Besuchte Premiere am 26.09.15
Aus dem Reich der Untoten
Zugegebenerweise bin ich ein großer Verehrer des Regisseurs Dietrich W. Hilsdorf, wenn dann am Opernhaus Hannover dann noch mit Antonin Dvoraks "Rusalka" eine meiner Lieblingsopern dazu kommt, sind die Erwartungshaltungen meinerseits nicht gering. Vielleicht waren sie an diesem Abend etwas zu hoch gesetzt: Hilsdorf beschäftigt sich im Umgang mit den Werken stets mit der Zeitgeschichte der Entstehungszeit. Bei der Nixengeschichte bleibt er da an der damals sehr beliebten Totenmaske eines ertrunkenen Mädchens hängen, die "Unbekannte aus der Seine" hing in vielen Reproduktionen aus Gips in den Salons und Wohnungen in Europa, mit ihrem selig jenseitigen Lächeln brachte sie die Menschen zum Denken und Fühlen. Dies also der Ausgangspunkt für die Oper nach Andersens "Kleiner Meerjungfrau". Dieter Richter baut die schaurig schimmligen Kellergewölbe eines tschechischen Schlosses nach, die sich gewaltig in einem pittoresken Obergeschoss für den zweiten Akt fortsetzen. Totenmasken Ertrunkener säumen die Wände, jene dagegen sind die doch lebendigen Untoten, die seelenlosen Nixen, die der Wassermann in einem historischen Taucheranzug abgefischt hat, eine gute Prise des historischen Gruselkinos lassen da grüßen (Nosferatu und Doktor Caligari sind nicht weit). Rusalka ist eine dieser lebenden Leichen mit der Sehnsucht nach dem "Oben", der Welt der Lebenden. Hilsdorf erzählt die Geschichte eigentlich ganz geradeaus, doch irgendwie zieht die Grundidee nicht wirklich in ihren Bann, denn die Figuren bleiben seltsam unscharf, sowohl in ihrem Wesen, als auch in ihrer merkwürdigen Ambivalenz zueinander. Wer oder was sind der Wassermann und die Hexe Jezibaba ? So richtig klar wird das nicht. Natürlich begreift man, das der Prinz Rusalka als Abbild oder Abdruck begehrt, aber so richtig Schlüsse aus den Gegensätzen der liebenden Nymphe und der menschlich-fleischlichen Fürstin wird man nicht gewahr. Alles bleibt irgendwie in der Schwebe, ohne eine konkrete Aussage zu beziehen. Die glaufwürdigsten Personen des Abends sind für mich die volkstümlichen Figuren von Heger und Küchenmädchen, beide übrigens mit Stefan Adam und Mareike Morr fast überbesetzt, doch wer wird sich über etwas Gutes beschweren.
Premierenpech für Hannover ist die Erkrankung von Sara Eterno in der Titelpartie, die jedoch den szenischen Part übernimmt und durch intensives Spiel auffällt, äußerlich erinnert sie mich ein wenig an die Animationstitelfigur von Tim Burtons wundervoller "The Corpse Bride" (Die Leichenbraut), deren liebevolle Anmut sie teilt. Glücksfall für Hannover ist Rebecca Davis aus dem eigenen Ensemble, die von der Bühnenseite den vokalen Part übernahm; die wundervoll und eigen timbrierte Stimme der Sopranistin passt perfekt für die Partie, denn sie teilt den lyrischen Schimmer mit abgenehmem Vibrato mit vielen gerade slawischen Sängerinnen, dabei hat sie auch etwas wundervoll mädchenhaftes im Klang, den Mut zum Piano, der ihrem Gesang manchmal etwas naturhaftes Geheimnisvolles verleiht. Doch auch in den etwas dramatischeren Momenten kann sie punkten. Das war wirklich schön gesungen. Als Prinz ihr zur Seite steht der robuste Tenor von Andrea Shin, der der heiklen Tessitur mit heroischem Strahl aufwarten kann, doch im ergreifenden Finale auf zarte Töne im Piano mittels delikatem Einsatz der Kopfstimme zurückgreift. Tobias Schabels Bass hat einen relativ hellen Klang für einen Bass, seinen Wassermann singt er jedoch ohne Fehl und Tadel. Mit üppigem, wohlklingendem Alt wartet Khatuna Mikaberidze als Jezibaba auf, die Unschärfe der Rollenauffassung ist jedoch der Regie und nicht der Künstlerin anzulasten. Brigitte Hahn gibt eine tadellose Fremde Fürstin und bleibt dabei sehr auf gesanglicher Linie. Athanasia Zöhrer, Hanna Larissa Naujoks und Julie-Marie Sundal spielen die untoten Bräute /Nixen ganz hervorragend, jede hat eine schöne eigene Stimme, da wird sich der letzte homogene Schliff im Triogesang noch einfinden. Matthias Winckhler läßt mit toller Baritonfarbe in der kleinen, doch prononcierten Partie des Jägers aufhorchen. Der Opernchor unter Dan Ratiu klingt prima.
Sehr erfreulich für den "Rusalka"-Liebhaber ist die strichlose Aufführung unter Anja Bihlmaier, die ganz hervorragend den Kontakt zur Szene hält. Da hört man einen recht handfesten, spätromantischen Dvorak, aus dem manch volkstümlicher Ansatz herausklingt, weniger das subtile Fluten in Richtung Impressionismus, was die Partitur auch enthält. Das Niedersächsische Staatsorchester hat an diesem Abend leider Schwierigkeiten bei den Blechbläsern, da wird doch recht rauh musiziert. Gerade die bei diesem Werk sehr strapazierte Horngruppe läßt manchen Wunsch nach mehr Nuancierung offen. Insgesamt kann sich die Aufführung jedoch hören und auch sehen lassen, vor allem das ausgezeichnete Sängerensemble der Staatsoper überzeugt ganz ohne Gäste. Die Inszenierung befriedigt mich indes nicht so sehr, sondern hinterläßt mir einen etwas merkwürdigen Geschmack. Doch vielleicht hat das auch mit den bereits erwähnten Erwartungshaltungen zu tun.
Martin Freitag 30.9.15
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