Musikalisch sind es vor allem die orchestralen Interludes zwischen den sieben Szenen der Oper LESSONS IN LOVE AN VIOLENCE, welche in Erinnerung bleiben werden. In diesen Zwischenspielen erreicht der Komponist George Benjamin ein gewaltige atmosphärische Dichte, einen regelrechten Sog, mal mit aufrüttelnden Klangballungen, dann wieder mit subtil austarierter, kammermusikalischer Transparenz. Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg machen diese Passagen zu einem eindringlichen Erlebnis, davon würde man gerne eine Orchestersuite hören – für einmal zeitgenössische Musik, die schon beim ersten Zuhören fesselt.
Leider setzt sich dies in der Behandlung der Stimmen nicht fort. Benjamin komponiert in einem gepflegten, aber leider etwas leidenschaftslosen Deklamationsstil, irgendwo zwischen Debussy und Britten angelegt, ohne deren dramatische oder poetische Kraft und Eindringlichkeit zu erreichen. Und so schleppt sich der Abend an manchen Stellen etwas dahin (was zum Teil bestimmt auch am etwas kopflastigen Libretto von Martin Crimp liegt), obwohl das Stück lediglich 90 Minuten dauert. Das ist beileibe nicht die Schuld der Sänger, denn die Stimmen dieser Besetzung in Hamburg sind ausgesprochen schön, ebenmäßig, blitzsauber. Nur für den Part der Isabel hat Benjamin Phrasen und Kantilenen von aufhorchen lassender Intensität gefunden – und mit Georgia Jarman steht in Hamburg eine Interpretin zur Verfügung von stupender vokaler (und darstellerischer) Gestaltungskraft. Mein Gott, ist das eine traumhaft schöne Stimme, die trotz allen Glühens wunderbar klar und kontrolliert leuchtet, virtuos strahlt und damit auch berührt. Exzellent auch das eigentliche Liebespaar der Oper, der King und sein Geliebter Gaveston, der in der 6. Szene als Fremder wiederkehrt und dem gefangenen König aus der Hand liest. Benjamin hat dieses gleichgeschlechtliche Paar mit zwei Baritonen besetzt. Evan Hughes als King und Gyula Orendt als Gaveston singen beide mit wunderbar weichen, warmen Stimmen – und setzen sich doch im klanglichen Ausdruck voneinander ab.
Der kunstbesessene, die Notlage des Volkes völlig ignorierende König von Evan Hughes klingt sanfter, entrückter, der Gaveston von Gyula Orendt selbstbewusster, fordernder. Schade, dass die Musik hier nicht mehr Leidenschaft ins Spiel bringt. Selbst die Bettszene klingt unterkühlt. Da drängt sich zugegebenermaßen der Vergleich mit Andrea Lorenzo Scartazzinis vor zwei Jahren in Berlin uraufgeführter Oper EDWARD II auf. Und was Leidenschaft und Erotik in Szene und Musik anbelangt, hat mich persönlich Scartazzinis Oper weit mehr bewegt. Vielleicht liegt es auch an der allzu behutsam distanzierten Inszenierung von Katie Mitchell, welche verantwortlich zeichnet für diese Koproduktion von sieben großen Opernhäusern. Es dominieren einmal mehr schwarze Anzüge und Kostüme im Business-Look (entworfen von Vicki Mortimer), welche eine unnahbare Kälte und Distanz verbreiten. Faszinierend jedoch ist der Bühnenraum, der ebenfalls von Vicki Mortimer stammt: Von Szene zu Szene ändert sich der Blickwinkel auf dieses Apartment, mit seiner blau-kalten Holztäfelung, die Wände scheinen zu wandern. Das ist überwältigend gut gemacht. Am Ende ist dann auch das Aquarium ausgetrocknet, sind die Kunstschätze aus der Vitrine verschwunden. Die Kinder Edwards, welche die ganze Zeit über Zeugen des Spiels um Liebe und Macht waren (selbst die Bettszene King-Gaveston haben sie mitangesehen) haben die Lessons of Love and Violence gelernt und richten Mortimer (mit klarem hellen Tenor: Peter Hoare) vor den Augen Isabels hin. Von den beiden Kindern hat nur der Junge und spätere König zu singen.
Samuel Boden macht das mit lichtem hohem Tenor, eine engelsgleiche Stimme, die eine Unschuld verströmt und mit Eiseskälte von der brutalen Folter und der Erschießung Mortimers durch das Mädchen (mit stummer Präsenz: Ocean Barrington-Cook) berichtet. Hervorragend besetzt sind auch die kleinen Partien der Zeugen: Hannah Sawle und Emilie Renard als Witness 1 und 2 und Andri Björn Róbertsson als Witness 3 und Madman.
Die Darstellerinnen und Darsteller wurden am Ende vom Publikum stürmisch gefeiert, ebenso Kent Nagano und das Orchester. Es war dies bereits die vierte und letzte Vorstellung dieser Deutschen Erstaufführung.
Kaspar Sannemann 3.5.2019
Bilder (c) Forsters