Alessandro Scarlatti
Premiere am 1.11.2019
Würdiger Auftakt der Barock-Tage
Nicht nur einen, gleich sieben Äpfel wie die sieben Todsünden lässt die von der Schlange verführte Eva in der Staatsoper bei der Eröffnung der Barock-Tage mit Alessandro Scarlattis Oratorium Il primo omicidio aus der Kittelschürze fallen; ansonsten aber herrscht nicht gerade szenische Üppigkeit in der, was Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und Licht betrifft, zu verantwortenden Produktion von Romeo Castellucci, zumindest im ersten Teil, in dem sich die Welt noch in einer Art Urzustand befinden soll.
Gemessen sind die manchmal in Posen erstarrenden Gesten der Mitwirkenden als da sind das erste Menschenpaar, seine beiden Söhne Caino und Abele, dazu Gott und Teufel. Im Hintergrund erscheinen Lichtspiele und es senkt sich auch einmal kopfüber die Darstellung einer Verkündigung wie ein Fallbeil über die Szene. Nach der Pause findet der erste Mord der Menschheitsgeschichte, ein Brudermord, auf dem Feld des Caino statt, angestiftet nicht nur vom Teufel, sondern unter Hilfestellung von Gottvater selbst, der nach Programmheft (außer dem Kapitalismus) der eigentliche „Schuldige“ ist, nicht nur, weil er aus unerfindlichen Gründen das Pflanzenopfer des Caino verschmäht, das blutige Tieropfer Abeles aber dankend angenommen hat, sondern weil er das Böse in die Welt bringen will. Caino verkriecht sich hinter einem von ihm gebauten Mäuerchen, das zum Schluss niedergerissen wird, unter einer Plastikfolie regt sich nach dem Flehen um weitere Nachkommenschaft neues Leben, und wenn während des gesamten zweiten Teils die schauspielerische Arbeit von Kindern wahrgenommen wurde, die sogar synchron zu den erwachsenen Sängern die Münder bewegten, erwacht die zuvor doch recht starr wirkende Szene zu erstaunlichem Leben. Die Leiterin der Kinder-Statisterie Eveline Galler-Unganz hat wahrhaft Erstaunliches geleistet, lässt ihre Truppe die Grablegung Abeles und die Krönung Cainos mit der Krone als Kainsmal spielen, während die Sänger sich aus dem Orchestergraben oder den Proszeniumslogen vernehmen lassen.
René Jacobs, unermüdlicher Erforscher und Entdecker der barocken Musikliteratur, hat das für Venedig komponierte Oratorium in der Bibliothek der Musikhochschule Basel entdeckt, er betont im Programheft, wie unspektakulär die Oratoriumsmusik im Vergleich zu der der zeitgleichen Oper zu sein hatte, dass ein Violinkonzert als Sinfonia, so wie hier zu hören, nichts Ungewöhnliches war und begründet die Wahl der Instrumente, die abgesehen von den unverzichtbaren Violinen, vom B`Rock Orchestra eingesetzt werden. Bevor sie nun in Berlin aufgeführt wurde, war die Produktion bereits in Paris im Palais Garnier zu erleben und wird noch nach Palermo ins Teatro Massimo gehen. Trotz der Vorankündigung einer strengen, kargen Musik klingt die aus dem Orchestergraben vital, sinnlich, dem Teufel mit barocker Windmaschine, dem Herrgott mit einer Altposaune zu mehr akustischer Autorität verhelfend.
Vorzüglich ist das Solistenensemble. Die beiden Brüder, obwohl beide Mezzosoprane , sind vokal klar voneinander zu unterscheiden. Mit strahlender Höhe verkündete Olivia Vermeulen als Abele die Heilsgewissheit aus dem Jenseits. Dunklere, glutvolle Töne lässt Kristina Hammarström als an seiner Schuld leidender Caino vernehmen. Die dritte Ausnahmestimme ist der Sopran von Brigitte Christensen, die nicht nur die Höhe ihres Stimmfachs hat, sondern eine auch in der Mittellage ausdrucksstarke, höchst präsente Eva sang.
Das dunkle Element des Abends ist Arttu Kataja aus dem Ensemble der Staatsoper als dominanter Lucifero ( auf dem Besetzungszettel steht „voce di“, was wohl bedeutet, dass ursprünglich kein optisches Erscheinen der höheren Gewalten vorgesehen war), während der Countertenor Benno Schachtner ein etwas blasser Dio bleibt. Einen ebenmäßig geführten, für Barockmusik und die väterliche Rolle angemessenen Tenor setzt Thomas Walker für den Adamo ein.
Insgesamt war das ein durchweg höchst erfreulicher Auftakt für die Barock Tage 19 der Staatsoper, die noch bis zum 10. November im Haus selbst und im Pierre Boulez Saal andauern und neben zwei weiteren szenischen Aufführungen von Purcells „King Arthur“ und „Dido & Aeneas“ eine Fülle von Konzerten jeder Art vorsehen.
Fotos Bernd Uhlig
2.11.2019 Ingrid Wanja