Einen Abend nach der Wiederaufnahme der legendären Elektra-Inszenierung von Patrice Chéreau zu seinem 10. Todestag mit dem Abschied von Waltraud Meier als Klytämnestra von der Opern-Bühne gab es am Haus unter den Linden eine interessant besetzte Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis Don Carlo in der Regie von Philipp Himmelmann. Besonders interessant erschien die Besetzung von Falk Struckmann als Großinquisitor, der auch im Symposium „Regietheater in der Oper – ein Irrweg?“ am 23. und 24. November im Ehrbar Saal im MusikQuartier in Wien teilnehmen wird.
Aber natürlich ist Don Carlo immer ein großartiges Erlebnis, erst recht auch durch einige Weltklasse-Besetzungen an diesem Abend. So ist René Pape ein außerordentlich Respekt gebietender Philipp II., der gleichwohl tiefe menschliche Enttäuschung bei seiner großen Arie „Sie hat mich nie geliebt“ zeigt. Stefan Pop wurde krankheitsbedingt als Don Carlo durch Yusif Eyvazov ersetzt. Er machte mit sehr guter Technik und Erreichen aller Spitzentöne an diesem Abend einen guten Eindruck, wobei sein Timbre weiterhin Geschmackssache ist. Alfredo Daza gibt einen recht guten und nachdrücklichen Marquis von Posa. Falk Struckmann war ein Urerlebnis als Grande Inquisitore im großen Rededuell mit Philipp II. von René Pape. Die Szene wird zu einem, wenn nicht dem Höhepunkt des Abends durch den sich steigernden funktional-emotionalen Machtkampf zwischen beiden Protagonisten mit ihren ebenso kraftvollen wie ausdrucksstarken Bass-Stimmen. Das ist kaum intensiver zu gestalten und zu singen als von diesen beiden Sängerdarstellern, ja ich möchte sagen Sängergestaltern! Man fragt sich am Ende wirklich, ob es stimmt, dass der Thron sich immer vor dem Altare beugen muss, wie Philipp es am Ende des Duells erschüttert angesichts seiner Machtlosigkeit zum Ausdruck bringt. Das ist sicher selten so prägnant und eindrucksvoll wie hier dargestellt worden und wurde im Übrigen auch entsprechend musikalisch untermalt.
Die bewährte Ekatharina Gubanova gibt eine attraktive, stimmlich und darstellerisch beeindruckende Prinzessin Eboli, die hier schon seit langem die Geliebte von Philipp ist. Etwas aus dem Rahmen fiel Adriane Queiroz als Elisabeth von Valois. Sie hatte nicht die Souveränität, welche diese Persönlichkeit an den Tag legen sollte, und es fehlt hier auch am entsprechenden stimmlichem Format. Grigory Shkaruka singt den Mönch klostergerecht, und Regina Koncz aus dem Internationalen Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden ist ein guter Tebaldo. Victoria Randem singt die Stimme von oben mit mythischem Aplomb.
Die Inszenierung ist recht einfach, im Bühnenbild von Johannes Leiacker gar spartanisch wie die Beleuchtung von Davy Cunningham. Sie gewinnt aber durch einige dramaturgische Lösungen und eine gute Personenregie an Spannung. Eine vorherrschende Schwarz-Weiß-Ästhetik wird im Hintergrund immer wieder durch sich öffnende und schließende rechteckige Vorhänge streng belebt. Ansonsten gibt es im Prinzip nur einen großen Tisch, an dem vornehmlich hochherrschaftlich gespeist wird. Letzten Endes fehlt aber doch einiges von der Natur des Stücks und seinem politischen Hintergrund. Die Kostüme von Klaus Bruns sind aus dem Heute wie bei einer halbszenischen Inszenierung. Dazu passt dann im vermeintlichen Autodafé überhaupt nicht, dass die fünf Ketzer splitterfasernackt mit langen Seilen in den Bühnenboden gezogen werden. Das würde man heute ja wohl ganz anders machen…
Massimo Zanetti dirigiert diesen Don Carlo mit der bestens aufgelegten Staatskapelle Berlin sehr gut, emotional und die richtigen Momente auch entscheidend betonend. Der Staatsopernchor, von Dani Juris einstudiert, kann ebenfalls beeindrucken. Die Staatskapelle ist einfach großartig, und Christian Thielemann kann sich freuen, was er hier für die kommenden Jahre vor sich hat.
Klaus Billand, 31. Oktober 2023
Don Carlo
Giuseppe Verdi
Staatsoper Berlin Unter den Linden
Besuchte Vorstellung: 8. Oktober 2023
Regie: Philipp Himmelmann
Dirigat: Massimo Zanetti
Staatskapelle Berlin