Premiere am 22. April 2022
Wagners Romantische Oper in werktreuer Interpretation
Vor mittlerweile 21 Jahren inszenierte Christine Mielitz am Staatstheater Meiningen, das damals noch anders hieß, in Bühnenbildern des berühmten Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“. Das war eine weithin beachtete Produktion, vor allem wegen Hrdlickas Bühnenbildern sowie guter sängerischer und musikalischer Leistungen. Der damals noch wenig bekannte Meininger Chefdirigent Kirill Petrenko, der ein Jahr später an die Komische Oper Berlin wechselte, stand am Pult und ließ einen wunderbaren Wagner-Sound aus dem Meininger Graben zaubern. Nur vier Jahre nach diesem „Ring“ übernahm Ansgar Haag die Leitung des Meininger Staatstheaters und hielt diese bis 2021 inne. Zum Abschluss dieser langen Zeit inszenierte er nun den „Lohengrin“ des Bayreuther Meisters, der – wie später auch Cosima Wagner – schon damals die hervorragenden Meininger Orchestermusiker in signifikanter Zahl zu den Bayreuther Festspielen einlud.
Ein Ort also mit großer Wagner-Geschichte! Und historisch mutet insbesondere auch der 1. Akt der Neuinszenierung d e r Romantischen Oper Wagners an, die Thomas Mann einmal als „Ein herrliches Stück! Der Gipfel der Romantik möchte ich sagen“ bezeichnete. Äußerst löblich zunächst, dass während des so wunderbaren Vorspiels, welches Peter Tschaikowsky als „vielleicht das gelungenste, inspirierteste Stück Musik aus Wagners Feder“ beschrieb, bis kurz vor Schluss der Vorhang unten bleibt und man sich also geistig und emotional in die Thematik des Stückes einfinden kann. „Es führt uns in das Reich des Lichtes, der Wahrheit und der Schönheit, aus dem der Ritter Lohengrin zur Rettung der schönen, verleumdeten Elsa herabgestiegen ist“ schreibt Tschaikowsky völlig nachvollziehbar weiter. (Wenn man dabei an den neuen „Lohengrin“ von Wieler, Morabito und Viebrock bei den Osterfestspielen Salzburg in diesem April denkt, kann einem ganz anders werden…).
Als sich der Vorhang langsam hebt, sehen wir durchaus passend auf eine entwurzelte alte Gerichtseiche und den langsam aus dem Hintergrund nach vorn kommenden Chor der Brabanter, unnötigerweise mit allzu vielen Stühlen beschäftigt. König Heinrich, der von Selcuk Hakan Tirasoglu mit einem offenbar schon weit über seinen Zenit gekommenen Bass verkörpert wird, lässt den stimmlich guten und bestimmt auftretenden Heerrufer Tomasz Wija nach dem Ritter für Elsa rufen. Ab dessen Ankunft kommt endlich etwas Bewegung in das bis dahin allzu statische und rampenorienterte Geschehen auf der Bühne, welches bei allen Vorbehalten gegen jüngere regietheatralische Exzesse auf der Wagner-Bühne doch allzu stark in die andere, mehr als konservative Richtung ausschlägt. Denn nun sind auch zwei exzellente Rollenvertreter auf der Bühne. Während die junge Lena Kutzner als Elsa schon mit ihrem „Einsam in trüben Tagen…“ einen guten vokalen Eindruck machte, kommt mit Magnus Vigilius ein äußerst persönlichkeitsstarker Lohengrin auf die Bühne. Dass er dann Telramund mit der Hand an dessen Gurgel auf der Gerichtseiche fixiert – nachdem dieser noch ein paar Dehnungsübungen an ihr vollzogen hat – mag zwar inhaltlich passend, optisch aber nicht die beste Option für die von Andris Plucis choreografierte Kampfszene gewesen sein, die an das koreanische Taekwondo erinnerte.
Mit Elsa und Lohengrin hat die Inszenierung nun aber sofort zwei Stars, die auch bestens miteinander harmonieren und auf die sich – so wie es ja auch sein sollte – in der Auseinandersetzung mit der ebenfalls sehr persönlichkeitsstarken Sabine Hogrefe – einst Brünnhilde in Detmold – als Ortrud und ihrem gegängelten Ehemann Telramund Shin Taniguchi forthin alles konzentriert. Und damit nimmt dieser „Lohengrin“ von Ansgar Haag mit dramaturgischer Unterstützung von Julia Terwald in den im Laufe des Abends immer ausdrucksvoller werdenden Bühnenbildern von Dieter Richter und auf die heutige Zeit aktualisierten Kostümen von Kerstin Jacobssen dramaturgisch ebenso wie dramatisch an Fahrt auf. Im 2. Akt ist ein Erker des Münster sinnhaft in Schwarz zu sehen, und der 3. Akt wird von einem großen Gemälde der „Toteninsel“ von Arnold Böcklin dominiert, bereits zu Beginn den traurigen Charakter des Finales erahnen lassend. Mit den vier Charakteren Lohengrin, Elsa, Ortrud und Telramund sowie einer mit der Assistenz bei der Chorregie von Konstantin Ostheim-Dzerowycz und der musikalischen Einstudierung von Manuel Bethe der im „Lohengrin“ so wichtigen Chöre – hier ganz exzellent Chor, Zusatz- und Extrachor des Staatstheaters Meiningen – versteht es Haag auf nachvollziehbare Weise, die zentrale Thematik des „Lohengrin“ mit einer im Laufe des Abends immer zwingender werdenden Personenregie und Wagners Vorstellungen in Treue ergeben zu vermitteln.
Magnus Vigilius, der bisher nach seinem Bayreuther Froh in der Castorf-Produktion 2013 auch schon den Parsifal und den Siegmund gesungen hat, verkörpert den Lohengrin viel aktiver, man möchte sagen exekutiver, als andere Rollenvertreter, mit einer charakterlich stark in seiner Mission verankerten, gleichwohl aber auch hochemotional gestalteten Interpretation. Diesem Lohengrin kann man alles glauben, was er sagt, er wirkt äußerst authentisch und damit souverän. Es ist spannend, Vigilius bei der tragischen Entwicklung seiner scheiternden Mission zu folgen. Dabei verfügt er über einen bestens geführten, eher schlanken hell timbrierten und dennoch ausdrucksstarken Tenor mit einer lyrischen Note und viel legato. Das kommt dem astralen Charakter des Schwanenritters auch mit der absoluten Höhensicherheit des Sängers sehr entgegen. Dabei setzt Vigilius stets eine Mimik ein, die der jeweiligen Situation vollkommen entspricht. Die junge Lena Kutzner hat ein jugendlich natürliches Vibrato, einen herrlich aufblühenden Sopran. Sie singt schöne lange Bögen und kann ihn ebenfalls, auch in tieferen Lagen, bestens zur jeweiligen Situation facettieren. Damit erreicht sie großen Ausdruck in ihrem auch sehr engagierten Spiel. Ihre Diktion ist ebenfalls sehr gut. Sicher darf Kutzner, die fest in Meiningen engagiert ist, nun Aufwind für künftige Elsa-Besetzungen bekommen.
Mit Sabine Hogrefe kommt die Dunkelheit des bösen Gegengewichts gegen das Traumpaar nahezu beängstigend ins Spiel. Auch von Kostüm und Maske her an eine Azucena erinnernd, vermag Hogrefe mit ihrem dunkel schattierten und äußerst variationsreichen sowie sehr wortdeutlichen Sopran die Schlinge um Elsa immer enger zu ziehen und dabei den Ehemann als Werkzeug einzusetzen. Das Thema Rache steht bei dieser Ortrud im Zentrum allen Denkens. Mit ihr erhielt der Abend weitere Spannung. Es war auch einmal erfrischend zu erleben, wie sie nach ihrem triumphalen „Fahr heim…“ im Finale erst spät den jungen Gottfried neben sich gewahrt und damit als endgültige Verliererin tot in sich zusammensinkt.
Shin Taniguchi gibt den Telramund sehr agil, lässt es aber etwas an stimmlicher Prägnanz vermissen. Im 3. Akt wird dem König nur noch seine Jacke vorgelegt – eigentlich auch eine gute Idee! Homogen treten die vier Brabantischen Edlen Horst Arnold, Matthias Richter, Ilja Schwärsky und Sang-Seon Won auf. Die vier Edelknaben Katharina Fulda, Dana Hinz, Jisun Oh und Heidi Lyn Peters machen stimmlich im Brautgemach sehr guten Eindruck. Das Vorspiel zum 3. Akt läuft erfreulicherweise ebenfalls vor geschlossenem Vorhang.
Der Meininger GMD Philippe Bach leitet die Meininger Hofkapelle mit Wagner-erfahrener Hand. Im Vorspiel klappt es noch nicht so ganz mit den Streichereinsätzen, was aber schnell besser wird und im 2. und 3. Akt zu einer großartigen musikalischen Leistung gerät. Das Vorspiel zum 3. Akt hat diese dunkel dräuende Note, die man sich von einer Ortrud dieses Kalibers erwarten kann. Jenes zum 3. Akt zeichnet sich durch eine überschwängliche Dynamik aus, bei der wie auch sonst an diesem Abend der große Bogen mit einem hohen Maß an Emotion stimmt. Ganz hervorragend erklingen die Fanfaren von den oberen Proszeniumslogen, fehlerfrei! Und auch die so kompliziert zu einer harmonischen Leistung zusammenzuführende Verwandlungsmusik im 3. Akt, auch schonmal als das „Pferdegetrappel“ bezeichnet, bei dem selbst berühmte Dirigenten schon aus dem Tritt kamen, war bei GMD Bach in sicheren Händen. Ein guter „Lohengrin“ in Meiningen.
Fotos: Christina Iberl
Klaus Billand/17.5.2022