Premiere am 14.03.2015 besuchte Aufführung: 27.03.2015
Rot ist die Liebe und rot ist das Blut
Es ist eine absolute Rarität, die das Stadttheater Bremerhaven mit der Oper „Die Bluthochzeit“ („Vérnász“) von Sándor Szokolay (1931 – 2013) in dieser Spielzeit bietet. Sie basiert auf dem Schauspiel „Bodas de sangre“ von Federico Garcia Lorca. Darin geht es um eine junge Frau (die Braut), die sich am Tage ihrer (arrangierten) Hochzeit von ihrem ehemaligen Verlobten Leonardo, den sie noch immer liebt, entführen lässt. Der hat zwar inzwischen selbst Frau und Kind, aber das hindert ihn nicht. Der Bräutigam nimmt die Verfolgung auf. Es kommt zu einem für ihn und Leonardo tödlichen Messerzweikampf. Die Mutter des Bräutigams bleibt zurück und verflucht das Messer, das ihr einst schon den Ehemann und einen anderen Sohn genommen hat.
Szokolays Oper wurde 1964 in Budapest uraufgeführt. Es war nicht die erste Vertonung dieses in ihrer expressiven Emotionalität der „Cavalleria rusticana“ nicht unähnlichen Dramas um Eifersucht und Rache. 1956 hatte der spanische Komponist Juan José Castro eine Oper nach Lorcas Stück geschrieben; 1957 folgte Wolfgang Fortner mit seiner bei uns bekannteren Oper „Bluthochzeit“. Die unterscheidet sich in ihrer musikalischen Substanz aber grundsätzlich vom Szokolays Werk. Bei Fortner ist eher kammermusikalische Zwölftonmusik zu hören, während Szokolays Musik in der Tradition eines Bartók, Strawinsky oder (was den Sprechgesang und die Verwendung von Folklore-Elementen angeht) auch Janáček steht. Gleich vom ersten Orchesterschlag an ist man von der unbändigen Kraft und der archaischen Urgewalt dieser Musik gefangen. Es ist eine Musik, die sich mit ihren stampfenden Rhythmen und ihrer dramatischen Wucht überwiegend im Fortissimo-Bereich bewegt und in ihrer fiebrigen Emotionalität kaum Gelegenheit zum Atemholen bietet. Erst im letzten Akt finden sich auch leisere Töne, wenn die allegorischen Figuren des Mondes, des Todes (hier als obdachlose Bettlerin) und der drei Holzfäller auftreten. Marc Niemann am Pult der wie entfesselt aufspielenden Bremerhavener Philharmoniker sicherte dieser die Grenzen der Expressivität oft sprengenden Musik nicht nur in den aufwühlenden Zwischenspielen eine faszinierende Intensität.
Kongenial war die Regie und Ausstattung von Andrzej Woron, der ein klar strukturiertes Bühnenbild und symbolkräftige Farboptik zum Einsatz brachte. Das Bühnenportal wird von einem großen Rahmen mit LED-Lämpchen begrenzt, die mal weiß, mal rot leuchten, etwa wenn die Braut und Leonardo sich (wieder) näher kommen. Rot ist die Farbe der Liebe, aber auch die des Blutes. Leonardos Frau und ihre Schwiegermutter sieht man mit Kinderwagen in einer engen, rosaroten Behausung, obwohl deren Situation alles andere als rosarot ist. Die Liebeszene zwischen Leonardo und der Braut findet in einem hoch über der Bühne schwebenden Käfig statt. Auf dem thront später auch der wie ein Clown kostümierte Mond. Und für den tödlichen Zweikampf werden Leonardo und der Bräutigam wie Marionetten an Strippen hochgezogen, wobei im Hintergrund eine schicksalsdräuende Kreissäge zu sehen ist.
Das Ensemble und die Chöre (Opernchor, Extrachor und Kinderchor – alle von Jens Olaf Buhrow trefflich einstudiert) waren extrem gefordert. Beate-Maria Vorwerk gab die dominante, aber auch sorgenvoll verhärmte Mutter wie eine griechische Tragödin, fast wie eine „Schwester“ der Küsterin. Yamina Maamar war mit kraftvollem, die Orchesterfluten durchschneidendem Sopran eine intensive Braut. Filippo Bettoschi war mit virilem Bariton der kaltschnäuzige Leonardo, der seinen Sattel herumschleppte, um mit der Braut fortzureiten. Als heißblütiger, von Rache getriebener Bräutigam setzte Tobias Haaks seinen robusten Tenor adäquat ein. Leonardos Frau litt in der Gestalt von Annabelle Pichler hilflos vor sich hin, ihrer Schwiegermutter gab Kathrin Verena Bücher skurriles Profil. Regine Sturm war ein engagiertes Dienstmädchen, das trotz aller Warnungen die Katastrophe nicht verhindern konnte. Mit gleißendem Tenor setzte Thomas Burger als Mond besondere Akzente. Svetlana Smolentseva war mit dunklem Mezzo ein geheimnisvoller Tod und Leo Yeun-Ku Chu gab mit profundem Bass den leutseligen Vater der Braut. Ein bereichernder und unbedingt sehenswerter Opernabend!
Wolfgang Denker, 28.3.2015
Fotos von Heiko Sandelmann