Premiere: 15. 2. 2019
Flop im türkischen Filmstudio
Seit sieben Jahren berichte ich regelmäßig über die Opern-Produktionen des kleinen, aber sehr ambitionierten Stadttheaters im slowenischen Marburg. Regelmäßig konnte ich dabei feststellen, dass die Leistungen für den Rang und die Größe des Hauses oft auf geradezu erstaunlich hohem Niveau waren. Natürlich ist Mozart besonders heikel, aber auch da gab es in Marburg in der Vergangenheit etwa bei Don Giovanni und Zauberflöte Ordentliches bis Erfreuliches.
Diesmal allerdings muss man es offen aussprechen: Die Neuproduktion der Entführung aus dem Serail, die zuletzt vor über 30 Jahren in Marburg auf dem Spielplan stand, ist in mehrfacher Hinsicht wirklich nicht gelungen – da gibt es nichts zu beschönigen!
Es begann wohl damit, dass die Premierenbesetzung der Konstanze aus Krankheitsgründen ausfiel und kurzfristig die Zweitbesetzung die Premiere übernehmen musste. Die 45-jährige bulgarische Sopranistin Petya Ivanova hat internationale Erfahrung (vor 10 Jahren sang sie auch dreimal an der Wiener Staatsoper die Königin der Nacht) und ist ein langjähriges Marburger Ensemblemitglied.
Vor zwei Jahren ist sie mit einer eindrucksvollen Leistung als Lady Macbeth von Mzensk ins dramatische Fach gewechselt. Mit der Konstanze war sie diesmal jedoch einfach überfordert. Da gab es immer wieder große Intonationsprobleme, einen Bruch zwischen Mittellage und Höhe und auch rhythmische Unsicherheiten. Schade – eine verdiente Sängerin wie Ivanova ist hier ganz einfach falsch eingesetzt. Aber auch Tomaž Štular als Osmin und Uroš Dolšek als Pedrillo waren ihren Partien stimmlich nicht gewachsen – darüber konnte auch sympathisches Spiel der beiden nicht hinwegtäuschen.
Auf dem gewohnten stimmlichen Niveau des Marburger Hauses waren bei den Solisten diesmal nur das jugendlich-charmante Blondchen von Nina Dominko und der sicher gestaltende Belmonte von Martin Susnik. Beiden kann man eine stets saubere Intonation, absolute Höhensicherheit und Mozart-gerechte Phrasierung bescheinigen. Bevor ich auf das Regiekonzept eingehe, noch eine positive Anmerkung: die Artikulation des gesungenen und gesprochenen deutschen Textes gelang anerkennenswert gut!
Bassa Selim war der erfahrene und sich profiliert präsentierende Marburger Schauspieler Ivica Knez – und diese Figur war auch die Schlüsselfigur des szenischen Konzepts, für das der deutsche Regisseur Bruno Berger-Gorski gemeinsam mit dem Bühnenbildner Marko Japelj und dem Kostümgestalter Luca Dall’Alpi verantwortlich zeichnete. Das Stück beginnt zunächst in altmodischer Stadttheater-Tradition als recht konventionelles Kulissentheater, bis nach dem Janitscharen-Chor (Nr. 5 der Partitur) der Bassa auftritt und sich als ein Filmemacher erweist, der offenbar ein Auge auf seine Hauptdarstellerin Konstanze geworfen hat und sich deutlich als etwas Besseres fühlt als seine Provinztheater-Truppe. Mit seinem Filmteam arrangiert er jede Gesangsszene – offenbar meinte der Regisseur, dass die zahlreichen Arien zu statisch seien, und dass alles mit krampfhaft gestellten Filmszenen verfremdet werden müsse. Außerdem muss das Ganze im Filmstudio Istanbul spielen, damit man möglichst viele muslimisch gekleideten Menschen, verschleierte Haremsdamen, und auch eine Gebetsszene einbauen kann. Und natürlich muss auch immer wieder ein Team von Kopftuch-Putzfrauen auftauchen, das zwischen den einzelnen Szenen die Bühne reinigt und sich über die gespielt-gefilmten Szenen wundert und erheitert.
Welch unsäglich banal-vergröbernder und unnötiger Einfall – wie oft hat man schon in den letzten Jahren Putzfrauen in Operninszenierungen erlebt! Oder umgekehrt gefragt: in welchen Operninszenierungen der letzten 20 Jahre sind bisher noch keine Putzfrauen aufgetreten?? Ich erspare mir und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Schilderung der vielen Details, die sich da der Regisseur ausgedacht hat, um Mozart „zeitgemäß zu beleben“……
Leider kam auch aus dem Orchestergraben nicht gerade der ideale Mozart-Klang. Der erfahrene englische Dirigent Simon Robinson hatte speziell zu Beginn (z.B. beim Terzett Belmonte – Pedrillo – Osmin) sozusagen „alle Hände voll zu tun“, um alles zusammenzuhalten, und speziell bei den langsamen Passagen bestand stets die Gefahr der Verschleppung. Man erlebte mehr eine ordentlich „verwaltete“ Wiedergabe der wunderbaren Mozart-Partitur statt einer spannungsvoll-federnden Interpretation. Positiv zu erwähnen ist der spielfreudige Chor mit seinen stimmkräftigen Janitscharen-Solisten (Leitung: Zsusza Budavari-Novak).
Marburg ist regelmäßig das Ziel von organisierten Busreisen für Opernfreunde. Auch diesmal sah man wieder sehr viele österreichische Gäste in dem knapp 850 Plätze fassenden Haus, das zu Beginn ausgezeichnet besucht schien. Da fielen dann zwei Dinge besonders auf: schon in der Pause hatte ein markanter Teil des Publikums das Haus verlassen – und es ist mir noch selten passiert, dass es vielfache Äußerungen des österreichischen Publikums gab, wie sehr man von dieser Aufführung enttäuscht sei.
Wünschen wir Marburg – und natürlich auch allen Opernfreunden! -, dass die nächste Premiere – Andrea Chénier am 5. April – wieder erfolgreicher verlaufen möge!
Hermann Becke, 16. 2. 2019
Szenenfotos: SNG Maribor, © Tiberiu Marta