Braunschweig: „Il Barbiere di Siviglia“, Gioachino Rossini

Das ist wirklich ein toller, turbulenter Spaß, der zurzeit im Staatstheater in Rossinis Opern-Dauerbrenner „Barbiere“ abgeht. Dabei beginnt alles eher düster, indem man nach der fein ausmusizierten Ouvertüre auf eine graue Häuserwand blickt, hinter der sich irgendwo die vom Grafen Almaviva angebetete Rosina befinden soll. Anstatt wie sonst üblich, das Ständchen des Grafen mit Musikinstrumenten zu begleiten, bewegen grau gekleidete Industrie-Arbeiter ihre Werkzeuge lautlos – ein etwas irritierender Beginn. Mit dem Auftritt des wirbeligen Barbiers Figaro wird dann alles anders: Jetzt geht der Spaß erst richtig los, wenn der Blick auf ein riesiges Stahlrad als Zeichen für beginnende Industriealisierung zur Entstehungszeit der Oper freigegeben wird (Bühne: Hartmut Schörghofer). Im Laufe des Abends wird deutlich, dass das sich immer wieder auf der Drehbühne drehende Rad eine Art Geld-Druckmaschine ist. Regisseur Felix Seiler will damit wohl nicht unbedingt am beginnenden Kapitalismus Kritik üben; wie er im Programmheft ausführt, hat er vielmehr die Idee, dass Rosina nicht tatsächlich eingesperrt ist, sondern von ihrem Vormund Bartolo durch Schmuck und Luxus „gefangen“ gehalten wird. Das erscheint doch eher fragwürdig, weil vielfach der Text dazu nicht passt. Dagegen liegen die Vorzüge der Inszenierung deutlich mehr in dem teilweise geradezu rasanten Spiel, das sich dem musikalischen Tempo anpasst und dabei immer auf den Punkt kommt.

© Thomas M. Jauk     

Dass das Ganze auch in der besuchten Vorstellung ein so großer Spaß wurde, lag ganz entscheidend an dem äußerst spielfreudigen Ensemble, das von Linda Schnabel und Katharina Leu mit überbordender Fantasie in grellbunte Kostüme mit irrwitzigen Frisuren gesteckt worden war. Viele überraschende Ideen reicherten den Spielablauf an; was alle gerade auch während der sängerischen Leistung an szenischen Aktionen durchführten, das war bewunderungswürdig. In der Titelrolle glänzte der Kenianer Zachariah N. Kariithi mit lebhafter Gestaltung des umtriebigen Barbiers und durch seinen sympathischen, kräftigen Bariton, den er gekonnt durch alle stimmlichen Schwierigkeiten der Partie einschließlich exakter Koloraturen führte. Eine Rosina der Extraklasse war Milda Tubelytė, die der jungen Frau ein gehöriges Maß an Selbstbewusstsein gab und ihren schön timbrierten Mezzo geradezu perfekt einsetzte, sodass die vielen glasklaren Koloraturen wie Perlen auf der Schnur aufgereiht waren.

© Thomas M. Jauk     

Als eleganten Graf Almaviva erlebte man Leonardo Ferrando; auch durch ihn wurde die „Gesangsstunde“ ein besonderer Jux. Mit seiner eigen timbrierten Stimme verbreitete er manchen tenoralen Schmelz. Einen allzu sehr beleibten, aber dennoch wendigen Dr. Bartolo gab Michael Mrosek, dessen flexible Stimme, aus der man ab und zu auch den Heldenbariton heraushörte, während der Arie „A un dottor della sorte“ wegen des recht raschen Tempos, auf dem der Dirigent bestand, an seine Grenzen geführt wurde. Jisang Ryu als Don Basilio lotete die füllige Tiefe seines durchschlagskräftigen Basses genüsslich aus. Als reichlich skurrile Bedienstete agierten Peter Fontaine (Ambrogio) und Veronika Schäfer (Berta), die ihre kleine Arie witzig präsentierte und mit klarem Sopran die beiden Finali überstrahlte.

© Thomas M. Jauk     

Die tüchtigen Chorsolisten Sebastian Matschoß und Ross Coughanour traten als Fiorillo und ein Offizier auf; der Herrenchor, einstudiert von Georg Menskes und Johanna Motter, erwies sich wieder als klangvoll und ausgewogen. Die musikalische Leitung hatte Braunschweigs 1.Kapellmeister Mino Marani, der wie immer mit sehr präziser Zeichengebung das ausgezeichnete Staatsorchester zu flotten Tempi anhielt und die Spritzigkeit der Partitur angemessen zum Klingen brachte.

Starker, begeisterter Beifall belohnte alle Mitwirkenden.

Gerhard Eckels, 6. November 2023


Il barbiere di Siviglia
Gioachino Rossini

Staatstheater Braunschweig

Premiere am 14. Oktober 2023
Besuchte Vorstellung am 5. November 2023

Inszenierung: Felix Seiler
Musikalische Leitung: Mino Marani
Staatsorchester Braunschweig