstropfen des Abends war bei letzterem die stellenweise ein wenig zu laute Begleitung für die verhältnismäßig tiefen Stellen des Liedes. Interessant waren dann die Liszt-Lieder: Der spannungsgeladene „König in Thule“ (Goethe) wurde zu einem Höhepunkt des Abends; die einführenden, fast schrägen Klavierakkorde in „Vergiftet sind meine Lieder“ (Heine) führten auch den Tenor zu höchster Dramatik, während er in „Die drei Zigeuner“ (Lenau) die unterschiedlichen Typen gut herausarbeitete. Besonders schienen Peter die abschließenden „Tre Sonetti del Petrarca“ zu liegen, in denen er nochmals seine sicheren, traumhaft sanft aus dem piano anschwellenden Höhen zur Geltung bringen konnte. Aber erst durch die stets aufmerksame und versierte Begleitung von Helmut Deutsch wurden alle Lieder zu einem Generationen übergreifenden gemeinsamen Erlebnis. Den variantenreichen Strophenliedern Schuberts wurde er ebenso gerecht wie den höchst anspruchsvollen Vor- und Zwischenspielen bei Liszt. Beide Künstler bedankten sich für den begeisterten Applaus mit Schuberts „Nachtviolen“ und „Liebhaber in allen Gestalten“. (ME)
Am Vormittag des 24.6. erlebte man das seit seinem Ersten Preis im ARD-Wettbewerb 2012 weltweit erfolgreiche Armida Quartett (Martin Funda, Johanna Staemmler, Teresa Schwamm, Peter-Philipp Staemmler). Das junge Berliner Quartett nennt sich nach der Oper „Armida“ des „Vaters des Streichquartetts“ Joseph Haydn. Das Programm der Matinee enthielt allerdings kein Haydn-Quartett, sondern begann mit der „Sonata à quattro Nr. 4 d-Moll“ von Alessandro Scarlatti. Dessen barocke „Quartettsonaten“ sind ausdrücklich für vier Streicher ohne eine Continuo-Gruppe konzipiert und können deshalb als Vorläufer des klassischen Streichquartetts angesehen werden. Bereits bei diesem kurzen viersätzigen Werk wurde deutlich, dass das Quartett bei schöner Transparenz im fugierten Eingangssatz durchweg über eine exquisite Klangbalance verfügt. Anschließend gab es das Klarinettenquintett B-Dur op.34 von Carl-Maria von Weber, in dem Jörg Widmann bestechende Virtuosität zeigte, ohne die Streicher zu dominieren. Obwohl von Weber offensichtlich darauf bedacht war, die Klarinette in den kammermusikalischen Satz einzubinden, stand das Blasinstrument dann doch naturgemäß im Vordergrund. So konnte man sich an unbeschwertem, fröhlichem Musizieren erfreuen, ohne dass es für die Musiker mit den aberwitzigen Tempi in den Ecksätzen und im Scherzo irgendwelche technischen Probleme zu geben schien. Im Gegenteil, wie Widmann die vielen chromatischen Auf- und Abgänge meisterte, das hatte ganz hohes Niveau. Den zweiten Teil des Kammerkonzerts füllte Schuberts letztes Streichquartett G-Dur D 887 aus, das wegen seiner Ausdehnung – es dauert fast 60 Minuten – und der enormen technischen Schwierigkeiten sehr hohe Anforderungen stellt. Das nicht leicht aufzunehmende Quartett, in dem die Grenzen der kammermusikalischen Möglichkeiten bis ins Letzte ausgelotet werden, erfuhr eine technisch nahezu vollkommene, durchgehend spannungsreiche Interpretation der jungen Musiker, denen man eine bereits reife Durchdringung des Quartetts attestieren kann. Überaus eindrucksvoll waren beispielsweise die in allen Sätzen immer wieder ausbrechenden Klangwellen geradezu sinfonischen Ausmaßes. Im Gegensatz dazu gab es friedliche, fein abgestimmte piano-Passagen wie im Trio des Scherzos. Schließlich forderte das rasante Finale zu Begeisterungsstürmen heraus, mit dem sich das Publikum bei den Künstlern bedankte. (GE)
Seit 1986/1990 konzertieren immer wieder Thomas Hampson und Wolfram Rieger in Schwarzenberg, so auch am Abend des 24.6. mit einem anspruchsvollen Lied-Programm. Im ersten Teil erklangen nach „An die Leier“, wo dem Sänger statt Heldenliedern immer nur Liebesgesänge gelingen, nicht so häufig zu hörende Schubert-Lieder, die sich mit Gedichten von Johann Mayrhofer und Friedrich von Schiller aus dem Bereich der griechischen Mythologie befassen. In diesen tiefernsten, inhaltlich eher schwierigen Liedern zeigte der vielseitige Bariton seine hohe Gestaltungskunst und sein ausgeprägtes Ausdrucksvermögen in bestechender Weise. Sein perfektes Legato-Singen, seine Textgenauigkeit und die technische Vollkommenheit – alles Mittel seiner vollendeten Darstellung – machten die Lieder in ihrem jeweiligen Stimmungsgehalt zu künstlerisch herausragenden Erlebnissen. Dazu trug Wolfram Rieger am Klavier in vollendeter Weise bei, indem er auf jede Nuance des Sängers einging und so mit ihm zusammen die geschilderte Wirkung erzielte. Die beiden Künstler sind in ihrer gemeinsamen Durchdringung der zu interpretierenden Lieder dermaßen eng miteinander verbunden, dass dies auch den nach der Pause erklingenden spätromantischen „Sieben frühen Liedern“ von Alban Berg zugutekam. Diese Lieder aus dem Jahr 1907 stellen durch ihre meist freie Tonalität mit komplizierten Intervallsprüngen und weit ausholenden Melodiebögen hohe Anforderungen, die Hampson und Rieger exzellent meisterten. Hier fiel besonders auf, dass der Bariton die sängerische Gestaltung mehr als sonst bei ihm üblich mit Gesten unterstützte. Völlig zu Hause fühlte er sich dagegen bei den vier abschließenden Rückert-Liedern von Gustav Mahler, von denen das großartige „Um Mitternacht“ und das ergreifende „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ tiefe, nachhaltige Eindrücke hinterließen. Für den jubelnden, wie in der Oper mit Bravo-Rufen durchsetzten Beifall dankten die bedeutenden Künstler mit dem Rückert-Lied „Liebst du um Schönheit“ und dem „Wunderhorn“-Lied „Wer hat dies Liedlein erdacht?“. (GE)
Am Nachmittag des 25.6. überzeugte das 1996 gegründete Jerusalem Quartet (Alexander Pavlovsky, Sergei Bresler, Ori Kam, Kyril Zlotnikov) mit eindrucksvollen Interpretationen des Streichquartetts B-Dur KV 458 „Jagdquartett“ von Wolfgang Amadeus Mozart und des Streichquartetts Nr. 1 „Kreutzersonate“ von Leos Janácek. Das Mozart-Quartett wurde keineswegs zum Einspielen missbraucht, sondern vom namensgebenden Hornmotiv des frischen Eingangssatzes an mit allen Feinheiten ausmusiziert. Das hochdramatische Janácek-Quartett, in dem es um die tödlich endende Dreiecksgeschichte in Tolstois Novelle geht, spielten die Musiker mit einer Eindringlichkeit, die Ihresgleichen sucht. Sie stellten die sehr unterschiedlichen Stimmungen krass gegeneinander, was besonders im 3.Satz, wenn die Eifersucht hochkocht, erschütternde Wirkungen zeigte. Man meinte förmlich zu spüren, dass die „handelnden“ Personen an ihren Gefühlen zu zerbrechen drohten, was noch durch das vorgeschriebene extensive „sub ponticelli“-Spiel (nah am Steg) unterstrichen wurde, bei dem mehr Geräusche als Töne erzeugt werden. Dass ausgerechnet jetzt eine Cello-Saite riss, tat der Intensität des Musizierens keinen Abbruch. Nach kurzer Unterbrechung ging die hochdramatische Entwicklung unvermindert bis zur Tötung weiter, bis das Quartett mit dem reuigen „Monolog“ des Täters fast versöhnlich mit einem Klang „wie eine Orgel“ (Janácek) zu Ende ging. Nach der Pause gab es dann Schuberts großes Streichquintett C-Dur D 956, bei dem der Cellist Gary Hoffman das Klangbild erweiterte. Auch bei diesem ausgedehnten Werk konnte man bewundern, mit welch kluger Ausgewogenheit die Musiker die unterschiedlichen Klangfarben in allen Sätzen auszumalen wussten. Sie zeichneten die „himmlischen Längen“ des Adagio mit enormer, anhaltender Spannungsdichte nach, bis sie das Quintett nach dem schroffen Presto mit dem beruhigenden Trio in das lebendige Finale mit dem furios gesteigerten Schluss führten. Starker, jubelnder Applaus. (GE)
Abends waren die vor allem im Opernbereich herausragende Anja Harteros und der hochkarätige Wolfram Rieger als Begleiter mit einem Liedprogramm von Schubert und Brahms zu erleben. Die Sopranistin mit der sympathischen Ausstrahlung überzeugte durch intensive Gestaltung der kleinen Form „Lied“, wobei in nur wenigen Strophen ganze Operndramen abgehandelt werden müssen. Leider traten dabei aber auch kleine Fehler zutage, die im Opernalltag überhaupt nicht auffallen. Es ging um das Anschleifen einiger Töne von unten, besonders wenn es sich um mit Konsonanten anlautende Wörter handelte; dazu kam gelegentliche Unsauberkeit in der Mittellage (z.B. bei Schuberts „Die Liebe hat gelogen“ oder Brahms‘ „Wie rafft ich mich auf in der Nacht“). Neben ausgezeichneter Artikulation und profunder Technik verfügt ihre Prachtstimme über eine interessant timbrierte Mittellage und glasklare Höhen, die sie mit vielen Nuancen einsetzte. Besonders gut gelangen ihr die Brahms-Lieder wie „Liebestreu“, in dem sie das Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter mit starkem Aufschwung versah, das intensive „Auf dem Kirchhofe“ oder der schelmische „Gang zum Liebchen“. Für mich war das „Ereignis“ des Abends Wolfram Rieger, der mit seinem unglaublichen Gespür für musikalische Zusammenhänge wunderbare Teppiche für die Sängerin ausbreitete wie z.B. bei Brahms‘ „Es träumte mir“ oder Schuberts „Der Jüngling an der Quelle“, zwischen den Strophen Stimmungswechsel vorweg nahm z.B. bei Schuberts „Suleika I“ das kommende „Flüstern“ im Text, und traumhafte Vollendungen aller Lieder bot. Das war meisterhaft. Das versierte Publikum applaudierte stark, aber nach einer Zugabe (Brahms: „Dein blaues Auge“) verlangte es nicht nach mehr. (ME)
Das war am nächsten Nachmittag (26.6.) bei Anne Sofie von Otter und Kristian Bezuidenhout am Hammerklavier ganz anders. Die beiden hatten einen bunten Liederstrauß von Mozart über Schubert bis zu Lindblad und Berwald gebunden. Die erfahrene Mezzosopranistin begann mit Mozart, wobei sie ihre nach wie vor schlanke Stimmführung bestens präsentierte. Mit besonderer Emphase kam u.a. „Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte“ daher, mit starker Mimik und fein variiert „An Chloe“. Bei den 19 (!) Strophen von Schuberts „Viola“ gelang dem Duo ein großer Spannungsbogen, der bis zu den abschließenden, schwächer werdenden Wiederholungen im Klavier anhielt. Das im Klang zarte Hammerklavier passte zu den Liedern und der nie forcierten klaren Stimme hervorragend. Dazu kam, dass Kristian Bezuidenhout sehr gut auf die Sängerin einging, aber durchaus auch eigene Impulse setzte, besonders bei „Viola“. Bei Schuberts „Die Sterne“ ließ von Otter diese ausdrucksvoll blitzen, aber auch sanft schweben; den Schlusspunkt im Programm bildete „Im Walde“, bei dem sich die stürmische Melodie bis zu hymnischen Klängen steigerte, die beide Künstler mit Überzeugung darboten. Zu Recht erklangen vier Lieder von Adolf Fredrik Lindblad im schwedischen Original, das volksliednahe „Sommardag“, die „Nattviolen“ mit großer innerer Entwicklung, das ruhig geführte „Swanvits Sang“ und „En ung flickas morgonbetraktelse“ („Eines Mädchens Morgengedanken“) mit lockeren Koloraturen. Von Franz Berwald steuerten sie das eingängige „Lebt wohl ihr Berge“, eine differenziert gesungene „Romanze“ im schwedischen Original und das temperamentvoll im französischen Original dargebrachte „En parcourant les doux climats“ bei. Kristian Bezuidenhout hatte über die Liedbegleitung hinaus noch drei kürzere Schubertstücke dabei: Da gab es zunächst das Allegretto c-Moll D 915 und das Adagio G-Dur D 178, die dem Pianisten Gelegenheit boten, seine technischen und interpretatorischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Bis dahin stand ich dem Hammerklavier etwas skeptisch gegenüber, aber Bezuidenhout hat mich mit seinem intensiven Ausdruck, aber auch variantenreichen Anschlag überzeugt. Besonders im Adagio kamen die ruhige Gelassenheit, der lebhafte Mittelteil mit kräftigen Akkorden und Arpeggien sehr gut zur Geltung. Im Andante molto aus der Klaviersonate Es-Dur D 568 nutzte er diese Gegensätze sinnvoll aus. Mit drei Zugaben bedankten sich die Künstler bei den begeisterten Zuhörern: „An Silvia“, „Leise, leise, kleine Laute“ und der Melodie „Life is neither good nor bad“ aus Bernsteins „Candide“. (ME)
Fotos (c) Schubertiade
Marion und Gerhard Eckels 27. Juni 2018