Die traurige Operette und ein fröhliches Publikum in Meiningen
Aufführung 16.02.2014 (Premiere 24.01.14)
Eine Aufführung, die zu Recht viel Beifall hervorrief
Wieder einmal fuhr ich mit vielen Freunden mit gemischten Gefühlen nach Meiningen. Mit gemischten Gefühlen, weil ich vor der Abfahrt die Premierenkritik der Aufführung gelesen hatte und die verdammte fast alles in Grund und Boden und lies vor allem kein gutes Haar an den Sängern. Ja und da sieht man, dass die Geschmäcker doch sehr unterschiedlich sein können – übrigens waren die 50 mitfahrenden Freunde alle von der Aufführung begeistert gewesen, es gab Keinen, der große Kritikpunkte anbringen konnte. Also entweder hatte mein Kritikerkollege einen rabenschwarzen Tag, oder aber er mag die Hauptdarsteller bzw. die Sänger der Aufführung des Meininger Hauses nicht und verteufelt sie deshalb in Grund und Boden. Ich jedenfalls war froh, dass wir – wie so oft – beschwingt aus Meiningen nach Hause fahren konnten, nicht ohne bei einem gepflegten Abendessen die Aufführung noch einmal Revue passieren zu lassen.
Der „Zarewitsch“ gehört zu einer der seltenen Exemplare seiner Gattung, bei der am Ende nicht alles in Wohlgefallen aufgeht und man walzerbeseligt sich in die jeweiligen Arme fällt. Nein, der Schluss ist traurig, das Liebespaar bekommt sich nicht, der Zarewitsch muss seiner großen einzigen und ersten Liebe entsagen, die Staatsräson und die Übernahme der Kaiserkrone verlangt es von ihm. Die Handlung ist schnell erzählt. Der schüchterne, zurückhaltende scheue Zarewitsch Alexej fürchtet sich vor dem Zauber der Frauen und ergibt sich deshalb in eine erotische Zurückhaltung, die keinerlei weiblichen Kontakt zulässt. Da aber eine hochrangige Hochzeit geplant ist und man ein unbescholtenes Bübchen nicht in eine zum Scheitern verurteilte Ehe laufen lassen möchte, führt der Großfürst die als Mann verkleidete Tänzerin Sonja dem Zarewitsch zu, um ihn in die Freuden der Liebe einzuführen. Der Zarewitsch erkennt das Komplott und will Sonja vom Hof jagen lassen. Die kluge Sonja jedoch kann ihm erklären, dass er seine Ruhe von den höfischen Intriganten hat, wenn diese glauben, dass er mit ihr, einer Frau, zusammen ist. Es kommt, wie es kommen muss, der Zarewitsch verliebt sich in Sonja und will ihr zuliebe seine Anwartschaft auf den Thron aufgeben, nur um ihr nah zu sein. Als er fast nicht mehr anders kann, flieht er mit Sonja nach Italien und genießt mit ihr, aber auch mit seinem Leibdiener Iwan und dessen Frau Mascha Freuden der Liebe, die für ihn – und davon ist er überzeugt – nie enden sollen. Natürlich werden sie in Italien aufgespürt und eben zu diesem Zeitpunkt stirbt der Zar, der Vater Alexejs. Sonja, die den Zarewitsch von ganzem Herzen liebt, erkennt, dass sie auf ihn verzichten muss, da das Volk einen Zaren verlangt, der ganz für sein Vaterland aufgeht. Alexej verzichtet der Staatsräson Willen auf seine große Liebe und Sonja bleibt allein zurück. Um diese doch eher recht banale Geschichte hat Franz Lehár eine Fülle wundervoller Melodien geschrieben, man schwelgt und leidet gleichzeitig mit. Und natürlich hat meine Frau die Aufführung wieder mit Tränen in den Augen verlassen – ja die unerfüllte Liebe ist etwas fürchterlich Trauriges.
Der Regisseur Lars Wernecke hat dies alles entsprechend umgesetzt, er macht keine Experimente, er versucht sich nicht selbst zu verwirklichen, er gibt eine grundsolide Darstellung der tragischen Operette wieder. Die Zerrissenheit der Personen wird angerissen, ein ins Detail gehende Herausarbeiten widerspricht dem Zauber der Operette selbst, da sie von der Komposition immer Operette geblieben und nicht zum Drama abgestiegen ist – dies würde auch den wunderschönen Melodien nicht entsprechen. Aus diesem Grund gefällt mir die zurückhaltende Art der Regie und auch die Bühne und vor allem auch die wunderschönen farbenprächtigen Kostüme von Christian Rinke können überzeugen. Dies alles schmeichelt dem Auge – und das ist doch schon sehr viel, was man von einer Operette erwarten kann. Der Chor ist exzellent einstudiert durch Sierd Quarré und es wird auf der Bühne der Charme der frühen Jahre erkennbar. Die Meininger Hofkapelle ist Gott sei Dank – wie so oft – gut aufgelegt und wird mit kraftvoller, aber auch zu zarten lyrischen Passagen fähiger Hand von Sierd Quarré geleitet, der ja auch für die Choreinstudierung zuständig ist. Er überdeckt seine Sänger nicht mit Klangwogen, sondern lässt ihnen den notwendigen Freiraum zur Entfaltung und zum Erblühen der Lehárschen Melodien.
Und nun zu den Sängern dieser Aufführung. Stan Meus als Iwan, der quirlige Kammerdiener des Zarewitsch, gibt eine gute Buffovorstellung, sein durchschlagkräftiger heller und sicherer Tenor kann überzeugen, auch im Spiel gibt es keinen Ausfall. Dies kann man leider von Ute Dähne als seiner Frau Mascha nicht behaupten. Zu klein und schwach ist ihre Stimme, sie ist für mich kaum verständlich und auch vom Spielerischen her ist sie der Rolle der Mascha doch schon um einige Jahre entwachsen. Schade, denn das wertet die Duette mit ihrem Iwan auch ein bisschen ab. Reinhold Bock und Ulrich Kunze geben eine solide schauspielerische Vorstellung als Großfürst und Ministerpräsident. Kati Rücker als Gräfin und Julia Grunwald als Olga fallen nicht sehr groß auf und damit aber auch nicht ab.
Und nun zu den beiden Hauptpartien, die mich alle beide überzeugen konnten und die viel zum Erfolg der Aufführung beigetragen haben. Zum Einen ist es Rodrigo Porras Garulo als Zarewitsch, als Alexej. Der in Mexico City geborene Sänger überzeugt durch seine weiche, markante Stimme, die er in hohen Lagen auch strahlend, mit baritonalem Hintergrund, einsetzen kann. Er hat mich in der Rolle voll und ganz überzeugt, ebenso wie sein Herzog in Rigoletto, den ich vor kurzem hören konnte. Natürlich ist er kein Richard Tauber, aber wer ist das – und es ist außerdem widersinnig einen heutigen modernen Sänger zu vergleichen mit einer Sängerpersönlichkeit, von der ich mir nicht sicher bin, ober er in er heutigen Zeit die großen Erfolge wie früher feiern könnte. Mir gefällt die Art und die Weise, wie Rodrigo Porras Garulo sich in eine Rolle hineinversetzt und versucht das Beste zu geben. Das ist ihm auch im „Zarewitsch“ wieder gelungen. Sonja Freitag ist seine Sonja und auch sie erblüht etwas zurückhaltend, aber auf jeden Fall rollendeckend. Ihr beweglicher Sopran, der in den Höhen durchaus zu leuchten im Stande ist, kann in der Rolle der Sonja durchaus bestehen. Sowohl in den Soli als auch vor allen in den Duetten ergänzen sich beide ausgezeichnet und man leidet mit ihnen mit (vor allem meine Frau), wenn sie am Ende in unerfüllter Liebe auseinandergehen müssen.
Die Fahrt nach Meiningen hat sich für mich und meine Freunde wieder gelohnt und wir freuen uns heute bereits auf den Juni, in welchem ich mir den Meininger „Rigoletto“ zum zweiten Mal ansehen darf. Und natürlich werde ich wieder von meinen Eindrücken berichten. Ich kann jeden, dem sich die Gelegenheit bietet, nur auffordern, einmal nach Meiningen zu fahren und dort zu erleben, wie gespieltes Musiktheater sein kann.
Manfred Drescher, 03.03.2014 Fotos ed Meiningen