Stuttgart: „Madama Butterfly“, Giacomo Puccini

© Martin Sigmund

Zu einem vollen Erfolg geriet die Wiederaufnahme von Puccinis Madama Butterfly an der Staatsoper Stuttgart. Das war wirklich ein ganz großer Opernabend. In den nun 19 Jahren ihres Bestehens hat die Produktion in der Regie von Monique Wagemakers, dem Bühnenbild Karl Kneidls und den Kostümen von Silke Willrett nichts von ihrer großen Eindringlichkeit und Kraft verloren. Den Kultstatus, den sie in der Zwischenzeit genießt, hat sie mehr als verdient. Hier handelt es sich um spannendes und stringentes Musiktheater vom Feinsten.

Frau Wagemakers hat sich über die Oper hervorragende Gedanken gemacht und mit einer ausgefeilten Personenregie spannend auf die Bühne gebracht. Erwähnenswert ist, dass sie an keiner Stelle der Gefahr erliegt, ins Kitschige abzugleiten. Das westliche Element und knallharter Realismus bilden den Ausgangspunkt ihres ansprechenden Konzeptes. Dazu gesellt sich noch ein gehöriger Schuss an Emotionalität. Jeglicher Art von altbackenem, total überflüssigem japanischem Flitter erteilt die Regisseurin eine klare Absage. Das tut dem Werk gut. Der Regisseurin ist in erster Linie daran gelegen, die allgemeinen, von Ort und Zeit unabhängigen Handlungselemente in ein gleißendes Licht zu rücken. Die stark reduzierte Ausstattung mit lediglich wenigen Requisiten trägt dazu nicht unerheblich bei. Das lenkt die Aufmerksamkeit des Publikums gänzlich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese werden von Monique Wagemakers mit großer Akribie und enormem technischem Können herausgearbeitet. Die Protagonisten wirken niemals unbeteiligt, sondern sind stets voll präsent. Daraus resultiert eine starke Innenspannung, die vom Anfang bis zum Ende anhält und das Auditorium ganz in ihren Bann zieht.

Bei Frau Wagemakers hat Cio-Cio San bereits zu Beginn mit ihrer japanischen Heimat gebrochen. Neben den Werten von Amerika pflegt sie nun auch diejenigen Europas. Unabhängig von ihrer großen Liebe zu Pinkerton wurde ihr bewusst, dass die westliche Welt um einiges reizvoller ist als die fernöstliche Kultur. Sie hat ihr viel mehr zu bieten als ihr Heimatland. Das elegante weiße Brautkleid, das Butterfly bei ihrem ersten Auftritt trägt, ist ein Produkt des Westens. Die Regisseurin führt die Titelfigur als emanzipierte junge Frau vor, die traditionellen Rollenmustern in keiner Weise mehr entspricht. Ihr Auftreten wirkt äußerst bestimmt und selbstsicher.

© Martin Sigmund

Zudem zeigt sie einen starken Willen. Mit dem Element der Manipulation kann sie ebenfalls trefflich umgehen. Am laufenden Band vernachlässigt sie ihr Kind. Sie präsentiert es erst in dem Moment, in dem sie sich von seiner Existenz, von der die anderen Handlungsträger hier längst wissen, einen Vorteil verspricht. Auf emotionale Erpressung versteht sich Cio-Cio-San vortrefflich, das muss man sagen. Die ganze Zeit über geht sie ausgesprochen planvoll und berechnend vor. Den traditionellen Opferstatus legt sie ab und mutiert zu einer selbstbestimmten, ja fast politischen Frau. Pinkerton hat für sie nur die Funktion eines Alibis, sich der westlichen Welt und ihren Verlockungen zuzuwenden. Die Lebensmodelle der beiden gehen allerdings nicht Hand in Hand und können auch in der Zukunft nicht unter einen Hut gebracht werden – eine Tatsache, die auch Butterfly zu guter Letzt schmerzlich erkennen muss. Kein Wunder, dass sie sich kurz vor ihrem Suizid wieder der japanischen Kultur zuwendet.

Gelungen ist das Bühnenbild von Karl Kneidl. Die beteiligten Personen agieren auf einer Spielfläche im vorderen Teil der Bühne. Der Hintergrund wird von einem Abgrund dominiert. Über diesem hängt in Schieflage ein riesiger Spiegel, durch den man gut sehen kann, was da unten vor sich geht. Die beteiligten Personen, die allesamt modern gekleidet sind, treten von hier aus auf. Immer wieder kommt dabei eine Videokamera zum Einsatz, die das Geschehen filmt und damit ermöglicht, es zu einem späteren Zeitpunkt in einem Fernseher erneut anzuschauen. Von dieser Option macht im zweiten Akt insbesondere Cio-Cio-Sans kleiner Sohn regen Gebrauch. Derart erfährt er, wie sein Vater aussieht, den er bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen hat. Kate Pinkerton hantiert im dritten Aufzug ebenfalls eifrig mit einer Videokamera. Wenn sie kurz vor Schluss das sich ihr nähernde Kind unablässig filmt und dessen auf die Rückwand projiziertes Bild immer größer und bedrohlicher wird, ist das eine äußerst eindringliche, die Aufführung sehr effektvoll beendende visuelle Impression, die einen gewaltigen Eindruck hinterlässt. Deutlich wird, dass der Sohn seinem Vater Pinkerton lebenslang den Tod seiner Mutter vorwerfen und ihn wohl für immer hassen wird. Das war alles sehr überzeugend. Daran hatte sicher auch der szenische Leiter der Wiederaufnahme Jens Hindricks einen großen Anteil. Hier haben wir es wahrlich mit einer der besten Inszenierungen des Werkes zu tun!

Am Pult gelang es GMD Cornelius Meister, das begeisterte Publikum in einen regelrechten musikalischen Rausch zu versetzen. Mit feinem Gespür für das veristische Element von Puccinis Partitur animierte er das bestens disponierte Staatsorchester Stuttgart zu einem intensiven, ausgesprochen emotionalen und sehr spannungsgeladenen Spiel in ausgewogenen Tempi. Auch auf dynamische Schattierungen und die Herausstellung einer großen Farbpalette verstand sich der Dirigent blendend. Den Sängern war er ein umsichtiger  Begleiter.

© Martin Sigmund

Auf hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Das begann schon bei Anna Princeva, die mit expressivem, expansionsfähigem und zu wunderbaren Lyrismen fähigem Sopran eine phantastische Cio – Cio – San sang. Herrlich, wie sie ihre bestens italienisch fokussierte, höhensichere und gefühlvolle Stimme dahinfließen ließ und dabei auch mit einer schönen Pianokultur aufwartete. Auch ihre darstellerische Leistung vermochte stark für sich einzunehmen. Neben ihr bewährte sich in der Rolle des von der Regie nicht gerade sympathisch angelegten Pinkerton Atalla Ayan mit ebenfalls vorbildlich italienisch fundiertem, kraftvollem und über sichere Spitzentöne verfügendem Tenor. Gut gefiel die sehr emotional und ebenmäßig singende Suzuki von Ida Ränzlöv. Ein markant und kräftig intonierender Sharpless war Lucio Gallo. Mit recht maskigem Stimmklang stattete Torsten Hofmann den Goro aus. Profundes Bass-Material brachte David Steffens in die Rolle des Priesters ein. Eine solide Kate Pinkerton gab Simone Jackel. Ordentlich schnitt Jacobo Ochoa als Fürst Yamadori ab. Ein Extralob gebührt dem Kind von Sam Schweizer. Ansprechend besetzt waren die zahlreichen Nebenrollen.

Fazit: Eine ausgezeichnete Produktion, deren Besuch sehr zu empfehlen ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese bemerkenswerte Inszenierung noch lange auf dem Spielplan der Stuttgarter Staatsoper halten wird.

Ludwig Steinbach, 16. Dezember 2025


Madama Butterfly
Giacomo Puccini

Staatsoper Stuttgart

Premiere: 12. März 2006
Besuchte Aufführung: 14. Dezember 2025

Inszenierung: Monique Wagemakers
Musikalische Leitung: GMD Cornelius Meister
Staatsorchester Stuttgart