Schwarzenberg: Schubertiade August/September 2017 – Teil 1

Spitzenklasse

Die bereits seit Mai 1976, also seit mehr als 40 Jahren, in Schwarzenberg und Hohenems im österreichischen Bundesland Vorarlberg stattfindende Schubertiade hat in Fachkreisen einen geradezu legendären Ruf. Dort in traumhaft schöner Umgebung trifft sich regelmäßig eine eingeschworene Gemeinde, die in fast familiärer Atmosphäre Liederabende, Meisterkurse und Kammermusik vom Feinsten genießt – und es sind schon lange nicht mehr nur Werke von Franz Schubert zu erleben. Immer wieder gelingt es dem Leiter der Schubertiade Gerd Nachbauer, international bekannte Sängerinnen und Sänger der Spitzenklasse sowie renommierte Kammer-Ensembles zu gewinnen.

Den Auftakt bildeten für uns am 25.8. René Pape und der Pianist Camillo Radicke. Man war sehr gespannt, wie der hervorragende Wagner-Sänger sich bei seinem Schwarzenberg-Debüt als Liedsänger schlagen würde. Die Antwort: Ausgezeichnet. Er setzte seinen großvolumigen Prachtbass stark differenzierend ein; dabei bestach er durch beste Textverständlichkeit und traumhaft klingendes Aussingen der Konsonanten. Im ersten Teil des Programms kamen die Klassiker Mozart (Kantate KV 619), Beethoven (Gellert-Lieder) und Schubert (Heine-Lieder) zu Wort und Ton. Nachdem in Beethovens „Die Liebe des Nächsten“ die Spitzentöne noch etwas aus der Linie fielen, strahlte das folgende „Vom Tode“ eine große Ruhe aus, indem Pape nach zartem Piano-Beginn zu gleichmäßig fließender Steigerung fand. Bei Schubert schien er sich dann noch mehr zuhause zu fühlen; besonders anrührend gelang das intensive „Ihr Bild“. Interessant war der zweite Programmteil, der mit Liedern von Roger Quilter (1877-1953) und Jean Sibelius äußerst selten zu Hörendes bot. Bei den im englischen Original gebrachten Quilter-Songs konnte der Bassist seine gestalterischen Fähigkeiten weiter ausspielen: Die eingängigen Melodien wurden weich ausgesungen; ein traumhafter pianissimo-Schluss bei „O mistress mine…“ gelang ebenso gut wie ‚starker‘ Wind in „Blow, blow, thou winter wind“. Die sich anschließenden sechs Sibelius-Lieder in deutscher Übersetzung kamen geschmeidig mit großem Legato, langem Atem, aber auch kraftvollen Ausbrüchen daher. Den Abschluss bildete „Be still, my soul“, eine Hymne nach einem Thema aus „Finlandia“, die der Sänger ausdrucksstark präsentierte. Großen Anteil an dem Abend hatte Camillo Radicke am Flügel, der mit leichter Hand z.B. die perlenden Läufe in „Die Stadt“ glitzern ließ, ebenso kraftvolle Akkorde zu „Die Ehre Gottes in der Natur“ beisteuerte und stets die sichere Grundlage für die kleinen unterschiedlichen Szenen bot. Das kundige Publikum war begeistert und klatschte drei Zugaben heraus, darunter Schuberts interessantes Melodram „Abschied von der Erde“. (ME)

Seit ihrem Abschied aus dem Musiktheater-Bereich im April 2015 macht Elisabeth Kulman mit ambitionierten, außergewöhnlichen Lied-Programmen von sich reden – so auch am 26.8. Der erste Teil des Liederabends mit dem Pianisten Eduard Kutrowatz war Robert Schumann gewidmet. Es erklangen in gewöhnungsbedürftiger Reihenfolge bekannte Lieder wie Goethes „Nachtlied“ oder Eichendorffs „Mondnacht“; eingestreut waren fünf der acht Lieder aus „Frauenliebe und –leben“ sowie weitgehend selten zu hörende Vertonungen von Gedichten der Namensvetterin Elisabeth Kulmann (1808-1825), einer deutsch-russischen Dichterin. Außerdem hörte man für Klavier solo zwei Stücke aus den „Kinderszenen“ sowie „Warum?“ aus den Fantasiestücken. Der letztgenannte Titel stand unausgesprochen über dem ersten Konzert-Abschnitt, denn ein Zusammenhang der einzelnen Kompositionen ließ sich nur mühsam herstellen. Die in Österreich beliebte Mezzosopranistin verfügt über eine in allen Lagen gut ansprechende, klare Stimme ohne besondere Charakteristika; man vermisst das sonst oft in dieser Stimmlage zu hörende satte Mezzo-Timbre, was weiter nicht verwunderlich ist, hat sie ihre Karriere doch als Sopran begonnen. So erreichte sie gemeinsam mit ihrem pianistischen Partner viel über die Gestaltung, wobei ihr die ruhige Stimmung von „Süßer Freund“ oder „Kinderwacht“ besonders lagen, während ihr „An meinem Herzen, an meiner Brust“ allzu verhalten geriet. Einige Manierismen in „Nun hat du mir den ersten Schmerz getan“ und vor allem in der berühmten „Mondnacht“ waren bei aller ruhigen Stimmführung doch störend. Der zweite Konzertteil überzeugte trotz der überraschenden Zusammensetzung der Lieder mehr als der erste. Hier waren Liedern von Franz Schubert, dabei Schillers „Dithyrambe“, deren drei Strophen über den Konzertteil verteilt erklangen, Vertonungen von Erich-Kästner-Gedichten des 1941 geborenen österreichischen Komponisten Herwig Reiter gegenüber gestellt. Jetzt kam die Ruhe in Schuberts „Am Tage Aller Seelen“ oder „Wehmut“ wie von selbst, ohne in das eher aufgesetzte Gestalten des ersten Teils zurückzufallen. Bei Goethes lustigem „Schweizerlied“ und den ironischen, mitfühlenden Alltagsbeobachtungen Kästners, kongenial durch die Komposition unterstützt, ging die Sängerin deutlich mehr aus sich heraus, sodass „Sachliche Romanze“ und „Für die Katz“ geradezu witzig rüberkamen. Das begeisterte Publikum schloss den anwesenden Komponisten in den starken Beifall mit ein. (GE)

Als bestens aufeinander eingestimmt präsentierten sich am 27.8. Piotr Beczala und Helmut Deutsch mit einem Programm des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Teil 1 war italienischen Kompositionen vorbehalten: Nach drei Arien aus „Arie di Stile Antico“ von Stefano Donaudy, die Beczala die Möglichkeit boten, die ganze Bandbreite und vielfarbige Palette seines warmen Tenors vorzustellen, folgten zunächst vier echte Volkslieder von Ermanno Wolf-Ferrari (u.a. das rhythmisch-flotte „O si che non sapevo“). In den sechs sich anschließenden Ottorino-Respighi-Lieder trumpfte der Sänger in „Lagrime“ zunächst passend opernhaft auf mit strahlenden Höhen, schier endlosen Bögen und einem traumhaften Wechsel von forte zu piano auf dem letzten Wort „… morta“; mit solchen Finessen zeigte er sein großes Können in gesanglicher Gestaltung. Helmut Deutsch breitete Beczala jeweils den entsprechenden Klangteppich einfühlsam aus, auf dem dieser mit bester Diktion und gesangstechnisch auf voller Höhe, mit eleganten Übergängen und lockeren Verzierungen spielte. Durch sein sensibles Eingehen auf den Sänger, gute Tempo- und Agogik-Vorgaben bei den Vorspielen sowie die Lieder passend zu Ende führenden Nachspielen trug der Altmeister der Klavierbegleitung entscheidend zum großen Erfolg des Abends bei, der im zweiten Teil polnischen Komponisten gewidmet war: Sechs Lieder von Karol Szymanowski, sieben von Mieczyslaw Karlowicz und vier von Stanislaw Moniuszko stellten die beiden Künstler im polnischen Original vor. Dabei musizierten sie die Steigerungen innerhalb der Lieder von Szymanowski absolut einheitlich; von Karlowicz‘ Liedern gefiel besonders „Vor der ewigen Nacht“ mit dramatischem Anklang. Sehr unterhaltsam waren Moniuszkos „Die Spinnerin“, deren „Arbeit“ man in den flinken Klavier-Rotationen hörte, bis „der Faden riss“, und die Vertonung des „Heidenröslein“ mit Nonensprung (?), die Beczala mit Augenzwinkern sang. Mit stilistisch unterschiedlichen Zugaben bedankten sich die Künstler für den stürmischen Beifall; manche Zuhörer waren „enttäuscht“, da es nicht „wie in Zürich“ sieben – so hörte man aus dem Publikum -, sondern wie bei der Schubertiade üblich nur drei Zugaben gab. (ME)

Anders als bei den wenigen Kammermusik-Abonnements, die es noch gibt, kann man bei der Schubertiade immer wieder Werke für besonders zusammengesetzte Kammer-Ensembles hören. So erklangen am Nachmittag des 29.8. Antonin Dvoraks Streichquintett op.77 und Schuberts Oktett F-Dur D 803. Das Streichquintett ist insofern ein Unikat, als zu dem Streichquartett nicht wie sonst eine weitere Viola oder ein weiteres Cello tritt, sondern ein Kontrabass. Das ergibt ein „echtes“ Bassfundament, das allerdings dem Cello mehr als sonst im Quartett melodische Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet. Davon machte Clemens Hagen dann auch Gebrauch, ohne dass sich durch ihn und den versierten Kontrabassisten Roberto di Ronza gegenüber den Geigerinnen Gergana Gergova und Baiba Skride sowie der Bratscherin Veronika Hagen eine unpassende Basslastigkeit entwickelte. Obwohl die beiden Geigerinnen nicht ständig mit den beiden Mitgliedern des Hagen-Quartetts zusammen musizieren, wurde in dem teilweise geradezu sinfonisch anmutenden Quintett ausgezeichneter Zusammenklang erreicht. Die bei Dvorak üblichen slawischen Elemente kosteten die technisch über jeden Zweifel erhabenen Musiker ebenso wie die sinfonischen Ausbrüche temperamentvoll aus. Nach der Pause kamen mit Paul Meyer (Klarinette), Marco Postinghel (Fagott) und Alejandro Núnez (Horn) hochkarätige Solisten hinzu, die alle Schuberts Oktett mit nie nachlassender Spielfreude präsentierten. Besonders beeindruckte bei ihrem Schubertiade-Debüt die bulgarische Geigerin Gergana Gergova, die wie schon im Dvorak-Quintett die 1. Violine spielte, durch souveräne Führungskraft und sichere Virtuosität, die allerdings bei allen anderen ebenso zu bewundern war. Im ausgedehnten Variationssatz kam jeder einmal solistisch an die Reihe, bis sich alle zum wirbeligen Finale verbanden, mit dem die Musiker Beifallsstürme des begeisterten Publikums hervorriefen. (GE)

Am Abend beglückten Violeta Urmana und Helmut Deutsch mit einem klassischen Programm: Schubert, Mahler und Strauss. Vom zupackenden Vorspiel des Pianisten an disziplinierte Violeta Urmana ihren zum Sopran neigenden Opern-Mezzo gekonnt; sie offerierte die zehn Naturbilder Schuberts mit größter Natürlichkeit, so dass schon zur Pause emphatischer Jubel aufbrandete. Das lag auch am letzten Lied, an der ausdrucksstarken Gestaltung des „Erlkönigs“, die der Begleiter besonders hart mit stets Unruhe suggerierendem Pochen anging, während die Sängerin die verschiedenen Personen hervorragend charakteristisch herausarbeitete. In „Erlafsee“ beispielsweise „kräuselten“ beide kongenial das „Gewässer“ durch „frische Winde“. Die fünf Rückert-Lieder von Gustav Mahler wurden von dem Duo sehr spannend teils mit viel Ruhe („Ich atmet’ einen linden Duft“), teils mit dramatischen Aufschwüngen („Um Mitternacht“) bestens dargeboten. Die Strauss-Lieder und überhaupt den ganzen Abend könnte man unter dem Aspekt der Schlusszeile des Liedes „Wie sollten wir geheim sie halten“ sehen: „…bis in die tiefsten Falten sei allen unser Herz enthüllt“. Wie immer in Schwarzenberg belohnten drei Zugaben den stürmischen Applaus. (ME)

Marion und Gerhard Eckels, 30. August 2017

Fotos: Schubertiade