Wuppertal: „Das Rheingold“, Richard Wagner (konzertant)

© Yannick Dietrich

An sich mochte Richard seine Werke bekanntlich „nicht jedem hergelaufenen Stadttheater“ anvertrauen. Das würde er bezüglich der Qualität heutiger Solisten, des Wuppertaler Sinfonieorchesters und seines Generalmusikdirektors so nicht mehr sagen. Patrick Hahn hat mit dem Tannhäuser seine Zeit in Wuppertal begonnen, später den Tristan hier dirigiert, hat den ganzen Ring ohne Gesangssolisten als Kurzfassung im Sinfoniekonzert gebracht und wollte zum Abschluss seiner fünf Jahre als GMD in Wuppertal dann doch auch den ganzen Ring des Nibelungen machen. Loriots Ring an einen Abend z. B. zu Karneval zu bringen, hätte ihm nicht gereicht. So blieben für das Abo nur sechs Konzerte übrig und Ärger für Abonnenten.

Dabei war eine konzertante Aufführung des Riesenwerks nicht im Sinne des Komponisten und Dichters, der ja gerade für sein Gesamtkunstwerk eigens das Festspielhaus in Bayreuth gebaut hat. Er sprach in diesem Zusammenhang gar von „künstlerischer Entsittlichung“.

Worum geht es im Rheingold? Nicht um den gleichnamigen Sekt, der tatsächlich zur Eröffnung des Festspielhauses kreiert worden ist.  Nein, es geht um den Menschen und seine Leidenschaften, um Gier und Geiz, die weder befriedigt noch unterdrückt werden können, um Betrug, Lüge und Gewalt, um Mord und Totschlag. Der Ring ist die Allegorie, die dramatische Darstellung der kapitalistischen Gesellschaft, die, auf Gold, Raub und Ausbeutung gegründet, mit dem Untergang ganzen Truppe in der Götterdämmerung endet.

Das vorab. Jetzt zu den Schwierigkeiten eines solchen Projekts. Im Orchester gibt es immerhin zwei Musiker, die aktuell regelmäßig in Bayreuth mitspielen. Nur wenige haben den Ring schon einmal gespielt. In Wuppertal wurde das Werk 1986 zum Abschied von Hans- Martin Schneidt (Inszenierung Friedrich Meyer Oertel, Bühnenbild Hanna Jordan) zum letzten Mal aufgeführt. Für Das Rheingold jetzt mussten den 92 Musikern (im Original 123) zehn Orchesterproben reichen und Instrumente besetzt werden (Wagnertuben, Schwebebahnschienen als „Amboss“ in Nibelheim), die nur selten benötigt werden.

Fabio Rickemann (Inspizient am Theater St. Gallen) legte fest, von wo aus die 14 Gesangssolisten auftreten, von wo aus sie singen, agieren und welche Lichtstimmung in den unterschiedlichen Szenen herrschen wird.

Jetzt zur Musik:  Das tiefe Es im Pianissimo, aus dem Urnichts des tiefen Rheines aufwachsend, gewinnt langsam an Struktur und Klang, baut sich zum Es-Dur Akkord auf. Ein ein erster Hornruf (Leitmotiv „Natur“) ertönt. Unter unendlichem Crescendo, kommt Wellenbewegung der Streicher auf, die Geschwindigkeit nimmt zu, immer intensiver wird der fast stehende Klang. Wo und wie soll das enden? Richard hatte am 5. September 1853 im Urlaub in La Spezia beim Mittagsschlaf träumend, – „im Rauschen stark fließenden Wassers versinkend, das unaufhaltsam in figurierter Brechung dahinwogte“ – den Beginn des Rheingolds gefunden. Musikalisch endet der Traum im „Weia- Waga“ der drei Rheintöchter (Marta Herman vom Staatstheater Kassel als Floßhilde, Edith Grossman als Wellgunde, in Wuppertal bekannt und geschätzt, Juliana Zara vom Staatstheater Darmstadt als Woglinde), die den Rhein und sein Gold in der Tiefe lieben, weil es so schön glänzt. Sauber und mit großer Beweglichkeit der wunderbaren Stimmen vermittelten die drei von der Empore oben rechts aus dem ungestörten Glück des goldenen Zeitalters. Aus dem unterirdischen Nibelheim pirscht sich Alberich (Joachim Goltz, Nationaltheater Mannheim) an, hässlich und geil. Stimmlich wie schauspielerisch – selbst am Frackschoß des Dirigenten hält er sich fest – exzellent, findet er in den Rheintöchtern alles, was ihm selbst abgeht: Schönheit, Lebenslust und Lebensfreude. Über diesen garstigen Alberich machen sich die umwerbenden Mädchen nur lustig. Da raubt er das Rheingold – bei dessen Anblick das Riesenorchester im Fortissimo wunderbar glänzt -, verflucht es, und die Rheintöchter jammern.

© Yannick Dietrich

Szenenwechsel: Der hier zweiäugige Wotan (Michael Kupfer-Radecky, u.a. in Bayreuth und Budapest schon als Wotan und Gunther zu erleben, in Wuppertal kürzlich als Jochanaan in Salome), streitet mit seiner eher prüden Frau Fricka (Jennifer Johnston gastierte u.a in Mailand und Glasgow, bei den Salzburger Festspielen, singt mit dem BBC Symphony Orchestra dem Royal Concertgebouw Orchestra, den Berliner Philharmonikern) und den Bauunternehmen seiner Villa Walhalla Fasold (Guido Jentgens, ebenfalls Bayreuth-erfahren) und Fafner Kurt Rydl (als Bassist Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper) über die Bezahlung der Bauarbeiten. Der rumpelnde Einmarsch der Riesen mit der punktierten Leitmotivquart nach 16tel Auftakt-Triolen war orchestral ein Vergnügen der Sonderklasse. Auch Froh (Patrick Reiter) und Donner (Thomas Laske, in Wuppertal bekannt und geschätzt) kommen dazu und greifen in den Streit ein. Loge (Michael Laurenz, als Ensemblemitglied in Zürich und an der Staatsoper Wien erfahren, schauspielerisch und sängerisch brillant) erzählt die Geschichte von Alberich, vom Gold, vom Ring und der Macht, die damit verbunden ist. Also bricht man auf, um ihm das Gold und die Macht zu rauben. Freia als Lohn anzubieten, erwies sich als Kardinalfehler; denn sie garantiert Unsterblichkeit und ewige Jugend der Götter.

3. Bild. In Nibelheim wird unter unsäglichen Arbeitsbedingungen gehämmert, geschmiedet, wobei die Schlagzeuggruppe, selbst wenn sie auf Schwebebahnschienen klopft, klanglich eher dünn nach Jugendmusikschule als nach Nibelheim oder Werkshallen klang. Die Zwerge, Sinnbilder der Industrie- und Bergarbeiter des 19. Jahrhunderts, haben Ring und Tarnkappe geschmiedet, mit denen Alberich bei seinen Besuchern prahlt, auf Loges Täuschung natürlich hereinfällt und als winzige Kröte gefangen genommen wird. Cornel Frey, in Wuppertal bekannt, seit 2012 bei der Deutschen Oper am Rhein präsentierte sich als Mime sängerisch wie schauspielerisch souverän auf hohem Niveau.

4. Bild „Auf wolkigen Höhen“ wird Freia gegen Gold ausgelöst, auch Ring und Tarnkappe kann Wotan nicht behalten, weil selbst die Göttin der Erde (Marta Herman als Erda) stimmlich glänzend und groß von der Empore links vorne aus auf ihn einsingt, dass Abmachungen eingehalten werden müssen. Sie sagt die drei Abende später drohende Götterdämmerung schon voraus. Wotan fügt sich, gibt zuletzt sogar den Ring dazu. Guido Jentgens Fafner ging stimmlich wie schauspielerisch zu Herzen. Etwas verliebt, war er sich nicht sicher, ob Freia oder das Gold für ihn persönlich wichtiger sein würde.  Der Fluch des Rings tritt sogleich ein: Fasolt erschlägt seinen Bruder, Mit dem gewaltigen Hammerschlag eröffnet Donner die bunte Regenbogenbrücke zum Göttereigenheim Walhalla, wo in Zukunft ohne Geld- und Machtgier sich nahezu bürgerliches Götterglück ausbreiten und auch Fricka zufrieden sein könnte. Wotan, nach Erdas ernster Mahnung gebunden „durch Bangen, Sorg und Furcht“, ist jedenfalls zufrieden und stolz („Abendlich strahlt der Sonne Auge: in prächtiger Glut prangt glänzend die Burg“.) Sein voluminöser Bariton konnte sich fast immer gegen das Orchester durchsetzen. Loge aber sieht die Katastrophe der Götter voraus, die wie „die Blinden blöde vergehen“ werden. Stimmlich begeisterten zuletzt die Rheinmädchen und mit prächtiger, lange sich orchestral ausbreitender Schlussapotheose natürlich das hervorragend aufgelegte Sinfonieorchester Wuppertal unter dem souveränen, klaren und umsichtigen Dirigat von Patrick Hahn.

Text und Dramatik entwickelten sich heute Abend im symphonischen Fluss der Musik bei nachvollziehbarer schauspielerischer Präsenz der Künstler, unterstützt durch die einleuchtende Lichtregie und lebendige Personenregie im Saal. Der Handlung war problemlos zu folgen dank des auf die eigens angefertigte Leinwand hinter die Bühne projizierten Textes.

Der große Konzertabend wurde im ausverkauften großen Saal in langanhaltendem Beifall bejubelt und der Wagnerianer freut sich schon jetzt auf die Folgeabende.

Johannes Vesper, 20. Oktober 2025


Das Rheingold (konzertante Aufführung)
Richard Wagner

Historische Stadthalle Wuppertal

19. Oktober 2025

Dirigent: Patrick Hahn
Sinfonieorchester Wuppertal