und verschleierte Frauen auf der Wartburg
Premiere am 22. April 2017
Wir antworten auf den letzten Satz der Pressestelle mit einem "Oder auch nicht!" denn Regisseur Amir Reza Koohestani liegt ziemlich daneben – "Thema verfehlt!". Er sieht Tannhäuser als Wanderer bzw. Flüchtling zwischen unterschiedlichen Welten und Kulturen. Zur Wartburg, seiner ursprünglichen (!) Heimat, die fataler Weise irgendwo im Orient in einem streng muslimischen Land liegt, kehrt er aus dem verruchten Westen, wo Frau Venus mit ihrem verderbten Gefolge lebt, zurück.
Diese Idee klingt beim ersten Lesen gar nicht so schlecht, doch reißt der Rote Faden schon im ersten Akt, wenn das solitäre Bühnenrequisit, ein überdimensioniertes, mittelalterlich anmutendes Gardinenbett, auf welchem es sich eine Gruppe junger, leichtbekleideter Menschen – anscheinend zum Gruppensex oder nach selbigem – gemütlich gemacht hat. Man räkelt sich schlafend.
„Naht Euch dem Lande, wo in den Armen glühender Liebe selig süß Erwarmen stillt eure Triebe.“ Wagner hier einmal frei ab 6 Jahren, denn nach richtiger Orgie (sprich: Rudelbumsen) sieht das Ganze eben nur auf den ersten Blick und von oben videografiert, aus. Zu züchtig und brav ist alles arrangiert. Von Tannhäuser oder Venus zumindest auf den ersten Blick noch keine Spur.
Zur Bacchanal Musik – man spielt die Pariser Fassung – gibt es nun wirre Projektionen von alten Filmen. Wir erkennen unter anderm Schwarz/Weiß-Streifen der „Kraft durch Freude“-Bewegung (Leni Riefenstahl, 1936) bis hin zum Wasserballett von Esther Williams („Die badende Venus“, 1944); alles optisch verschleiert und verfremdet (Videogestaltung von Philipp Widmann).
Mädels aus dem 30ern allüberall, und alles endet dann nach sieben Minuten in bunt-rotem Flimmern. Bildstörung? Nein, denn jetzt werden drei Harems-Tänzerinnen, die sich so kitschig klicheehaft bewegen, als seien sie gerade einem Walt Disney-Film entsprungen, als Schattenspielerei auf der Hinterbühne einmal rauf und runter gefahren. „Sinnlose Plage – Müh ohne Zweck.“ (O-Ton Wagner)
Über die läppische Präsentation von Venus, deren Optik und Ausstattung (Kostüme: Gabriele Rupprecht) einer spießigen Mutti aus dem Kohlenpott näher kommt als einem verführerisch erotischem Weib und dem Geplänkel mit Tannhäuser, der mich nicht nur optisch, sondern auch in der Beweglichkeit eher abkühlend an Demis Roussos im Streifenbademantel erinnert, möchte ich keine weiteren Worte verlieren, denn es ist alles von schrecklicher Optik. „Erbarm Dich mein.“ (abermals Wagner).
Immerhin erfrischende Lacher im Publikum, wenn Tannhäuser von seinen ehemaligen Kameraden in eben dieser unedlen Scheußlichkeit mit den Worten empfangen wird „Wer ist dort im brünstigen Gebet? – Ein Büßer wohl. – Nach seiner Tracht ein Ritter!“
Die hilflose Regie, ohne erkennbare Personenführung, offeriert schon am Anfang – am Ende wird es noch viel schlimmer! – langweiligen Rampengesang mit Opernsteinzeitgesten. Die Sänger scheinen auf sich allein gestellt. „So singe, Held!“ (Wagner). Keinerlei überzeugende Aktionen, die Sinn machen könnten; man steht rum, breitet die Arme aus, muß unglücklich agieren. Wenn die Regie nicht weiter weiß / dann nimmt man ordentlich Trockeneis. "Waberlohe" heisst es bei Wagner anderswo.
Immerhin hat die Entsorgung des Bettes am Ende des ersten Aktes durchaus unfreiwilligen humorigen Charakter, wenn die ankommenden Pilger nämlich selbiges zerlegen und sich auf ihm posierend, wie auf einer Art Schiffchen, von der Bühne schieben lassen.
Akt II: Die Wartburg quasi als Moschee geht nun gar nicht, und wenn dann auch noch überzeugte Moslemritter über die "hehre Liebe" singen, dann wird es ärgerlich. Bleiben wir mal aktuell: in einem muslimischen System, in dem Zwangsehen geschlossen und Minderjährige von den Eltern verkuppelt werden, geriert das Ganze zu übler Peinlichkeit und naiver Verharmlosung. Der Sieger des Wettbewerbs soll auch noch einen goldenen Krummsäbel bekommen.
Der Einmarsch der Gäste über die Seitentüren des Auditoriums – die heilige Halle ist natürlich das Opernhaus ! – verläuft nach dem Motto „Hallo,wir sind im Fernsehen!“, denn alle winken ins Publikum und werden dabei gefilmt. Leider winkt nur der Rezensent zurück, doch ich bin unglücklicherweise auf dem schlechten Videoausschnitt, der das Ganze auf die Hinterbühne projiziert, nicht zu sehen; vielleicht hätte ich aufstehen sollen.
Immerhin drapiert sich, trotz dieser Regietheater-Mätzchen aus den 90-ern, der passabel singende Chor (Leitung: Thomas Etler- de Lint) ordentlich in Dreierreihe und Glied sauber ausgerichtet am Orchestergrabenrand und singt…
…und winkt weiter aufgesetzt locker und heiter. Leider wirkt solch fröhliche Spontanität auf das Publikum keineswegs ebenso fröhlich. Wagnerianer haben halt begrenztes Humorpotential. Sprung: Immerhin werden im dritten Akt dann alle, die bei der Rom-Erzählung nicht eingeschlafen sind, mit einem schön arrangierten Finalbild (siehe unten) belohnt.
Kommen wir zur gesanglichen Würdigung. Da wären drei Sänger wirklich erwähnenswert: Edith Haller ist als Elisabeth (unten rechts) der große Star des Abends. Die einzige Wagnerstimme mit internationalem Format. Ihr gelingen die großen Bögen genauso, wie die leisen Passagen im Gebet – eine grandiose Besetzung. Hinzu kommt ihre bis ins kleinste feinsinnig ausgearbeitete Textverständlichkeit – was bei Wagner ja keine Selbstverständlichkeit ist. Brava!
Wobei ich dann gleich zur weiblichen Antipode komme, denn von Tuija Knihtiläs Venus war trotz ihres respektablen Organs und tragender, wenn auch rauher Stimmlage nicht ein Wort zu verstehen. Und selbst wer mitlas (dankenswerterweise Obertitel), fragte sich, was diese Künstlerin da überhaupt sang. Esperanto? Gibt es am Darmstädter Haus eigentlich keine Sprachtrainer?
Als zweites wäre der standfest und zuverlässig singende Landgraf Hermann von Martin Snell zu würdigen. Eine feste und sichere Burg in jeder Hinsicht, solch gute und sichere Stimme erfreut das Herz und die Wagnerseele des Publikums sowie des Kritikers gleichermaßen. Es hört sich an wie Wagner, klingt wie Wagner und ist ebenfalls durchaus Wagner-textverständlich präsentiert. Bravo! Snell weiß, was er singt und tut dies auf bewundernswerte Art und Weise.
Herausragend auch ein junges, erwähnenswertes Talent: David Pichlmaier als Wolfram – ist wahrlich einen goldenen Abendstern wert. Hier ist ein guter Sänger, den man aufbauen muß und sollte. Bitte merken Sie sich den Namen.
Zuletzt komme ich zur Hauptpartie: Tannhäuser – gesungen von Deniz Yilmaz.
Sie gehört wegen der ungeheuren Ansprüche und der ständigen Bühnenpräsenz zu den heikelsten, anstrengendsten und schwierigsten Tenor-Rollen, die es im Opernsektor überhaupt gibt. Die Tannhäuser-Partie ist der blanke Wahnsinn, daher werden für gestandenen Wagnersängern, welche diese Rolle gut beherrschen (und von denen es aktuell vielleicht 5-7 auf dem Weltmarkt gibt) horrende Honorare gezahlt, und diese Künstler sind oft auf Jahre ausgebucht. Also Geduld, liebe Opernfreunde, und Nachsehen mit einer vielleicht nicht so überzeugenden Interpretation. Wenn sich ein junger Sänger ohne riesige Wagner-Erfahrung in dieses eigentlich immer ruinöses Abenteuer stürzt, dann ist dies erst einmal bewundernswert und verdient Respekt. Dieser Repekt gebührt Herrn Yilmaz, der die Partie recht wacker durchstand. (Bild / Links: Yilmaz / rechts: Martin Snell)
Uneingeschränktes Lob geht an den GMD, Maestro Will Humburg, der mit dem routiniert und sicher aufspielenden souveränen Staatsorchester Darmstadt für die viele Unbill auf der Bühne entschädigte und auch die schwierige Koordination zwischen Bühnenmusik und Graben sauber im Griff hatte. So sollte Wagner klingen – so muß er klingen. Bravi!
Am Ende viele Buhs für das Regie-Team aber auch sehr begeisterte Darmstädter Wagnerianer, die ihren Lokalmatadoren doch vieles verziehen.
Peter Bilsing 23.4.2017
PS
Besonderen Respekt und Dank an den begnadeten Fotografen Wolfgang Runkel (c) für die schönen Szenenbilder, die hier viel beeindruckender wirken, als die teilweise habdunkle deprimierende Bühnenrealität am Premierenabend.