Premiere: 14.10.2017
Unterhaltsam-schrilles Kostümfest in bester Revue-Manier
Lieber Opernfreund-Freund,
das Broadway-Musical „Ein Käfig voller Narren“ von Jerry Hermann wurde 1983 uraufgeführt und fußt auf einem Theaterstück des Franzosen Jean Poiret aus dem Jahr 1973. Das Stück diente zudem als Vorlage für die gleichnamige französische Verfilmung von 1978 und die vielleicht weniger gelungene, in Deutschland aber umso erfolgreicher US-Komödie „The Birdcage“ mit Robin Williams und Gene Hackman aus dem Jahr 1996. Bei derart prominent besetzter filmischer Umsetzung ist die Erwartungshaltung naturgemäß recht groß. Dass es keine Hollywoodgrößen braucht, um einen Volltreffer zu landen, ist seit dem Wochenende am Staatstheater Mainz zu sehen.
Nahezu 45 Jahre also ist die literarische Vorlage alt, eine Komödie um ein schwules Paar, das in St. Tropez einen Travestie-Club betreibt. Als der Spross des einen ausgerechnet die Tochter eines erzkonservativen Politikers heiraten will, kommt es bei dem Versuch, den freizügigen Männerhaushalt als Hochburg des Bürgerlich-Konservativen zu präsentieren, zu allerlei Wirrungen, bis sich am Ende doch alles zum Guten wendet, der Nachwuchs mit dem Segen aller Elternteile in eine gemeinsame Zukunft starten darf und der Traditionalist höchst selbst im Fummel endet. 45 Jahre also – und dennoch höchst aktuell, ist doch erst zu Beginn dieses Monats hierzulande die Gesetzesänderung, die auch gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe ermöglicht, in Kraft getreten. Doch das Produktionsteam um Christopher Tölle erliegt nicht der Versuchung einer Politisierung des Boulevardstoffes. Mit viel Herz und Augenzwinkern bedient Tölle so manches Klischee, Heike Seidler hat in der Kostümabteilung nicht an Federn, Pailletten, Lack und Leder gespart, um farbenfroh-schrille Roben für die Travestie-Girls zu zaubern.
Lena Brexdorff nimmt den Titel wörtlich und präsentiert den Nachtclub auf einer Drehbühne als halboffenen Löwenkäfig, wie man ihn aus dem Zirkus kennt. Sie nutzt die technischen Möglichkeiten der Bühne im Staatstheater voll aus, um bald hier einen Aufzug, bald da ein Wohnzimmer entstehen zu lassen. Das tolle Licht von Pia Virolainen zaubert wunderbar bunte Effekte, gemeinsam mit Christopher Tölle, der auch für die freche Choreographie verantwortlich zeichnet, lässt sie aber auch Raum für Tiefgang und stille Momente, so dass nicht nur „Ich bin, was ich bin“, die wohl berühmteste Nummer, zum eindrucksvollen Appell an Respekt und Toleranz wird. Dem in Belgien geborenen Tölle gelingt die Gratwanderung zwischen lauter, spaßiger Revue und Tiefsinnigkeit – und das ganz ohne erhobenen Zeigefinger in die eine oder andere Richtung oder schlüpfrigen Altherren-Witz. Toll!
Jerry Herman hat fast 20 Jahre nach seinem Welterfolg „Hello Dolly!“ hinreißend eingängige Melodien für diese Boulevardkomödie ersonnen, die in Mainz komplett auf Deutsch gegeben wird. Und die bieten dem talentierten Mainzer Ensemble genug Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen.
Stephan Bootz erweckt den Clubbetreiber Georges mit feinem Gespür zum Leben, mischt seinem vollen Bass einen samtenen Schmelz a la Engelbert bei – und das meine ich als großes Kompliment, gelingt es doch vielen Sängern, deren Zuhause eigentlich die Opernbühne nicht, den Pathos und die große Geste auszuschalten, wenn es um die etwas leichtere Muse geht. Pathos und Drama gehören zur Rolle des Albin, der als Zaza der Star auf der Travestiebühne ist, und den Alin Deleanu gekonnt dennoch so sympathisch gestaltet, dass er nicht der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Dazu singt und tanzt er fesselnd und mit starker Bühnenpräsenz – ganz wie man es von der Diva, die er verkörpert, erwartet. Im direkten Vergleich zu seinen Eltern sackt die Sangesleistung des Sohnes Jean-Michel zu Beginn des Abends noch ein wenig ab. Nach der Pause scheint der junge Tenor Johannes Mayer jedoch die Premierennervosität abgelegt zu haben und singt und spielt überzeugend.
Alexandra Samouilidous Anne ist ebenso sehenswert wie Armin Dillenberger, der den erzkonservativen Vater gibt. Dass die Figur von Annes Mutter Marie in Mainz keine Entwicklung vom unterdrückten Weibchen zur aufbegehrenden Frau durchläuft, ist sicher nicht Ellen Kärcher anzulasten, die die von Christopher Tölle von Beginn an als Alkoholikerin im Chanel-Kostümchen gezeichnete Figur überzeugend spielt, sondern mein einziger Kritikpunkt an der ansonsten vollendeten Regiearbeit. Heimlicher Star der Produktion ist der Brasilianer Fausto Israel, der die „Zofe“ Jacob so herzlich, schrill und witzig zeichnet, dass es eine wahre Freude ist.
Paul-Johannes Kirchner lässt es aus dem Graben toll nach Filmmusik klingen und die ausgezeichneten Tänzer, die unter der Führung von Patrick Stauf die Travestiekünstler mimen, sind schlicht eine Wucht, stecken mit ihrer Spielfreude das Publikum dermaßen an, dass der Funke sofort überspringt und es die Zuschauer im ausverkauften Haus am Ende von den Sitzen reißt. Ein toller Musical-Abend ist da am Rhein zu erleben, viel Tanz, viel Farbe, viel Schrillness – aber noch mehr Gefühl.
Ihr Jochen Rüth / 16.10.17
Die Fotos stammen von Andreas Etter.