Die Operette ist wieder da! Mit Oscar Straus‘ Perlen der Cleopatra in Hildesheim, Offenbachs Orpheus in der Unterwelt in Magdeburg, Kálmáns Zirkusprinzessin in Hannover und nun noch Cloclo von Franz Lehár in Braunschweig ist geradezu eine Welle von Operetten in die Theater im mittleren Norddeutschland geschwappt, durchweg zur Freude des Publikums. Allen Produktionen ist gemeinsam, dass entfremdendes Regietheater nicht stattfindet, sondern Wert auf eine gute Mischung von Sentiment und tänzerischer Ausgelassenheit gelegt wird. So auch in Lehárs weithin unbekannter Operette Cloclo, mit der das Staatstheater jetzt einen großen Premierenerfolg erzielen konnte.
Bevor Lehár sich endgültig Stücken mit traurigem Ende, wie „Der Zarewitsch“ oder „Das Land des Lächelns“ zuwandte, komponierte er in kurzer Zeit die durchweg beschwingte Operette „Cloclo“, die 1924 am Wiener Bürgertheater uraufgeführt wurde.
Zum Inhalt des Librettos von Bela Jenbach in der vom Regisseur und der Dramaturgin Theresa Steinacker leicht modernisierten Dialogfassung: Die Tänzerin Cloclo Mustache wäre gern der gefeierte Star Pariser des Nachtlebens; in den Zeitungen findet man sie jedoch nur unter „Vermischtes“. Umschwärmt wird sie von einer ganzen Reihe von Verehrern, ihrer „Garde“, aber auch von Severin Cornichon, dem wohlhabenden, älteren Bürgermeister von Perpignan, der unbedingt seiner kleinstädtischen Ehe entfliehen will. Cloclo bittet ihn öfter brieflich um finanzielle Unterstützung, die dieser auch prompt leistet. Als dessen Ehefrau Melousine einen Brief Cloclos an Severin abfängt, glaubt sie, dass sich hinter der ironischen Anrede „Papa“ eine uneheliche Tochter verbirgt. Sie reist nach Paris, um die vermeintliche Tochter zu adoptieren. Dort schlägt Melousine Cloclo vor, sie in Perpignan in ihre Familie aufzunehmen. Dieses Angebot kommt der Tänzerin gerade Recht, weil sie wegen einer Ohrfeige polizeilich gesucht wird. Als die beiden Frauen in Perpignan ankommen, wird die Lage für den Bürgermeister peinlich. Wohl oder übel muss er Cloclo als seine Tochter anerkennen, die jetzt auch hier in der Provinz als Babette heftig umschwärmt wird. Als die Behörden die wahre Identität von Babette alias Cloclo ermittelt haben, wird sie wegen der Ohrfeige verhaftet und inhaftiert. Wie es sich gehört, gibt es ein Happyend: Der Minister begnadigt Cloclo und holt den Bürgermeister in seine Staatskanzlei; Cloclo freut sich ihrer Freiheit, die sie in Zukunft gemeinsam mit Maxime, ihrem Freund aus Pariser Tagen, feiert.
Das Team um den Regisseur Dirk Schmeding hat in Braunschweig eine etwas schrille, knallbunte Inszenierung hingelegt, die durchweg großen Spaß macht. Als sich nach der flotten Ouvertüre der Vorhang öffnet, sieht man auf der kahlen Bühne zunächst nur eine große, fahrbare Requisiten-Kiste, auf der Cloclo sitzt und das Publikum begrüßt. In einer urkomischen, schmissigen Szene stellen sich einige ihrer im wahren Leben eher biederen Verehrer als ihre „Garde“ vor, denen sie ganz andere Namen gegeben hat, wie Prinz von Veuve-Clicquot, Graf von Monte Christo oder Vicomte de Grand Marnier; hier haben die Chorsolisten Steffen Doberauer, Andreas Sebastian Mulik, Marcellus Mauch, Peter Fontaine und Krzysztof Gasz ihre individuellen, wirkungsvollen Auftritte. Bereits in dieser Chorszene wird deutlich, wie die Hildesheimer Choreografin Annika Dickel den Herrenchor zu tänzerischen Bewegungen animiert hat; das ist ganz große Klasse und natürlich alles nur deshalb so gelungen, weil das Spiel dem gesamten Ensemble offensichtlich enormen Spaß macht. Auch sonst ist die Spielfreude in jeder Szene zu spüren. Zum Erstaunen des Publikums wird eine große Showtreppe hereingefahren, auf der sich dann die weiteren Szenen abspielen. Was die Kleider und Anzüge Cloclos angeht, hat Kostümbildner Alfred Mayerhofer viel Fantasie bewiesen. Jetzt tritt Cloclo nicht mehr in grün, sondern in rot auf, wie sie überhaupt in jeder Szene passend, aber stets ausgesprochen ansehnlich gekleidet ist. Das Eintreffen Cloclos in Perpignan wird auf einem Bahnsteig des Provinzbahnhofs freundlich besungen und gefeiert. Auch der Bühnenbildner Pascal Seibicke hat seine Fantasie spielen lassen, indem nach der glitzernden Showtreppe zum 50. Geburtstag des Bürgermeisters ein riesiger, mit Torten aller Art und Größe übersäter Gabentisch die Bühne beherrscht. Hier haben nun alle noch einmal ihre Auftritte, die zeitweise ins Klamaukige abdriften, bis schließlich die Verhaftung Cloclos nicht mehr abzuwenden ist. Leider fällt die Inszenierung nun etwas ab, indem der Vorhang fällt, ohne dass in den nächsten fünf Minuten irgendetwas passiert. Erst als eine Zwischenaktmusik erklingt, kommt das Publikum wieder zur Ruhe. Der letzte Akt spielt vor einer großen dunklen Scheibe im Gefängnis, wo es dann zum bereits geschilderten Happyend kommt.
Braunschweigs 1. Kapellmeister Mino Marani am Pult des wieder ausgezeichneten Staatsorchesters trifft mit anfeuernder und zugleich präziser Zeichengebung den Kern der charmanten Musik Lehárs, in der viele der Tänze der 1920er-Jahre verarbeitet sind, wie Foxtrott, Blues, Java oder Tango; die einschmeichelnden Walzer sind dem echten Liebespaar Cloclo/Maxime vorbehalten. Aus dem durchgehend mit viel Spielwitz agierenden Ensemble ist zuerst Jasmina Sakr in der Titelrolle zu nennen. Sie wirbelt von Beginn an mit wie selbstverständlich wirkenden Bewegungen über die Bühne, wobei ihre Musical-Ausbildung nicht zu übersehen ist. Aber auch sängerisch weiß sie mit ihrem blitzsauberen, schön aufblühenden lyrischen Sopran zu gefallen. Maximilian Krummen hat man mit verstärktem Leibesumfang zu einem mittelalten Herrn machen wollen, was so recht nicht gelungen ist. Aber er füllt den in späten Liebesrausch verfallenen Bürgermeister Severin Cornichon mit lebhafter Darstellung und markantem, höchst flexiblem Bariton als pralle Witzfigur aus. Für Cloclo überraschend taucht im 1. Akt aus dem Publikum ihr späterer Geliebter Maxime de la Vallé auf, den Zachariah N. Kariithi mitschönem, rund geführtem Bariton und tänzerischem Schwung gestaltet. Seine Duette mit Cloclo sind musikalische Höhepunkte der Aufführung. Der charaktervolle Mezzo von Sandra Fechner passt gut zu der sich schließlich emanzipierenden, aus der ihr zu engen Ehe ausbrechenden Melousine Cornichon. Matthew Peña gibt den Cloclo vergeblich anhimmelnden Klavierlehrer Chablis klarstimmig als skurrilen Typen.In der kleinerenRolle des Ministers setzt Jisang Ryu seinenmächtigen Bass klangvoll ein, während der Bassist Rainer Mesecke in der Sprechrolle des von Cloclo geohrfeigten Polizisten Pétipouf zu erleben ist. Der bewegungsfreudige Chor überzeugt auch durch gute Klangausgewogenheit (Johanna Motter).
Das Premierenpublikum war begeistert und dankte allen Mitwirkenden mit starkem, mit Bravo-Rufen durchsetztem Applaus.
Gerhard Eckels, 4. Dezember 2022
„Cloclo“ von Franz Lehar
Besuchte Premiere am 3. Dezember 2022
Staatstheater Braunschweig
Inszenierung: Dirk Schmeding
Musikalische Leitung: Mino Marani
Staatsorchester Braunschweig
Weitere Vorstellungen: 11.,15.,31. Dezember 2022+18.,27. Januae 2023 u.a.